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Stammzellen gegen Multiple Sklerose – Reparatur- oder Immuntherapie?

In der Forschung und Therapie der MS gibt es stetig Fortschritte. Was vor einigen Jahren noch Zukunftsmusik war, ist heute teils schon Realität. So auch die Behandlung der Multiplen Sklerose mit Stammzellen. Was man darunter versteht, für wen diese Therapie in Frage kommen kann und was dabei zu beachten ist, stellt Prof. Dr. med. Christoph Heesen im Folgenden dar.

Welche Arten von Stammzelltransplantation gibt es?

Stammzellen sind Ursprungs- oder Vorläuferzellen, die sich in andere Zellen entwickeln können. Für die MS als Therapie werden zum einen Stammzellen aus dem Knochenmark, die hämatopoetischen und mesenchymalen Stammzellen diskutiert. Beide haben zum Ziel, das Immunsystem zu beeinflussen. Darüber hinaus könnten aber auch Nervenstammzellen, sogenannte neuronale Stammzellen eingesetzt werden mit der Intention, eine Reparatur im Nervensystem zu ermöglichen. Die meisten Daten bei MS gibt es zur autologen hämatopoetischen Stammzelltransplantation (abgekürzt: aHSZT).

Was ist die autologe hämatopoetische Stammzelltransplantation?

Die aHSZT ist ein Verfahren, das einen Neustart oder ein „Reset“ des Immunsystems zum Ziel hat. Mit dem Verfahren werden weitgehend alle Immunzellen zerstört und das Immunsystem anschließend neu aufgebaut. Die aHSZT, die im allgemeinen Sprachgebrauch auch als Stammzelltherapie bezeichnet wird, kann keine Zellen im Nervensystem ersetzen oder reparieren. Im Grunde ist die aHSZT aktuell eine der stärksten Immuntherapien, die man bei der Behandlung der Multiplen Sklerose durchführen kann. Dabei sind die Stammzellen gar nicht  die eigentliche Therapie, sondern die Ausschaltung des Immunsystems mit Medikamenten. Die Stammzellen verhindern im Grunde durch den Neuaufbau des Immunsystems, dass man an der Therapie stirbt. Um diesen „Reset“ oder Neustart des Immunsystems zu erreichen, werden verschiedene Substanzen eingesetzt, vor allem das Zytostatikum Cyclophosphamid (es handelt sich also um eine Chemotherapie) sowie ein Antikörper, der gezielt Immunzellen zerstört. Vor der Chemotherapie und aHSZT müssen zunächst die eigenen Stammzellen des Patienten gesammelt werden, um sie nach der Chemotherapie zurückzugeben, damit neue Blutzellen und Immunzellen gebildet werden können.

Neben der autologen unterscheidet man auch die allogene SZT. Hier werden Zellen von einem Knochenmarkspender eingesetzt. Diese Therapie wird vor allem bei Blutkrebserkrankungen eingesetzt und ist sehr nebenwirkungsreich. Deshalb wird sie bei MS nicht angewandt.

1. Schritt: Mobilisation

Da Stammzellen im Knochenmark wachsen, erfolgt zunächst eine sogenannte Mobilisation (s. Abb. 1, Phase 1), bei der die Stammzellen stimuliert werden, um aus dem Knochenmark ins Blut zu wandern. Dies geschieht durch den Einsatz einer gering dosierten Chemotherapie plus eines Wachstumsfaktors. Danach wird regelmäßig im Blut nachgesehen, ob Stammzellen vorhanden sind. Sollten genug nachweisbar sein, erfolgt nach 7 – 10 Tagen eine sogenannte Leukapherese. Dieses Verfahren ist ähnlich wie eine Blutwäsche bei Nierenkranken: Über eine Maschine werden die Stammzellen aus dem Blut gesammelt, alle anderen Blutbestandteile fließen in den Körper zurück. Im Anschluss werden die Stammzellen eingefroren und der Patient kann für einige Zeit nach Hause.

