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MS: Das Ende von Liebe und Zärtlichkeit?

Aktionstag für Junge MS-Kranke, 6. Juli 2002,

Themengruppe II

 

Sexualität gilt für mich als eine der Grundlagen für geistige und körperliche Gesundheit sowie unserer Kreativität.

Sexualität kann sich in ihrer gesamten Kraft nur in Selbstverantwortung und Unabhängigkeit entfalten. Wie sich die Sexualität bei dem einzelnen Menschen zeigt, wird durch seine innere Einstellung und die äußere Lebenssituation bestimmt:

- lebe ich allein
- in Partnerschaft
- frisch verliebt oder in langjähriger Beziehung
- habe ich Kinder im gemeinsamen Haus
- brauche ich one-night-stands oder etwas Verbindliches
- bin ich lesbisch oder homosexuell.

Innere Leere und Beziehungslosigkeit tragen dazu bei, daß Sexualität überwiegend außen stattfindet. Um in Kontakt mit der eigenen Sexualität zu kommen, brauchen die meisten Menschen einen äußeren Anlaß, einen Gedanken oder einen anderen Menschen.

Da Sexualität oft nur im erregten Zustand wahrgenommen wird, ist den wenigsten Menschen bewußt, daß sie eine ständig im Körper vorhandene Energiequelle haben. Die Verantwortung für die eigene Sexualität zu übernehmen, bedeutet auch den Kontakt zu sich selbst zu vertiefen.

Diese innere Kraftquelle kann uns jederzeit zur Verfügung stehen, auch wenn die äußere Stimulation ausbleibt.

Um Sexualität zu erleben, sind wir nicht vom richtigen Partner abhängig, der uns im richtigen Moment an der richtigen Stelle berührt und dazu zärtlich "ich liebe dich" flüstert.

Als Frau wird meine Aufmerksamkeit und mein Wissen heute mehr auf der weiblichen Seite sein, weil ich hier meine persönlichen Erfahrungen gemacht habe. Naturgemäß kann ich mir das Wissen über die männliche Seite nur erworben haben und sehe sie durch meine weibliche "Brille".

Zum anderen schaue ich im Hauptteil meines Vortrages auf "gesunde" Menschen ohne definiertes Handicap bei MS. Ich denke, die Voraussetzungen, die für "gesunde" Menschen gelten, treffen - graduell verändert - auch für die erkrankten Men-schen zu. Jeder von uns hat zu lernen, mit seinen Handicaps umzugehen. Lernen müssen wir alle, üben, bewußt machen, schauen, spüren, zentral uns selbst kennenlernen. Lernen und erforschen, was brauche ich für mich, um eine erfüllte Sexualität zu erleben. Zum Beispiel die ganz einfache Frage einer jungen Frau an mich nach dem ersten Mal, wie kommt der Partner in mich hinein oder ich erlebe keine Lust, werde nicht feucht oder habe keinen Orgasmus. Es sind dieselben Fragen, die auch "Kranke" bestimmen, nur mit speziellen Teilbereichen.

Die Sexualität hat viele Gesichter, Facetten, Mythen, Phantasien, Träume, Wünsche und Gedanken.

Was fiel Ihnen ein, als Sie sich für diesen Vortrag entschieden haben?

Etwa:
- Lust, Leidenschaft, Erotik, ein schöner (großer, kleiner) Frauenbusen
- Beine, Hüften, welch knackiger Hintern,
- verliebt sein, es wird mir warm, ich werde scharf
- ich schaue einfach jemandem nach und habe Spaß dabei
- Orgasmus, wild sein, leise und still sein, erschöpft, zufrieden, enttäuscht, leer
- ich bin schön - nicht schön,
- meine Scheide ist feucht - nicht feucht,
- mein Glied ist groß - zu klein,
- Angst zu versagen,
- ich hätte Lust auf zwei Männer - zwei Frauen,
- ich habe keine Lust und sollte Lust haben,
- mein Glied wird im entscheidenden Moment schlaff,
- ich bin überhaupt nur schlaff und müde ... .

Unendlich könnte ich diese Liste fortsetzen.

