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Retrospektive Studie aus Kanada mit methodischen Schwächen

Beta-Interferone ohne langfristige Wirkung auf Behinderung bei schubförmiger Multipler Sklerose ?

Zu diesem Schluss kommt nun eine retrospektive Studie aus Kanada. Die Forscher räumen jedoch methodische Schwächen ein. Beta-Interferone zur immunmodulatorischen Therapie der MS sind in den 90ern eingeführt worden und gelten längst als Standardtherapie beim schubförmigen Verlauf. Sie verhindern nachweislich einen Teil der Entzündungen und Schübe und sollten daher auch den Krankheitsfortschritt, also die Zunahme von Behinderungen verlangsamen. Genau das lassen jedoch die jüngsten Studienergebnisse bezweifeln.

Die retrospektive Studie mit Patientendaten aus British Columbia, Kanada, verglich die Daten dreier Gruppen, zusammen 2.556 Patienten, miteinander:

  • 1/3 der Patienten wurde seit 1995 mit Beta-Interferonen behandelt,
  • 1/3 erhielt nicht diese Therapie und
  • ein weiteres 1/3 bestand aus historischen Patientendaten vor der Einführung der Beta-Interferone, hatte also auch keine solche Behandlung erhalten.

Multiple Sklerose weiter immunmodulatorisch behandeln

Primärer Endpunkt der Studie war der Anteil der Patienten mit EDSS 6, d.h. Patienten, die für eine 100-m-Strecke einen Gehstock brauchen. Weder gegenüber der gleichzeitigen noch gegenüber der historischen Gruppe konnte die Beta-Interferon-Gruppe den Krankheitsfortschritt signifikant drosseln. Die zeitgleich nicht behandelten Patienten wiesen ein leicht vermindertes Progressionsrisiko auf, während die historische Gruppe ein leicht erhöhtes Risiko hatte.

Damit ist die Empfehlung zur immunmodulatorischen Behandlung mit Beta-Interferonen jedoch keineswegs vom Tisch. Der Grund: Die Studie hat Schwachstellen. Zwar arbeiten die Forscher auf sehr hohem Niveau und mit seriösen Daten. Doch zum Einen sind 5,1 Jahre Nachbeobachtungszeit möglicherweise nicht ausreichend, um den langfristigen Effekt einer Therapie abschließend zu beurteilen. Dann konnten hohe Titer neutralisierender Antikörper nicht mit in die Daten eingehen. Diese verbindet man mit einer verminderten Wirkung der Beta-Interferone. Die Tests gehörten 1995 jedoch noch nicht zum Praxisalltag.

Zum anderen könnten die Daten bei allen Anpassungsversuchen zwischen den Gruppen (vergleichbares Geschlecht, Alter, Krankheitsdauer, EDSS) ein verzerrtes Ergebnis widerspiegeln: Eventuell sind in der nicht behandelten Gruppe solche Patienten, die ohnehin nicht für die Immuntherapie in Frage gekommen wären. Das hieße Äpfel mit Birnen vergleichen, und würde das Studienergebnis disqualifizieren.

Zu erwarten ist, dass die Initiatoren der Zulassungsstudien für Beta-Interferone dieses Ergebnis anzweifeln. Laut den Wissenschaftlern hinter der aktuellen unabhängigen Retrospektivstudie bleiben die jedoch seriösen Nachweis zum langfristig reduzierten Behinderungszuwachs schuldig.

Einen ausführlichen Text in englischer Sprache plus Grafiken findet man auf der Seite des Journals of the American Medical Association (JAMA):

Quelle: JAMA, 18.07.12

Redaktion: AMSEL e.V., 19.07.2012