PML unter Ocrelizumab?

Der erste Wirkstoff gegen progrediente Multiple Sklerose könnte PML auslösen. Schuld an dem aktuellen PML-Fall ist möglicherweise aber auch das zuvor verabreichte Natalizumab.

Bisher, so viel sei erwähnt, hat der Wirkstoff Ocrelizumab, der seit Ende März in den USA unter dem Namen Ocrevus auch für die primär progrediente MS zugelassen ist, keinen Fall von PML (progressiver multifokaler Leukenzephalopathie) bei Patienten ausgelöst. Seit dem Wochenende ist nun der erste PML-Fall unter Ocrelizumab bekannt, doch könnte auch Tysabri die PML ausgelöst haben, denn diesen Wirkstoff nahm der betroffene Patient bis vor Kurzem ein.

Wie Medical News Today berichtet, handelt es sich bei dem Betroffenen um einen Deutschen. In Deutschland wird Ocrelizumab bisher nur innerhalb von Studien sowie in einem Härtefallprogramm verwendet. Der Mann soll zuvor 3 Jahre lang Natalizumab (Tysabri) bekommen haben, die letzte Infusion im Februar. Im April erhielt der Mann dann eine Dosis Ocrelizumab. Es ist deshalb bisher nicht klar, ob Natalizumab oder Ocrelizumab der Auslöser für die PML war. Nach 2 Jahren Natalizumab erhöht sich das PML-Risiko unter diesem Medikament. Der Ocrelizumab-Hersteller Roche prüft den Fall derzeit.

Ursache für PML kann auch in vorangegangenem Medikament liegen

Bei PML handelt es sich um eine gefürchtete Nebenwirkung. PML ist eine schwere Hirnentzündung ausgelöst durch das John-Cunningham-Virus (JCV). Sie zerstört Hirnareale, kann MS-ähnliche Symptome hervorrufen und zu sehr schweren Symptomen, sogar zum Tod führen.

Alle immunsuppressiven Wirkstoffe könnten - so weit die Theorie - PML als Nebenwirkung hervorrufen, zumal sie die Blut-Hirn-Schranke (teilweise) schließen. Unter den Multiple-Sklerose-Medikamenten kam es bisher zum Beispiel bereits bei Natalizumab, Fingolimod und Dimethylfumarat zu PML. Auch Rituximab, ein (für MS nicht zugelassener) Vorläufer von Ocrelizumab, konnte PML triggern. Die Häufigkeit, mit der ein Wirkstoff zu PML führt, scheint unter den MS-Medikamenten unterschiedlich hoch zu sein.

Bei Tysabri ist das Risiko im Beipackzettel mit "gelegentlich", also bis zu 1 von 100 behandelten Patienten angegeben. Bei Fingolimod etwa trat es erst in der Nachbeobachtungszeit nach der Zulassung auf. Hier steht im Beipackzettel zur Häufigkeit "unbekannt" und "unerwünschte Arzneimittelwirkungen aus Spontanberichten und Literatur". Unter Dimethylfumarat gab es bis März 2017 weltweit 5 PML-Fälle.

Abwägen und Abstände einhalten

Die Frage, ob man trotz bekannter Nebenwirkungen ein Medikament einnimmt, wird immer ein Abwägen von Wirkung und möglichen Nebenwirkungen sein. Bei Tysabri etwa ist bekannt, dass ein vorhandener (niedriger) JC-Titer und eine Therapiezeit von über 2 Jahren das Risiko für eine PML erhöht. Bei Dimethylfumarat scheint es wichtig, die Lymphozytenwerte in angepassten Abständen zu überprüfen.

Mehr noch spielt immer häufiger die Vorbehandlung eine Rolle. Im vergangenen Jahrzehnt erlebte die Multiple Sklerose einen enormen Zuwachs an Therapien. Das ist gut, weil immer bessere, immer individuellere Behandlungen damit möglich sind. Doch der Umstand ist es auch, der zu mehr Wechselwirkungen führt.

Gerade bei einer immunsuppressiven Therapie in der Vergangenheit ist es wichtig, Mindestabstände einzuhalten, um sicherzustellen, dass der vorherige Wirkstoff weitestgehend ausgewaschen ist. Hierfür gibt es Vorgaben. Wie die bei Ocrelizumab ausfallen werden, steht mangels Zulassung in Deutschland noch nicht fest. Der nun aufgetretene PML-Fall könnte eine entsprechende Vorschrift begünstigen.

Quelle: Multiple Sclerosis News Today, 25.05.2017; www.ms-docblog.de , 30.03.2017

Redaktion: AMSEL e.V., 29.05.2017