Ich erwünschte und erträume etwas, aber häufig bleibt das Gefühl des Mangels, wie oft in unserem Leben.

Zum Beispiel:
- Ich habe keine Zeit,
- bin zu müde,
- die Kinder sind wichtiger,
- ich muß diesen Vortrag noch vorbereiten,
- ich habe Angst zu versagen,
- letztes Mal hat es auch nicht geklappt,
- ich bin nicht feucht geworden,
- mein Glied ist nicht steif geworden,
- mein Mann törnt mich ab, will mich nicht,
- ich will ihn nicht,
- bin ich frigide, impotent ... .

Ganz leicht ergeben sich aus diesen Gründen Ängste und Sorgen, ein Gefühl der Mühe, oder ich spüre Resignation und Versagen.

Als "Trost" für mich sage ich, ich brauche das nicht, es gibt auch andere Werte ... . Das stimmt, daß es andere wichtige Werte gibt, Sexualität ist nicht alles. Aber heute ist es unser Thema hier.

Sehr wichtig ist Sexualität sicher zum Beginn einer Beziehung, um sich kennen zu lernen, sich gegenseitig einzulassen, einander sich zu öffnen. Eine Frau sagte mir, für sie sei es beziehungsstiftend gewesen. Welchen Stellenwert und welche Bedeutung die Sexualität in der längeren Beziehung hat, legt jede / jeder selbst für sich fest.

Es berührt mich immer wieder aufs neue, wenn ich erfahre, was Frauen und Männer sich von ihrer Sexualität erhoffen. Die Erwartungen an sexuelle Beziehungen übertreffen alle anderen Lebensbereiche bei weitem. Sexuelle Wünsche stehen heute häufig sogar als Ersatz für die verlorengegangene Religiosität. Dabei beanspruchen die tatsächlich gelebten sexuellen Momente wenig Zeit. Sie können ja selbst einmal ausrechnen, wie viele Minuten pro Monat Sie sexuell aktiv sind, und wie viele davon Sie tatsächlich als orgiastisch und erfüllend erleben.
Vergleichen Sie damit einmal die Zeit, die Sie für Ihren Haushalt beanspruchen oder zum Kochen und Essen, zum Fernsehen und Lesen, zum Arbeiten ...

Selten begibt sich jemand in eine Beratungsstelle oder Therapie, weil Putzen und Bügeln einen Konflikt auslösen oder als frustrierend empfunden werden. Die Sehnsucht nach Erfüllung beim Putzen hat nicht den gleichen Stellenwert wie die Sehnsucht nach Erfüllung in der Sexualität.

Was unter sexueller Erfüllung verstanden oder erhofft wird, ist individuell sehr ver-schieden. Im Zusammenhang mit sexueller Erfüllung taucht immer wieder die Frage auf, was eigentlich normal sei. Erstaunlich viele Frauen und Männer kommen in die Sexualberatung, weil sie sich darüber informieren möchten, ob ihre Sexualität, beziehungsweise ihre Gefühle und Neigungen der Norm entsprechen.

Normal ist, was der Norm entspricht, und das ist nicht unbedingt erstrebenswert. Die Norm ist die sicherste Liebestöterin überhaupt; sie killt Lebendigkeit, Individualtiät und Kreativität, diese aber verleihen der Sexualität erst ihre Würze.

Was allgemein als normal betrachtet wird, können Sie oder ich durchaus als krank und pervers empfinden.

Die sexuelle Norm wird vom kollektiven Bewußtsein geprägt, und dieses ist von moralischen Grundsätzen, z. B. der Religion, sowie der Überbetonung des männlichen Prinzips beeinflußt. Die Norm wird auch stark von den Medien und der Werbung ma-nipuliert.

Erfüllung oder Entladung
Bleiben wir bei der Norm. Ihr zufolge gilt der Orgasmus, am besten noch der von beiden Partnern gemeinsam erlebte, als die sexuelle Erfüllung - ebenso wie der Samenerguß als Höhepunkt des männlichen Orgasmus. Und das stimmt ja auch. Der eigentliche Sinn und Zweck der Sexualität ist die Fortpflanzung, und mit dem Samenerguß ist die Aufgabe der Arterhaltung für eine bestimmte Zeit erfüllt.