2. Schritt: Konditionierung und Transplantation

Zur eigentlichen Transplantation kommt der Patient auf eine Transplantationsstation (s. Abb.1, Phase 2). Zu Beginn erfolgt eine Hochdosis-Chemotherapie in Kombination mit einem Antikörper, die Konditionierung genannt wird und ca. vier Tage dauert. Zum Ende der Chemotherapie werden die aufgetauten Stammzellen über eine Vene wie eine Blutkonserve zurückgegeben (das ist die eigentliche Transplantation). Die Zellen wandern wieder ins Knochenmark und siedeln sich dort an. Bis die Stammzellen neue reife Blutzellen in ausreichender Menge produzieren, vergehen in der Regel ca. 10 Tage, während derer der Patient sehr wenige weiße und rote Blutkörperchen bzw. Blutplättchen hat. In dieser Phase besteht eine erhöhte Anfälligkeit für Infektionen, weshalb Kontakte mit anderen Menschen eingeschränkt werden müssen. Diese Zeit müssen die Patienten im Einzelzimmer der Transplantationsstation verbringen. Es kann auch sein, dass Blutkonserven oder Blutplättchen gegeben werden müssen, weil auch die Bildung roter Blutkörperchen erst wieder in Gang kommen muss. Sobald sich die Zahl der weißen Blutzellen ausreichend erholt hat, ist eine Entlassung aus dem Krankenhaus möglich.

3. Schritt: Nachsorge

Die ersten 100 Tage, also gut drei Monate nach der Transplantation besteht weiterhin eine erhöhte Infektgefahr. Hier erfolgt die Nachsorge durch Überwachung des Immunsystems und vorübergehende weitere Gabe von vorbeugenden Medikamenten gegen Infektionen (s. Abb. 1, Phase 3). Die Betreuung sollte von einem mit Transplantationen erfahrenen Arzt erfolgen. Man sollte größere Menschenansammlungen meiden. Es ist aber keine Isolation erforderlich und man kann auch mit seinen evtl. kleinen Kindern zusammen sein, auch wenn hier ein Risiko für Infekte besteht. Eine Gabe von Antibiotika und einem Medikament gegen Viruserkrankungen schützt in dieser Zeit. Man geht davon aus, dass das Immunsystem erst ein Jahr nach der Transplantation wieder im Wesentlichen normal funktioniert.

Welche Unterschiede gibt es in den aHSZT-Verfahren?

Früher wurde die aHSZT bei MS mit mehreren Chemotherapeutika durchgeführt, nach dem so genannten „BEAM“-Schema (bestehend aus BCNU (Carmustin), Etoposid, Ara-C (Cytarabin) und Melphalan). In den letzten fünf Jahren hat sich nach der „MIST“-Studie von Richard Burt aus Chicago zunehmend ein weniger aggressives Chemotherapiekonzept etabliert; die Konditionierung erfolgt hierbei nur mit Endoxan (Cyclophosphamid). Dieses Verfahren wird in den meisten aktuellen Untersuchungen und Therapien eingesetzt. Es gibt aber noch eine mildere Stammzelltransplantation, die man als die „Light“-Version bezeichnen kann. Dieses noch besser verträgliche Verfahren kommt vor allem in den Zentren in Moskau und Mexiko zum Einsatz. Die Endoxandosis ist hierbei geringer, ein Antikörper wird nicht gegeben. Allerdings gibt es nur wenig Daten zur Wirksamkeit. Möglicherweise ist die „Light“-Version nicht stark genug.

Wie wirksam ist die aHSZT bei MS?

Die aHSZT ist bis heute keine fest etablierte Therapie bei MS. Eine Behandlung in Deutschland ist bislang nur als Heilversuch im Einzelfall möglich. Allerdings wird die aHSZT seit den 1990er Jahren vor allem in sogenannten Kohorten untersucht. Kohorten sind Gruppen von Patienten, die mit der gleichen Therapie behandelt wurden. Da es zu diesen Kohorten keine Kontrollgruppen mit anderen Therapien gibt, kann man den Nutzen einer Behandlung nicht so sicher abschätzen, wie in einer sogenannten randomisierten (zufallsverteilt), kontrollierten (mit Kontrollgruppe) Studie.

Bis dato liegen erst zwei randomisierte kontrollierte Studien zur Stammzelltransplantation bei MS vor. Eine erste italienische Studie untersuchte 21 Patienten. Diese zeigte weniger Kernspinaktivität unter aHSZT gegenüber einer Mitoxantrontherapie nach vier Jahren. In einer zweiten amerikanischen Studie mit 110 Patienten, die zwei Jahre lang untersucht wurden, zeigten 60 % der Patienten (also fast 2/3) in der Kontrollgruppe mit einer zugelassenen MS-Therapie eine Zunahme der Beeinträchtigung, gegenüber 6 % in der Gruppe mit aHSZT. Zusätzlich zeigte sich im Durchschnitt sogar eine Abnahme der Beeinträchtigung in der aHSZT-Gruppe.

