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Rätsel an der Blut-Hirn-Schranke bei Multipler Sklerose

Deutsche Forscher haben eins der Rätsel an dieser Schranke gelöst: Ein bestimmtes Molekül kann schädlich und unschädlich zugleich sein - je nachdem, wo es auftritt.

Die Blut-Hirn-Schranke schützt unser Gehirn vor fremden Angreifern und lässt normalerweise nicht einmal körpereigene Abwehrzellen hindurch. Bei der Multiplen Sklerose, so die grob zusammengefasste Hypothese bis heute, schaffen es körpereigene Abwehrzellen durch die Blut-Hirn-Schranke, kurz: BHS, hindurch und zerstören im Gehirn irrtümlich Myelin, also körpereigenes Gewebe. Das wiederum führt mit der Zeit zu immer größeren Schäden an den Nerven selbst. Man spricht daher bei MS von einer Autoimmunkrankheit.

Die BHS muss man sich wie einen besonders geschützten Bereich unserer Gefäße vorstellen. Während überall im Körper Immunzellen aus den Blutgefäßen auswandern können, um an die Stellen zu gelangen, wo sie einen Feind schadlos machen sollen, sind die Blutgefäßwände, die das Gehirn versorgen, von innen gewissermaßen mit einer Anti-Immunzellenschicht tapeziert: den Endothelzellen. Die BHS kann aber durchlässig werden. Zum Beispiel bei Multipler Sklerose.

Viel VCAM-1 = viel Entzündung ?

Länger bekannt ist, dass zwei Moleküle den Prozess der Durchlässigkeit unterstützen: Das Molekül Integrin alpha-4/beta-1 und das Molekül VCAM-1 - das Vascular Cell Adhesion Molecule-1, sorgen gemeinsam dafür, dass die BHS durchlässig wird. Denn VCAM-1, das normalerweise fest auf den abschottenden Endothel-Zellen sitzt, bietet dem Integrin, dem Rezeptor der Immunzellen, eine Andockstelle. Blockiert man das Integrin auf den Immunzellen, können diese nicht mehr durch die Gefäßwand der Blut-Hirn-Schranke ins Gehirn einwandern. Das passiert etwa bei der Therapie mit Natalizumab.

Bei Entzündungen jedoch löst sich eine bestimmte Variante des VCAM-1 von den Endothelzellen und kann in die Blutbahn wandern, wo man es dann nachweisen kann. Hohe Konzentration an VCAM-1 gleich hohe Entzündungsaktivität bei einem Patienten mit Multipler Sklerose, lautete daher bislang die einfache Formel.

Widerspruch erklärt

Ein großes Rätsel war allerdings für die Forscher, warum bei der Behandlung mit Interferon-Beta das Umgekehrte galt: Je höher die VCAM-1-Konzentration im Blut, desto geringer ist hier bei MS-Patienten die Entzündungsaktivität. Dieser Fund verwirrte die Fachwelt.

Ein niederländisch-deutsches Forscherteam kann nun erklären, woher das Integrin kommt: Nämlich gar nicht von den hirnversorgenden Blutgefäßen, sondern, so die Vermutung, von der entzündlichen Einstichstelle selbst. Das Beta-Interferon löst an dieser Stelle eine Integrinvermehrung aus, vermutlich nimmt die VCAM-1-Konzentration auf dem Weg zur BHS ab, weswegen sie dort keine weitere Störung hervorrufen kann.

VCAM-1 macht Blut-Hirn-Schranke durchlässig

"Wir konnten zeigen, dass nicht nur Immunzellen, sondern auch die Endothelzellen der Blut-Hirn-Schranke Integrin alpha-4/beta-1 auf ihrer Zelloberfläche tragen", fasst Mathias Buttmann, Oberarzt an der Neurologischen Universitätsklinik Würzburg und Leiter der dortigen Neuroimmunologischen Spezialambulanz, das zentrale Ergebnis der Gemeinschaftsarbeit mit der Universität Amsterdam zusammen. Und unter entzündlichen Bedingungen produzierten die Hirnendothelzellen vermehrt von dem Molekül.

Wurden die Endothelzellen mit der gelösten Variante von VCAM-1 stimuliert, entwickelten sie eine Störung ihrer Barrierefunktion. Waren sie allerdings mit Natalizumab vorbehandelt, blieb die Barrierefunktion weitgehend erhalten.

"So konnten wir belegen, dass die gelöste VCAM-1-Variante über Integrin alpha-4 die Schrankenfunktion menschlicher Hirnendothelzellen stört", erklärt Dr. Axel Haarmann, Mitglied von Buttmanns Arbeitsgruppe und Erstautor der jetzt veröffentlichten Studie.

Quelle: Universität Würzburg, 08.04.2015; Neuropathologica, 27.03.2015

Redaktion: AMSEL e.V., 09.04.2015