Wie aber kann eine Sexualität, die entleert, erfüllend sein? Ein Zustand der Erfüllung ist gekennzeichnet durch innere Fülle und Wohlgefühl: Wie kann man einen erfüllten Zustand erreichen, der durch Stimulation eingeleitet wird und in einer Entleerung von Lebenssäften gipfelt?

Absichtlich spreche ich hier nicht von sexueller Befriedigung, sondern von sexueller Erfüllung. Befriedigung und Erfüllung haben unterschiedliche Qualitäten. Erfüllung wirkt nachhaltig nährend und heilend. Unter Befriedigung versteht man eher eine lustvolle und kurzfristige Spannungsentladung.

Wir selbst können viel dazu beitragen, unsere Chancen auf ein Erfüllungserlebnis zu erhöhen. Unsere Aufgabe besteht darin, ein einladendes Klima zu schaffen.

In die Sexualberatung kommen erfolgreiche Geschäftsmänner, die ihre Sexualität "verbessern" wollen. Fast allen diesen Männer ist gemein, daß sie ihre gesamte Energie und Zeit in die Karriere stecken, weshalb sie in ihrem Beruf auch erfolgreich sind. Ihre Sexualität hingegen erleben sie als unbefriedigend.

Doch in der Sexualität gilt wie auch in anderen Gebieten: von nichts kommt nichts. Je mehr Zeit und Energie wir in die Sexualität investieren, desto mehr wird möglich.

Die Erwartung an einen sexuellen Höhepunkt läßt sich mit einem Fußballtor verglei-chen. Um eines zu schießen, reicht das Interesse allein nicht aus. Der Fußballer braucht Talent, ausgeprägtes Ballgefühl, einen Körper, den er trainiert hat und ein gutes Zusammenspiel. In der Sexualität möchten wir dieselben Höhepunkte erreichen, allerdings ohne Vorarbeit, quasi aus dem Nichts heraus.

Es gibt drei wichtige Bausteine für die Sexualität:

- der Körper
- die Seele (Geist)
- der Kopf.

I Der Körper

Um die Sexualität in ihrer Ganzheit und Fülle zu erleben, ist es notwendig, die ver-schiedenen Ebenen zunächst zu entwickeln und dann bewußt miteinander zu ver-knüpfen. Jede einzelne Ebene ist wie ein Baustein. Die verschiedenen Bauklötze ergeben zusammen ein solides Fundament, auf dem wir unsere Erfahrungen auf-bauen können.

Ohne Körper keine Sexualität, ohne Körperwahrnehmung keine sinnliche Erfahrung. Erst durch den Körper ist es uns möglich, Sexualität zu erfahren. Um intensive sexuelle Erfahrungen machen zu können, benötigen wir ein entwickeltes Körperbewußt-sein und eine starke Verwurzelung.

Den Körper abzuspalten bedeutet, sich seiner Körperwahrnehmung nicht bewußt zu sein. So kann die Sprache des Körpers nicht verstanden werden, "natürliche" Sexualität wird unmöglich.

Es gibt verschiedene Ursachen dafür, daß die Körperwahrnehmung vom restlichen Menschen abgespalten ist.

Kinder oder Erwachsene, die geschlagen oder mißbraucht wurden, sind aus ihrem Körper geflohen: Zu viele Schmerzen mußten sie an ihm und durch ihn erfahren. Aus Selbstschutz haben sie die bewußte Verbindung zu ihrem Körper unterbrochen. Körperliche und seelische Schockzustände können die Vernetzung zwischen Körper und Geist unterbrechen.

Männer sind oft stolz auf ihren unempfindlichen Körper. Sie investieren viel Zeit und Disziplin in seine Stählung. Beim Sport überschreiten sie absichtlich die Schmerzgrenze, um den Körper abzuhärten und ihn gefühllos zu machen.

Eine andere häufige Ursache für die körperliche Unempfindlichkeit liegt darin, daß wir ihm zu wenig Beachtung schenken oder es nicht gelernt haben, seine Sprache, was er braucht, zu entschlüsseln.