Im Jahr 2020 wurden die Daten aus allen verfügbaren Studien mit gut 1.500 Patienten nach aHSZT ausgewertet, wobei die meisten Studien Kohortenstudien waren. Ohne Zunahme der Beeinträchtigung blieben über zwei Jahre 74 % (also 3/4) der Patienten. Dabei ergaben sich bei schubförmiger MS 81 %, bei primär progredienter MS 78 % und bei sekundär progredienter MS 60 %. Zusätzlich wurden die sogenannten NEDA-Raten untersucht. NEDA (No Evidence of Disease Activity) bedeutet „kein Auftreten von Schüben, kein Fortschreiten der Behinderung und keine Krankheitsaktivität im Kernspintomogramm (MRT)“. Die NEDA-Raten liegen bei aHSZT-Studien bei bis zu 90 %, bei den stärksten zugelassenen MS-Therapien bei 50 % nach zwei Jahren. Ein deutlicher Unterschied besteht auch nach fünf Jahren. Aber die NEDA-Raten liegen dann bei nur noch 50 %. Allerdings ist der Vergleich problematisch, weil die großen Medikamentenzulassungsstudien (oft bis zu 1.000 Patienten) nicht gut mit den kleineren Kohortenstudien zur aHSZT (meist weniger als 100 Patienten) vergleichbar sind.

Wer kann von einer aHSZT profitieren?

Der größte Effekt konnte bei hoch aktiver schubförmiger MS dokumentiert werden, bei der viele Schübe und Kernspinaktivität vorliegen, die Beeinträchtigung noch nicht zu weit fortgeschritten ist und/oder auch die Patienten noch nicht lange eine MS haben und jung sind.

Ist eine aHSZT auch bei progredienter MS wirksam und sinnvoll?

Dies ist eine der wichtigsten ungeklärten Fragen. Nach den Daten von Richard Burt, Chicago haben auch Betroffene mit sekundär progredienter MS (SPMS) unter bestimmten Bedingungen noch einen Nutzen, vor allem wenn sie noch Schübe oder entzündliche MRT-Aktivität haben. Eine italienische Arbeitsgruppe hat die aHSZT mit einer wiederholten Endoxantherapie verglichen und keine überzeugenden Nutzen bei SPMS zeigen können. Zur primär progredienten MS liegen keine längeren Studiendaten vor. Aus Mexiko gibt es Daten, die über einen Zeitraum von einem Jahr gemacht wurden. Das reicht nicht für eine Beurteilung. Insgesamt sind mehr Therapieerfahrungen nötig, um eine klare Empfehlung geben zu können. Bei Krankheitsdauer > 15 Jahre, Alter > 50, unter 100 m Gehstrecke ist eine aHSZT hochwahrscheinlich nicht mehr hilfreich.

Welche Risiken bestehen bei einer aHSZT?

Zunächst müssen die kurzfristigen Komplikationen innerhalb von 100 Tagen nach der aHSZT von langfristigen Risiken unterschieden werden. Kurzfristig bestehen häufige Risiken wie vor allem allergische Reaktionen auf die verwendeten Medikamente, Fieber, Schleimhautentzündungen und Infektionen. Diese können bei bis zu 70 % auftreten und sind fast immer gut behandelbar. Es kommen aber auch schwere Infektionen vor. Sehr selten können diese kurzfristigen Komplikationen unbeherrschbar werden und sogar zum Tod führen. In einer Auswertung von gut 1.500 Patienten aus verschiedenen Studien seit 1990 findet sich insgesamt eine Sterblichkeit direkt durch die aHSZT von 1 %. In den letzten 10 Jahren liegt das Risiko eher bei 0,2 %, also 2 auf 1000. Das Risiko ist höher bei älteren, schwer beeinträchtigten Patienten.

Langfristige Risiken können die Schädigung der Fruchtbarkeit bei Frauen und Männern sein. Je älter die Frauen sind, desto größer ist das Risiko, dass die Menstruation auch langfristig ausbleibt und es frühzeitig zur Menopause kommt. Deshalb sollten, wenn die Familienplanung noch nicht abgeschlossen ist, Eizellen bzw. Samenzellen vor der aHSZT gesammelt und eingefroren werden (eine Beratung bei einem Kinderwunschzentrum ist empfehlenswert).

