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PIRA: schubfreie Verschlechterung von Symptomen

Gibt es Risikofaktoren zu Beginn einer MS, die einen späteren degenerativen Krankheitsfortschritt begünstigen? Spanische Forscher sind der Frage nachgegangen.

In den meisten Fällen schreitet eine Multiple Sklerose zunächst schubförmig voran. Der schubförmige, entzündliche Anteil nimmt, mal schneller, mal langsamer ab, und wird ersetzt durch eine immer "degenerativere" Phase ohne Schübe. Man spricht auch von der schubförmig-remittierenden und der sekundär-progredienten Form der MS. Die Übergänge sind jedoch fließend.

Ganz entscheidend ist, dass bis heute der entzündliche Anteil der MS deutlich besser mit Medikamenten zu bremsen ist als der schleichend degenerative (auch wenn es zunehmend Zulassungen für die schleichenden Verlaufsformen gibt, siehe "MS behandeln"). Hier hat sich PIRA, nach dem englischen „Progression Independant of Relapse Activity", als Begriff etabliert. PIRA bezeichnet also bei der MS Krankheitsfortschritt unabhängig von Schubaktivität. Je früher es bei einer Patientin oder einem Patienten zu PIRA kommt, desto eher sind bleibende Einschränkungen und Behinderungen zu befürchten.

Wann beginnt PIRA?

Symptome innerhalb von PIRA können zum Beispiel eine sukzessiv nachlassende Gehfähigkeit bzw. zunehmend schlechteres Gehen sein, aber auch allmählich auftretende Probleme mit der Aufmerksamkeit, nachlassende Feinmotorik, sich allmählich verschlechternde Rumpfstabilität etc. PIRA-Symptome bilden sich nicht zurück (im Unterschied zu vielen Symptomen im Zuge eines Schubes).

Ein spanisches Forscherteam wollte herausfinden, ob man solche Patienten bereits bei Beginn der Erkrankung erkennen (und dann entsprechend behandeln) kann. In einer aufwändigen Langzeit-Beobachtungsstudie mit Daten von 1.128 MS-Patienten, die sich alle im MS-Zentrum in Katalonien vorgestellt hatten und danach regelmäßig dort untersucht wurden, analysierten sie viele verschiedene Parameter am Anfang der MS (CIS) und im weiteren Verlauf, die helfen könnten, das Risiko für PIRA individuellen Patienten vorherzusagen.

Um es zusammenzufassen: Keiner der untersuchten Parameter – bis auf das Alter bei MS-Beginn – hatte eindeutigen Einfluss auf PIRA. Je älter die Patienten also beim ersten MS-verdächtigen Symptom waren, desto eher entwickelten sie später PIRA. 31 % aller untersuchten Patienten erfuhren eine „frühe“ PIRA, d. h. schubunabhängige Krankheitsverschlechterung trat bei Ihnen bereits innerhalb von fünf Jahren nach Krankheitsbeginn ein. Je früher PIRA eintritt, desto eher ist mit einem Fortschreiten der Behinderungen zu rechnen.

Die Wissenschaftler unterschieden außerdem zwischen aktiver und nicht-aktiver PIRA, je nachdem, ob T2-gewichtete Läsionen im Zusammenhang mit PIRA auftraten. Das ist vor allem für die Behandlung wichtig, denn für eine sekundär-progrediente MS mit aufgesetzten Schüben stehen mehr Therapien zur Verfügung als für eine rein progrediente MS.

Wichtig: Alter bei MS-Eintritt

Dass das Alter einen großen Einfluss auf den Fortschritt einer Multiple Sklerose hat, ist wenig überraschend. Umgekehrt ist nämlich bekannt, dass die Regenerationsfähigkeit des Gehirns bei allen Menschen im Laufe der Zeit nachlässt. So ist es – zum Glück – so, dass sich MS-Schübe in der Kindheit oder Jugend deutlich schneller und besser regenerieren als später. Und, auch das schon lange bekannt: je früher nach Krankheitsbeginn man mit einer krankheitsmodulierenden Therapie beginnt, desto später erfolgt erfahrungsgemäß der Übergang in die sekundär-progrediente Phase.

Wobei PIRA und die sekundär-progrediente Phase nicht gleichzusetzen sind. Schleichende Verschlechterungen der MS kann man neben Schüben, also noch in der schubförmigen Phase, erfahren. Bzw. es wird schon lange unterschieden zwischen sekundär-progredienter Phase mit und ohne aufgesetzten Schüben. Man muss sich den Vorgang eher als allmähliches Ablösen der entzündlich schubförmigen Phase durch eine schleichend voranschreitende Phase vorstellen.

Wissenschaftler weltweit sind jedoch weiterhin auf der Suche nach Risikofaktoren und Parametern, welche dem individuellen Patienten eine genauere Prognose seines Verlaufs und damit die bestmögliche Behandlung ermöglichen können. Hier spielen auch Biomarker eine Rolle.

Quelle: JAMA Neurology, 22.12.2022.

Redaktion: AMSEL e.V., 23.01.2023