Übung zum Wahrnehmen Ihres Körpers (etwas Neues ausprobieren)
(Alle Übungen werden als Kopie ausgelegt.)

Die Atmung kann helfen, in Kontakt zu verdrängten, abgespaltenen Gefühlen zu kommen. Als einen Schritt empfehle ich Atemtraining mit zunächst zwei Atemtechniken. Das Ziel eines Atemtrainings ist die Entwicklung eines Atembewußtseins. Wenn die Atmung wieder natürlich fließt, hat man die Grundlage für Lebendigkeit geschaffen.

Die Atmung ausdehnen
- Stellen Sie sich aufrecht hin, und atmen Sie kräftig ein, damit sich Ihr ganzer Brustkasten so weit wie möglich ausdehnt.
- Beim Ausatmen geben Sie so lange wie möglich einen Ton von sich, bis die Lunge völlig geleert ist. Machen Sie diesen Ton ca. dreimal, und atmen Sie danach ein paar Mal tief durch.
- Beugen Sie nun Ihren Oberkörper nach vorn. Lassen sie die Knie leicht gebeugt und die Hände locker hängen. Atmen Sie dabei möglichst tief durch, bis sich Körper und Atemfluß immer mehr entspannen.
- Richten Sie sich langsam wieder auf, und beenden Sie die Übung, indem Sie sich einige Minuten auf den Rücken legen, mit einer leichten Decke zugedeckt.

Tiefenatmung
- Legen Sie sich bequem hin, und schließen Sie die Augen. Konzentrieren Sie sich auf den Rachenraum an der Rückwand des Gaumens.
- Saugen Sie nun die Luft ein, nicht wie gewohnt durch die Nasenlöcher, son-dern der Sog kommt aus dem Rachenraum. Der Mund bleibt dabei geschlos-sen.
- Atmen Sie langsam und rhythmisch, ohne Anstrengung. Bei der Ausatmung lassen Sie sich wie nach innen hineinziehen. Am Anfang nicht so viel Luft ein-saugen, es könnte Ihnen sonst schwindlig werden. Machen Sie die Atmung, solange es sich gut anfühlt.

Variation:
- Legen Sie während dieser Übung die rechte Hand auf die Stirn, und die linke Hand auf Ihre Genitalregion. Damit verbinden Sie Ihren Kopf mit Ihrem Körper.

Tanzen (auch im Sitzen möglich)
- Tanzen ist eine der wirkungsvollsten Methoden, die Energie in Fluß zu brin-gen, aber nur freies Tanzen ohne Struktur und ohne Zuschauer. Legen Sie ei-ne energievolle Musik auf, die Sie so richtig in Schwung bringt. Tanzen Sie zu ihr zwanzig Minuten lang ekstatisch, am besten mit geschlossenen Augen.
- Anschließend legen Sie sich zehn Minuten ruhig hin und lassen die Energie, die im Körper freigesetzt wurde, in ihre Mitte fließen, bis sie sich zu einer Energiekugel verdichtet.

Weitere Übungen zum Kennenlernen Ihres Körpers
(warmer Raum, angenehmes Licht, entspannende Musik, Ruhe)

1.Frau:
Schauen Sie sich im Spiegel an. Drehen Sie sich und wenden Sie sich, damit Sie alle Körperteile sehen können. Kleiden Sie sich aus, schauen Sie sich richtig gründlich an, begrüßen Sie sich und sprechen Sie mit sich. Stellen Sie sich Ihnen selbst vor, wie eine Person, die Sie kennenlernen wollen.
(Viele Frauen erleben sich nur selbst über den Kontakt mit dem Geliebten.)

Erforschen Sie auch Ihre Geschlechtsteile, den Venushügel, Ihre kleinen und großen (Scham-) Lippen, die Klitoris (Perle), den Eingang zur Scheide (Muschel), und benennen Sie sie.

Mann:
Entdecken Sie Ihren Körper im Spiegel, schauen Sie sich genau an, begrüßen Sie sich und stellen Sie sich Ihnen selbst wie einem Unbekannten vor.