Späte Risiken sind sogenannte Zweitautoimmunerkrankungen, wie eine Schilddrüsenentzündung, entzündliche Darmerkrankungen oder auch Schädigungen im Gerinnungssystem. Rechtzeitig erkannt, können diese Erkrankungen alle gut behandelt werden. Diese können bei bis zu 5 % auftreten. Auch von einem erhöhten Krebserkrankungsrisiko muss ausgegangen werden: Ca. 3 % der Transplantierten entwickeln bösartige Tumore.

Wie viele Erfahrungen mit aHSZT gibt es in Deutschland?

Deutschland bildete in Europa lange Zeit das Schlusslicht im Bereich der aHSZT mit genauso vielen Transplantationen wie Norwegen, das 1/10 der deutschen Bevölkerung hat. Die meisten Erfahrungen gibt es in Hamburg und Heidelberg. Im krankheitsbezogenen Kompetenznetz Multiple Sklerose, kurz KKNMS, besteht seit 2022 eine Arbeitsgruppe zu diesem Thema, die Empfehlungen für Deutschland herausgegeben hat (s. Abb. 2). Darüber hinaus sammelt diese Arbeitsgruppe in einem speziellen Modul des deutschen MS-Registers alle Patienten, die sich haben transplantieren lassen. Aktuell geht man von ca. 120 Patienten aus Deutschland aus.

Ziel der Analyse ist es, die Empfehlungen zu verbessern und Fragen zu klären wie:

  • Nutzt die aHSZT auch bei chronischen Verläufen?
  • Nutzt die aHSZT auch MS-Verläufen über mehr als 15 Jahren und bei Betroffenen, die älter als 50 Jahre sind?
  • Nutzt die aHSZT auch bei Betroffenen, die nicht mehr laufen können?
  • Welche Komplikationen treten auf?

Wer übernimmt die Kosten?

Eine Kostenübernahme muss bei der Krankenkasse beantragt werden. Oft verweisen die Kostenträger auf die formal rechtlich nicht notwendige Genehmigung von Behandlungen im Krankenhaus. Betroffene und Ärzte müssen für eine ausdrückliche Zustimmung zur aHSZT oft kämpfen. Wenn die Krankenkasse dies nach Rücksprachen mit dem medizinischen Dienst mit bis zu drei Monaten Bearbeitungszeit ablehnt, kann ein Widerspruch erfolgen.

Bei weiterer Ablehnung muss entschieden werden, ob der Betroffene den Rechtsweg einschlägt. Wenn dokumentiert ein Versagen einer Therapie mit Kategorie-3-Medikamenten (z.B. Ocrelizumab) vorliegt und die Gehstrecke noch 100 m oder besser ist, sind die Chancen vor dem Sozialgericht nicht schlecht. Alternativ bleibt die Finanzierung mit eigenen Mitteln oder Spenden. Die Kosten belaufen sich je nach Klinik auf 50.000 bis 75.000 Euro.

Wo kann man sich zur aHSZT beraten lassen?

Alle MS-Zentren in Deutschland haben sich mit der Datenlage zur aHSZT auseinandergesetzt und können dazu beraten. Umfangreichere Erfahrungen gibt es vor allem in Hamburg oder Heidelberg.

Wie kann man sich eine aHSZT ganz praktisch vorstellen?

Wenn die Kostenübernahme vorliegt, sollte zuerst die Samen- oder Eizellkonservierung geplant werden. Es folgt eine Ausgangsuntersuchung mit neurologischer Untersuchung, MRT, idealerweise neuropsychologischer Diagnostik und verschiedenen klinischen Tests. Der nächste Schritt ist die Mobilisation (s.o.), bei der meist ein kurzer Klinikaufenthalt von 2 bis 3 Tagen notwendig wird. Nach Entlassung müssen sich Betroffene für einige Tage einen Wachstumsfaktor subkutan spritzen. Manchmal tritt in dieser Zeit bedingt durch die Chemotherapie eine vorübergehende Besserung von MS-Beschwerden auf. 10 Tage später erfolgt, meist wieder über 1 – 2 Tage Klinikaufenthalt, eine Absammlung der Stammzellen (s.o.).

Innerhalb von 3 bis 6 Wochen, manchmal auch später, sollte die Transplantation erfolgen (mit stationärem Aufenthalt von ca. drei Wochen). Dabei ist der Betroffene ca. eine Woche isoliert in seinem Zimmer und darf nur mit Hygieneschutz besucht werden. Nach Entlassung ist das Immunsystem grundsätzlich wieder funktionsfähig. In den ersten drei Monaten sollte eine engmaschige Überwachung erfolgen, am besten bei einem Hämato-Onkologen. In dieser Zeit erhält man weitere Medikamente zur Verhinderung von Infektionen. Kontakt mit größeren Menschenmengen müssen vermieden werden. Aber ein normales Familienleben und auch Besuche von Freunden sind möglich. Größere Feiern sind nicht sinnvoll.

