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Partnerschaft und MS - psychologische Beratung finden Sie bei AMSEL

Michael Berthold, langjähriger psychologischer Experte bei AMSEL, wird ab 15. September 03 ein Themenforum zu "Partnerschaft und MS" begleiten. Wie Multiple Sklerose (MS) die Partnerschaft im Einzelnen beeinflussen kann, faßt er hier für Sie zusammen.

(Together 3/2003) Partnerschaften mit MS sind konfrontiert mit besonderen Belastungen und Herausforderung für beide Partner. Bei MS gilt es nämlich umzugehen mit einer Vielzahl von Veränderungen:

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besondere Belastungen bei MS:
 - Schock der Diagnosestellung,
- Unklarheit von Prognose und individuellem Verlauf der Erkrankung
- Unzuverlässigkeit von Symptomen (z.B. Tagesschwankungen)
- Unheilbarkeit der Erkrankung und den Fragen bezüglich
Wirksamkeit medizinischer Behandlungen. 

Oben genannte Veränderungen werden als schicksalshaft erlebt und lösen beim Erkrankten wie beim gesunden Partner vielfältige seelisch-emotinale Reaktionen wie z.B. Ängste, Sorgen, Niedergeschlagenheit, Zorn aus. Diese Gefühle wahrzunehmen, Einfühlung und Verständnis für sich selber und den anderen zu entwickeln und sich offen darüber auszutauschen, stellen eine erhebliche Herausforderung an das Paar dar.

Stehen in der ersten Zeit der Erkrankung zunächst die Fragen der medizinischen Behandlung und der seelisch-emotionalen Bewältigung im Vordergrund, gilt es im weiteren Verlauf der MS (falls Behinderungen auftreten und bestehen bleiben) häufig auch mit Veränderungen in den Lebensvollzügen im Alltag z.B. Beruf, Rollenverteilung, Freizeit, Finanzen fertig zu werden.

Auf den Prozess der Bewältigung als Paar haben die individuelle Verarbeitungsform, Dauer, Struktur und Qualität der Beziehung, Schweregrad der Erkrankung, Geschlecht des Kranken sowie Lebensstil und Lebensphase der Partnerschaft erheblichen Einfluss.

In einer Langzeituntersuchung (Ziegeler, 2002) wurden folgende Formen partnerschaftlicher Bewältigung der MS gefunden:

1. MS als gemeinsame Aufgabe des Paares

Diese Paare stellen sich der Diagnose MS, beschaffen sich Informationen über alle Aspekte der Krankheit und tauschen sich miteinander offen aus. Sie sind bereit, sich Angst und Sorgen wechselseitig mitzuteilen, was Vertrauen und Sicherheit besonders beim Kranken stärkt. Sie versuchen, gleichberechtigte Eigenständigkeit zu erhalten, indem sie gesunde Fähigkeiten des Erkrankten stützen und fördern. Dieser versucht Hilfen durch den gesunden Partner nur in unbedingt notwendigem Umfang zu erhalten, in dem er so aktiv und leistungsfähig wie möglich bleibt.

Diese Paare erleben sich überwiegend als gesund und leistungsfähig, haben meist leichte Verläufe und geringe Grade der Beeinträchtigung. In der alltäglichen Lebensführung nimmt die MS bei diesen Paaren relativ geringen Raum ein.

Wenn nun in jüngeren Jahren schwerere, bleibende Beeinträchtigungen auftreten, ist das Paar vor besondere Herausforderungen gestellt. Der MS-Betroffene muss die Krankheit und seine Folgen in sein Selbstbild integrieren, d.h. die Verluste und Kränkungen durch die MS seelisch-emotional verarbeiten und eine neue Identität als chronisch Kranker entwickeln. Je besser dieses gelingt (manchmal ist dafür psychologisch-psychotherapeutische Hilfe sinnvoll und erforderlich), um so wirkungsvoller ist die Unterstützung eines verständnisvollen und hilfsbereiten Partners. Bleibt die individuelle Verarbeitung jedoch ambivalent und von Minderwertigkeitsgefühlen, Phasen von Verzweiflung Depressivität geprägt, kann das zur Überforderung des Partners führen und damit die Partnerschaft möglicherweise sehr belasten. Spätestens dann empfiehlt sich für das Paar den Austausch und die Hilfe durch Dritte (Selbsthilfegruppe, Eheberater) zu suchen.