Erforschen Sie Ihr Glied, die Schamhaare, die Hoden, die Pobacken, die Gesäßfalte, den Anus und benennen Sie sie.

2.
Berühren, streicheln, massieren, drücken Sie Ihren ganzen Körper, probieren Sie Ihre ureigenen Reaktionen aus:
- Was ist angenehm?
- Was macht mir Freude?
- Was brauche ich wie?
- Was tut mir gut?
- Ich mache mir selbst ein Geschenk.

3.
Selbstliebe, Masturbieren ist eine der besten Möglichkeiten, Ihre eigene sexuelle Re-aktion, Ihre Vorlieben zu erforschen. Es ist erlaubt und niemand sagt:....

Nehmen Sie Ihre Phantasie dazu.

4.
Übung zum inneren Geliebten (siehe ausgelegte Kopie).

5.
PC-Muskel (Beckenboden) aufwecken. Nicht beim Wasserlassen, obwohl immer wieder empfohlen (siehe ausgelegte Bücher).

Wichtig bei diesen Übungen und eines der Ziele ist, ein Stück Selbstliebe und gesunden Egoismus zu entwickeln und eigene Grenzen zu erspüren.

Beobachten Sie sich selbst, "installieren" Sie Ihren inneren Beobachter.

II Geist, Seele und Psyche - Orgasmusfähigkeit

Der Orgasmus wird gleichermaßen ersehnt wie gefürchtet. Im positiven Sinne ist er die Entladung und Ausbreitung der sexuellen Energie im Körper, die als lustvoll bis ekstatisch erlebt wird, auf der anderen Seite besteht die Assoziation des Kontrollverlustes. Es existiert eine Gratwanderung zwischen der Fähigkeit, Spannung aufbauen und halten zu können und der Möglichkeit, Kontrolle loszulassen - sowohl in mir als auch in Bezug auf meine Umgebung. Es geht darum, in einem sexuellen Ausdruck die Lustladung in Bewegung, Töne, Hautreaktion und Atmung fließen zu lassen.

Anschließend tritt eine innere Zufriedenheit und Ausgeglichenheit ein und das Gefühl der Verbundenheit mit dem Partner. Wird das sexuelle Erleben mit Liebesenergie gespeist, nährt der Orgasmus die Beziehung. Er trägt zur Auffrischung des Paarvertrages bei und gibt Kraft für den Alltag.

In jedem Stadium der sexuellen Aufladung und des Ausdrucks kann eine Hemmung aufgebaut werden. Diese Hemmung besteht aus motorischer Kontrolle. Dies drückt sich aus durch Einschränkung der Muskulatur, Verkrampfung, Einschränkung der Atmung und Einschränkung der Bewegung. Gleichzeitig wird die Kontrolle durch innere Einstellungen und Verbote mental gehalten, die in mir eine Schambarriere auf-bauen. Bevor ich in mir Scham wahrnehme, spüre ich emotional als inneres Warnsignal Angst oder Unbehagen. Es fühlt sich subjektiv an wie "nicht weiter zu können". Die Barriere kann auch sensorisch aufgebaut werden, dabei wird die Umgebung als zu invasiv erlebt, z. B. durch Geräusche, Gerüche, Frieren etc. Es kann auch das Gefühl auftauchen, ungeschützt oder beobachtet zu sein, das unangenehme Assoziationen auslöst. Sensorische Eindrücke gehören zu den frühesten (entwicklungsgeschichtlich) Kontrollmechanismen, die das Kind aufbaut.

Die Intensität eines Orgasmus steigert sich durch eine Angstspannung, bei deren Auflösung jedoch die Lust gewinnen muß. So wird Sexualität in Trennungssituationen oder nach einem Streit von Paaren sehr intensiv erlebt. Dies dient dem Versuch, die Verbindung wieder zu stärken und die Beziehung zu halten.

In seinem Angstaspekt muß der Orgasmus vermieden und unterdrückt werden, um negative Gefühle und Empfindungen sowie Unsicherheit kontrollieren zu können. Solche negativen Gefühle können als Auflösung, Beschämung, Demütigung etc. erlebt werden.