Idealerweise erfolgt eine neurologische Betreuung alle drei Monate im ersten Jahr nach der Transplantation. Mindestens drei Monate nach der Transplantation und auch jährlich im Verlauf sollte eine Vorstellung in der Transplantationsklinik erfolgen. Ab dem dritten Monat, spätestens ab dem sechsten Monat sollten alle Impfungen überprüft (Titerkontrolle) und nachgeimpft werden. Auch die COVID-Impfung wird 3 – 6 Monate nach Transplantation empfohlen. Eine Reha nach 6 – 12 Monaten ist ferner sinnvoll.

Mesenchymale Stammzelltransplantation

Eine andere Gruppe von Stammzellen im Knochenmark sind mesenchymale Stammzellen (MSZ). MSZ können verschiedene Zellarten des Skeletts, wie Knorpel, Knochen und Fett, herstellen. Wissenschaftler untersuchen, wie MSZ eingesetzt werden könnten, um Knochen- und Knorpelkrankheiten wirksam zu behandeln. MSZ haben auch eine immunregulierende und möglicherweise nervenschützende Funktion. Zahlreiche, sehr kleine Studien wurden bisher durchgeführt und laufen aktuell auch. Diese sprechen dafür, dass MSZ bei MS eingesetzt werden könnten. Belastbare Hinweise für einen Effekt auf Schubrate, Beeinträchtigung oder MRT-Aktivität finden sich bis dato nicht.

Neuronale Stammzelltransplantation

2022 berichteten Forscher aus Mailand über 12 MS-Betroffene mit fortgeschrittener Beeinträchtigung, die mit neuronalen Stammzellen, gewonnen aus abgetriebenen Embryonen, behandelt worden sind. Die Ethikkommission der Hochschule hatte der Studie zugestimmt. Über vier Wochen erfolgte jeweils wöchentlich die Injektion der Zellen wie bei einer Lumbalpunktion in den Rückenmarkskanal in unterschiedlichen Dosierungen. Zwei Jahre wurden die Betroffenen nach beobachtet. Es fanden sich keine schweren Nebenwirkungen, auch keine Hinweise auf das Wachsen von Tumoren im Nervensystem. Die Beeinträchtigung veränderte sich nicht. Die Patienten mit der höchsten Dosis von Stammzellen zeigten im Verlauf die geringste Hirnatrophie als möglichen Hinweis auf einen Nutzen. Weiteres gilt es zu prüfen. Außer dieser Studie liegen nur Untersuchungen am Tiermodell der MS vor. Diese haben viele Veränderungen im Gewebe gezeigt, der Nutzen, bezogen auf die Beeinträchtigungen der Tiere, war nicht eindeutig.

Hinweis: Darüber gibt es unter amsel.de/videos auch ein Videointerview mit Prof. Dr. med. Mathias Mäurer:

Zusammenfassung

Nach aktuellem Kenntnisstand ist die autologe hämatopoetische Stammzelltransplantation, kurz aHSZT nicht nur die eingreifendste und nebenwirkungsreichste, sondern vermutlich auch die effektivste Therapieform für die hochentzündliche bzw. hochaktive Form der Multiplen Sklerose. Bei der Unterdrückung von Krankheitsaktivität scheint sie den zugelassenen Therapien gegenüber überlegen, wobei dies nicht im Rahmen einer größeren kontrollierten Studie überprüft wurde. Dem stehen die Risiken von Komplikationen bis hin zum Tod gegenüber. Alle anderen Stammzelltransplantationsverfahren sind kaum untersucht bzw. haben bisher keine überzeugenden Wirksamkeits- und Sicherheitsdaten geliefert. Mit Stand vom März 2024 gibt es dazu keine Studien in Deutschland. Bei progredienten Formen wissen wir noch zu wenig. Viele Antworten gibt es schon, viele Schritte müssen noch getan werden.

Autor: Prof. Dr. med. Christoph Heesen, Oberarzt und Leiter der MS-Ambulanz der Klinik und Poliklinik für Neurologie am Universitätsklinikum in Hamburg-Eppendorf sowie Leiter der deutschen Taskforce zur autologen MS-Stammzelltherapie (aHSZT) des KKNMS.

Quelle: together, 01.2024

Redaktion: AMSEL e.V., 26.08.2024