Vergleichsweise besser mit den Einschränkungen ihrer Lebensführung infolge der Krankheit werden Paare dann fertig, wenn zunehmende Beeinträchtigungen einhergehen mit dem natürlichen Alterungsprozess, d.h. bei älteren Paaren mit längerer gemeinsamer Geschichte, die sich auf die ihnen noch verbleibende gemeinsame Zeit hin orientieren können.

Paare, die die MS als gemeinsame Aufgabe und Herausforderung sehen, stellen immer wieder flexibel eine Balance zwischen gemeinsamen Bedürfnissen und individueller Hilfsbedürftigkeit her und sind fähig, immer wieder über Lebensstil und Lebensziele miteinander offen zu verhandeln.

2. Paare, die um Normalität kämpfen und sie um jeden Preis aufrechterhalten

Diese Paare, bei denen in der o.g. Untersuchung die meisten MS-erkrankten Männer waren, versuchen krankheitsbedingte Veränderungen so gering wie möglich zu halten und den früheren Lebensstil unter allen Umständen beizubehalten. Die MS bleibt primär eine Angelegenheit des Kranken, der vieles erst einmal mit sich allein abmacht. Diese Vermeidungshaltung soll der gesunde Partner unausgesprochen unterstützen. Längerfristig ist ihm dieses nur durch innere Distanzierung und Betonung eigener Interessen möglich. Besorgnis, fürsorgliches Verhalten oder Unterstützungsangebote seitens des Partners über das vom Kranken gewünschte Maß hinaus, werden zurückgewiesen, denn es bedeutet im Erleben des Kranken ein kränkendes Eingeständnis von Hilfsbedürftigkeit und Minderwertigkeit. Dieses käme einem Verschieben des partnerschaftlichen Gleichgewichts gleich, was der Erkrankte um jeden Preis vermeiden möchte. So wird die Illusion einer unveränderten Lebenssituation von beiden Partnern aufrecht erhalten, trotz vielleicht längst eingetretener gravierender Veränderungen.

Diese Paare verfügen über wenig Möglichkeit, sich über Gefühle z.B. von Erschöpfung und Überforderung auszutauschen und sich dadurch zu entlasten. Jede gesundheitliche Verschlechterung kann nur aufgefangen werden durch vermehrte physische und psychische Anstrengung.

Bei günstigem Verlauf ist diese Form der Krankheitsbewältigung in der Partnerschaft lange aufrechterhaltbar. Bei schlechtem Verlauf führt die mangelnde Flexibilität jedoch meist zu krisenhaften Zuständen, für die das Paar gedanklich und praktisch keine Zukunftsvorsorge getroffen hat. Wenn es diesen Paaren dann gelingt, sich der Realität und den damit verbundenen schmerzhaften Gefühlen zu stellen, können manchmal nur mit Hilfe von Paarberatung neue Wege und Möglichkeiten für ein verändertes Zusammenleben gefunden werden.

3. Die MS dominiert das Leben des Paares

Bei diesen Paaren hat sich die Partnerschaft durch einen schlechten Verlauf, der zu schwerer Behinderung führte, nachhaltig verändert. Spielräume und Möglichkeiten für unbeeinträchtigte Gemeinsamkeiten haben sich deutlich reduziert. Dennoch nimmt das Paar soweit als möglich Aktivitäten war und der erkrankte Partner wird in Entscheidungen einbezogen. Dem gesunden Partner wachsen nach und nach jedoch immer mehr Funktionen von Haushaltsführung, Versorgung und Pflege zu. Damit einher geht eine Verlagerung des Gleichgewichts innerhalb der Partnerschaft derart, dass der Gesunde die Hauptverantwortung im Alltag mit der Tendenz zur Überlastung trägt. Hilfen durch außenstehende Dritte (Pflegedienste, Nachbarschaftshilfen etc.) sind existenziell für den Bestand dieser Form des Zusammenlebens. Wo dieses nicht ausreichend realisiert wird und insbesondere die gesunde Partnerin nicht krankheitsunabhängige Freiräume allein für sich lebt, droht eine latente körperliche und seelische Überforderung bis hin zur Aufopferung (besonders bei pflegenden Frauen anzutreffen), die den Bestand des Zusammenlebens und der Partnerschaft gefährden können.