Es gibt inzwischen viel Literatur zu diesem Thema. Die beiden Bücher von Margo Anand "Magie des Tantra" und "Tantra - der Weg zur sexuellen Ekstase" enthalten die besten physiologischen Informationen und Anleitungen, wie Paare miteinander an ihrer Erlebnisfähigkeit arbeiten können.

Körperliche Aspekte
Der Orgasmus ist die natürliche physiologische Reaktion zum Ausdruck und zur Abfuhr sexuell aufgeladener Lebensenergie.

Diese Ladung wird von Hormonen aufgebaut und somit entwickelt sich das Bedürfnis nach sexueller Stimulation und Kontakt.

Zweck der Stimulation ist es, den entstehenden Impuls zu verstärken und zu einer möglichst umfassenden und lustvollen Entladung zu bringen.

Zur Stimulation tragen mentale Verstärker bei, wie sexuelle Phantasien oder Flirt, verbale Anregung oder optische Verstärker, wie Figur, Nacktheit sowie sensorische Verstärker wie Gefühle, durch Atmosphäre, Liebkosungen, erotische Anziehung, Berührung, Streicheln, Küssen, Drücken, Halten, Bewegung, Atmung, direkte genitale Stimulation.

Der Orgasmus ist erreichbar durch Selbstmanipulation und Selbstliebe sowie durch sexuellen Kontakt und Stimulation durch den Partner.

Um den Orgasmus vollständig erleben zu können, kann es erforderlich sein, daß zunächst die Sensibilität der Sexualorgane wieder hergestellt werden muß, indem Verspannungen und negative Erlebnisse (Traumata) geheilt werden müssen.

Schrittweise können negative Empfindungen in lustvolle umgewandelt werden. Dies kann durch Spürübungen geschehen, durch Energetisieren des Bereiches, durch Massage und durch Aufhebung von negativen Programmierungen.

Viele unserer männlichen Klienten haben den Orgasmus als Zweck und Ziel der Sexualität verinnerlicht und daraus resultieren, gestalten sie auch ihre sexuelle Praxis. Sie sind fixiert auf Penetration in die Vagina der Frau und erleben Lust und Erregung hauptsächlich im Penis.

Die Frauen haben oft noch Anspruch, einen vaginalen Orgasmus durch den Penis des Mannes zu erleben, obwohl das Zentrum der größten Lust die Klitoris darstellt. Dieses Nervengeflecht hat organisch eine Verbindung von der äußeren Kappe in die Vagina hinein und ist sowohl für die äußere sowie die innere Lustempfindung zuständig.

Leider wird diese überkommene Vorstellung noch immer (wieder) massiv über die Medien (Presse, Fernsehen, Kino) transportiert, und Frauen neigen trotz intensiver "Aufklärung" dazu, diesem Ideal nachzustreben. Zusätzlich korrespondiert dieses Bild von Orgasmus mit einer Haltung des Partner, der sich auf keine anderen sexuellen Stimulationsformen einlassen möchte, da er an sich selbst die Forderung stellt, die Frau durch GV befriedigen zu können.

In der Realität können Männer und Frauen die verschiedensten Spielarten des sexuellen Orgasmus erleben. Das Wesentlich dabei ist, daß sie herausfinden, welche Art der Stimulation für sie die lustvollste darstellt und sie diese Erkenntnis aktiv in ihr Liebesspiel einbringen. Eine erweiterte weibliche Orgasmusfähigkeit fordert eine durch Akzeptanz der eigenen Bedürfnisse sich aktiv artikulierende Frau.

Für den Mann ist es notwendig, genügend Sicherheit zu empfinden, sich der Partnerin zu überlassen und seine sich öffnenden und sich hingebenden Qualitäten zu ent-wickeln. Es stellt in der Regel einen intensiven Lernprozeß für ihn dar, das Begehren nicht sofort durch Aktivität zu entladen.

In der Literatur habe ich bei Margo Anand die Theorie des expressiven und implosiven Orgasmus entdeckt. Dies beschreibt zwei verschiedene Ausdrucksformen, die angesammelte aufgebaute Lust orgastisch auszudrücken.

