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Propionsäure bei MS wirksam?

Eine Studie zeigt, dass Propionate als Add-On zur verlaufsmodifizierenden Therapie einen guten Einfluss auf die Krankheitsprogression bei Multipler Sklerose haben können.

Der Darm ist weit mehr als ein bloßer Schlauch für Nahrung. Hier treten Nahrung, Bakterien und deren Ausscheidungen miteinander in Interaktion. Je nachdem, wie das sogenannte Mikrobiom ausgestattet ist, welche Bakterien in welchem Anteil vorhanden sind, hat der Darm unterschiedliche Auswirkungen auf unser Immunsystem und sogar auf unser Gehirn. Man spricht heute darum auch manchmal vom Darmhirn.

Freilich kann somit auch was wir essen Auswirkungen auf die Struktur unserer Darmflora haben. Mit unserer Nahrung können wir beeinflussen, welche Bakterien zu welchem Anteil im Darm vertreten sind. Stoffe wie die Propionsäure, das ist eine kurzkettige Fettsäure, und ihr Salz, das Propionat, haben besonderen Einfluss auf das Mikrobiom und auf unser Immunsystem: Sie fördern regulatorische T-Zellen. Und das sind genau die Zellen, die eine überschießende Autoimmunantwort bremsen können. Normalerweise stellen Darmbakterien den Stoff in ausreichender Menge her, bei MS-Patienten findet sich jedoch oft wenig davon in der Darmflora.

Propionat bei MS als Add-On zur Therapie

Der Verdacht, dass die Propionsäure sich – ergänzend zu verlaufsmodifizierenden  Therapien – positiv auf die Multiple Sklerose auswirken könnte, steht schon eine Weile im Raum: amsel.de hatte berichtet (s. die Linkliste am Ende des Textes).

Ein Team der Neurologischen Klinik der Ruhr-Universität Bochum (RUB) im St. Josef-Hospital lieferte den Nachweis. Die internationale Studie unter der Leitung von Prof. Dr. Aiden Haghikia, gestern in der renommierten Zeitschrift Cell publiziert, zeigt: Propionsäure, zusätzlich zu MS-Medikamenten eingenommen, kann die Schubrate reduzieren, langfristig die Behinderungsprogression eindämmen und mindert möglicherweise zudem die Hirnatrophie, also den übermäßigen Untergang von Hirngewebe. Hierzu sind die Untersuchungen noch im Gange. Auch müssen die durchaus positiven Ergebnisse noch mit Vorsicht bewertet werden: Die Evidenzstufe der Studie ist niedrig; es gibt bisher keine kontrollierten Daten.

Das Team konnte nicht nur die positiven Experimente von der Petrischale auf den Patienten übertragen, sondern zeigte in Kooperation mit dem Max-Delbrück-Centrum Berlin und den Ernährungswissenschaften der Universität Halle-Wittenberg auch, dass vor allen Dingen jüngere MS-Patienten am Anfang ihrer Erkrankung einen Propionsäuremangel haben. Interessant auch: Nach nur 2 Wochen war die Zahl der sogenannten Tregs normalisiert. Und es konnte ein positiver Einfluss auf den Hirnschwund gemessen werden.

Emmentaler-Käse enthält Propionate

Wissenschaftler aus Israel hatten ein Darm-Modell entwickelt, um das Mikrobiom zu erforschen. Zusammen mit ihnen gelang es den RUB-Forschern, zu zeigen, auf welchem Weg die Propionsäure die regulatorischen Zellen stärkt: Das Propionat verändert die Mitochondrien, welche die regulatorischen T-Zellen besser mit Energie versorgen können. Somit entstehen mehr Tregs. Haghikia geht davon aus, dass die Erforschung des Darms und speziell der Darmflora noch weitere Therapien für Krankheiten hervorbringen wird.

Propionate, also das Salz der Propionsäure, sind in (länger gelagertem) Emmentalerkäse enthalten, und zwar ausgerechnet um die Löcher herum. Früher war der Stoff sogar dem Brot zugesetzt. Damals hätte man täglich ca. sechs Scheiben Brot essen müssen, um auf 1.000 mg Propionat zu kommen. Propionsäure ist ein Nahrungsergänzungsmittel. Von Selbstmedikation auf eigene Faust ist abzuraten, zumal, wenn sie nur "technische Reinheit" aufweist. Zunächst müssen größer angelegte Studien die Wirkung bestätigen.

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Quellen: Cell, 10.03.2020; Pressemitteilung der RUB, 10.03.2020.

Redaktion: AMSEL e.V., 11.03.2020