In diesen Partnerschaften ist es erforderlich, die Grenzen der Verantwortung für sich selber und für den anderen zu überdenken und neu zu bestimmen. Eine Haltung von "liebevoller Distanz" (Zenker, 1998), die dem gesunden Partner ausreichend Erholungsraum zugesteht, sowie das Verfolgen auch eigener individueller Lebensziele beinhaltet, stellt für diese Paare eine Herausforderung dar.

4. MS als einsames Thema der Kranken

Die Partnerschaft bei dieser Form der Krankheitsbewältigung ist auf eine distanzierte Versorgungsgemeinschaft reduziert und geprägt von Routine und emotionaler Abkühlung. Ein Austausch über beiderseitiger Probleme und Ängste fehlt. Vom gesunden Partner sind keinerlei Unterstützung und Rückhalt für die Bewältigung der Krankheitsfolgen zu erwarten. Die MS ist somit zur alleinigen und einsamen Sache des Erkrankten geworden.
Hintergrund ist meist ein seit langem gestörtes Interesse aneinander, dass meist auf einem schon vor Ausbruch der Krankheit bestehendem, tiefgreifendem Paarkonflikt basiert. Gedanken an Trennung und Scheidung werden aus Angst vor materieller Unsicherheit und Versorgungsmangel bei Verschlechterungen verworfen. Die seelisch-emotionalen Belastungen aus dieser Art Partnerschaften sind hoch, zumal ihnen die Tendenz zu einer eskalierenden Selbstbehauptung gegeneinander besteht (wechselseitige, unausgesprochene Vorwürfe).

Paare in solchen Situationen benötigen in der Regel Unterstützung durch professionelle Helfer (Eheberatung, Scheidungsberatung) um Selbstachtung gegenüber sich selbst und Verantwortlichkeit gegenüber dem Partner aufzubauen und einen Weg zu finden, möglichst einvernehmlich auseinander zu gehen.

Hilfe für Paare bei der Krankheitsbewältigung

Partnerschaften mit MS, die langfristig Bestand haben, zeichnen sich aus durch wechselseitige Anteilnahme, offenen Austausch über das eigene Krankheitserleben, flexible Anpassung beider Partner an Veränderungen und die Fähigkeit, anstehende Probleme aktiv zu lösen.

Da die Krankheitsbewältigung ein langjähriger Prozess ist, bei dem es auch immer zu Rückschlägen und Krisen kommen kann, stellt sich die Frage, wo Paare bei Bedarf Unterstützung bekommen können.

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Folgende Hilfen bietet die AMSEL:
 Broschüren und Infomaterial zu Themen "Partnerschaft und Sexualität"Telefonische Beratung für MS-Erkrankte und Angehörige
(Telefon 0711/69786-13, Dipl. Psychologe M. Berthold)Persönliche Beratung für Paare in den Räumen des Info- und Beratungszentrums Stuttgart (Telefon 0711 / 69786-13, Dipl. Psychologe M. Berthold, michael.bertholdamsel-dmsgde )Seminare zum Thema "Partnerschaft" (siehe Jahresprogramm: Seminar S16 vom 12.-14.09.2003 in Pforzheim) 

Michael Berthold

Literaturangaben:

  • Ziegeler, Gerd: Multiple Sklerose - Das einzig sichere an ihr ist ihre Unzuverlässigkeit, VAS-Verlag Frankfurt Mainz, 2002
  • Zenker, Werner: Aber an mich denkt keiner! Mein Partner ist chronisch krank, Patmos Verlag Düsseldorf, 1998
  • Jellouschek, Hans: Wie Partnerschaft gelingt - Spielregeln der Liebe, Herder Verlag Freiburg, 1999
  • Steck, Barbara: Multiple Sklerose und Familie, Cargo Verlag Freiburg, 2002

Redaktion: AMSEL e.V., 05.10.2004