Der expressive Orgasmus meint, das nach außen gerichtete Verströmen der Energie in Bewegung und Laute zu kleiden, wobei der ganze Körper in dieses Geschehen einbezogen sein kann. Anschließend tritt oft wohlige Müdigkeit ein.

Fehlt Männern z. B. die Fähigkeit, Lust zu akkumulieren und anschwellen zu lassen, um sie dann expressiv auszudrücken, erleben sie einen vorzeitigen Samenerguß und haben das Gefühl, die Lust "verläppert" ohne Befriedigung.

Der implosive Orgasmus meint die Fähigkeit, die aufgebaute Lust und Ladung durch Atmung im Körper zu verteilen und das Erlebnis einer Weitung und Ausdehnung zu empfinden. Der Orgasmus wird eher wie eine Woge oder Welle erlebt und als ein Auflösen in Lustempfindungen. Er wird als eine Art kosmisches Erleben und Verschmelzen wahrgenommen.

Psychische Aspekte
Um einen Orgasmus zulassen zu können, brauchen wir an erster Stelle das Gefühl von Sicherheit. Dies betrifft sowohl das Gefühl innerhalb des eigenen Körpers, als auch im zwischenmenschlichen Kontakt.

Der Begriff Sicherheit beschreibt nur die neutrale Information dafür, welches Schema jemand für sich wählt. Die individuelle Ausprägung dieses Aspektes kann höchst unterschiedlich ausfallen. Braucht es in einem Falle den besonderen Zustand von Nähe und Geborgenheit, um einen Orgasmus zulassen zu können, erreichen andere Menschen einen Orgasmus nur im Rahmen eines ohne-night-stand in flüchtigem Kontakt. Trotz dieses scheinbaren Gegensatzes sind diese skizzierten Szenarien für die betroffenen Menschen in einer Form gleich - sie bieten Sicherheit.

Der Begriff Sicherheit beinhaltet einen konstruktiven und destruktiven Aspekt. Als destruktives Muster gilt eine Wahl, die der Vermeidung dient. Gemeint ist die Sicherheit, die man sich in der frühen Kindheit geschaffen hat, um sich vor Verletzung und Gefühlen zu schützen, z. B. durch Kontaktvermeidung, Nicht-Trauen, Spaltung der Bezugsperson, Busen ja, Genitalien nein. Wenn dies eingehalten wird, ist ein Or-gasmus möglich.

Wir dürfen also nicht bedroht sein von Ängsten, uns aufzulösen, verschluckt oder vernichtet zu werden. Eine stabile Ich-Grenze wird in der genügend gelungenen Verbindung mit der Mutter aufgebaut und ihrem Zugeständnis von Autonomie, die das Kind entwickeln darf. Es erlebt Trennungen nur kurz und kann seinen eigenen Raum erobern. Es wird versorgt und wahrgenommen und die Mutter reagiert angemessen.

Vor allem die Erfahrungen des Eltern-Kind-Kontaktes des ersten Lebensjahres mit der Lust am Saugen, dem Verschmelzen sowie der großen Nähe und dem innigen Körperkontakt, verbunden mit der Offenheit und Fähigkeit sich hinzugeben, sind da-für entscheidend. Meist müssen wir als Erwachsene im intimen, vertrauten Kontakt Offenheit und Hingabe wieder lernen und unserem Partner unsere Lustgefühle zu zeigen, anstatt sie zurückzuhalten.

Im partnerschaftlichen Erwachsenenkontakt gibt es allerdings auch noch aktuelle Gründe, sich nicht zu öffnen oder einlassen zu können.

Die folgenden Faktoren behindern am häufigsten ein Loslassen-Können und damit die Orgasmusfähigkeit:
- Fehlendes Vertrauen in den Partner (bei neuem Partner), ich fühle mich nicht sicher.
- Nach Trennung oder Verlust eines Elternteiles, Angst sich zu öffnen und sich anzuvertrauen.
- Verdeckte Machtkämpfe in Beziehungen, ich will meine Schutzmauer nicht loslassen.
- Ablehnung gegenüber dem eigenen Körper, bei Frauen oft keine Erlaubnis und keine Erfahrung mit Masturbation.
- Mißbrauchserfahrung, Verletzung etc., Traumata, Kontrolle, nicht loslassen zu können (bei Männern und bei Frauen).
- Ekel vor dem Partner.
- Sex ohne Liebe, zu mechanisch, als Abfuhr, aus Verlustangst.
- Mangelnde Stimulation.
- Streß in Beruf etc. oder Existenzsorgen erschweren das "Loslassen-Können.

Diese Faktoren gelten für Männer wie Frauen gleichermaßen. Unter Einbeziehung der unterschiedlichen sozialen Rollen von Männern und Frauen erscheint mir bei Männern besonders wichtig, ihren Körper weniger mechanisch und funktional zu sehen. Im Vordergrund steht die Unterstützung, die Gefühle in den Einklang mit dem Körper zu bringen sowie das Erspüren der wirklichen Bedürfnisse.

Oft stehen auch hier verdeckte negative Impulse der Frau gegenüber im Weg, die durch große Anpassung und Zurücknahme kontrolliert werden. Folgende innere Sätze, die oft vage bewußt sind, verdeutlichen dies:

- Ich fürchte, ich bin als Liebhaber nicht gut genug, um dich zu befriedigen.
- Ich kenne dich noch nicht gut genug.
- Ich fürchte, du wirst meine Zeit, Energie, Freiheit in Anspruch nehmen.
- Ich gönne dir keine Lust.
- Ich bin sauer auf dich.
- Ich will, daß du aktiv bist.
- Ich trau dir nicht.

Bei der Behandlung weiblicher Erregungs- und Orgasmusstörungen ist vor allem we-sentlich, die Frauen zu ermutigen, die passive, abwartende Rolle aufzugeben und statt dessen den eigenen Körper zu erforschen. Die Frau sollte lernen, dem Partner zeigen und artikulieren zu können, was ihr wirklich Lust bereitet. Oft ist es notwendig, mehr Zärtlichkeit sowie andere Formen der Stimulation im gemeinsamen Liebesakt einzuführen. Die Frau sollte aktiv ihre Form des sexuellen Empfindens ins Liebesspiel einbringen und ihrem Partner durch Informationen und Offenheit helfen, ihren Orgasmus auslösen zu können. Dazu muß sich meistens eine negative, passive Einstellung der Frau zu ihrem sexuellen Begehren verändern, die aus ihrem weiblichen Rollenbild und ihrer Erziehung resultiert.

Typische Sätze der Frau könnten sein:
- Ich bin nicht erregt.
- Ich will nicht so verletzbar sein.
- Ich bin zornig, weil ich einwillige, mich als Möse, Ding behandeln zu lassen.
- Ich will, daß du um mich wirbst, dann werde ich in meinem Körper auch Lust hervorrufen.
- Ich will mich nicht öffnen.
- Ich schäme mich, meine Begierde, Lust auszudrücken.
- Ich will nicht laut und unkontrolliert sein.
- Ich will nicht passiv sein, ich will die Sache in die Hand nehmen.

III Kopf

Kopfebene für das Paar - bewußt schauen und im Gespräch sein.
Wenn wir uns lieben, kann Sexualität zu einem konstanten Kommunikationsmittel werden, doch auch das will gelernt sein. Zwischen Mann und Frau ist Sexualität nicht von Natur aus toll. Die eigene Herkunftsgeschichte, Identifikation, Rollenbilder, die gemeinsame Geschichte. Kinder, angestaute Verletzungen, Freuden, die eigenen Wünsche und Phantasien haben ein Netz gebaut.

Nach beständiger Nichterfüllung und Nichtbefriedigung finden wir uns plötzlich in ei-nem Mangelzustand wieder, der die Habenseite - Freuden - nicht mehr sichtbar sein läßt. Vielleicht kennen Sie folgende Situationen und Sätze:

- Sex als unangenehme Notwendigkeit.
- Er braucht das.
- Ich will ihn nicht verlieren.
- Bringen wir es schnell hinter uns.
- Hoffentlich ist er bald fertig.
- Der/die bringt mich nie zum Orgasmus.
- Orgasmus vortäuschen, um nicht als unzulänglich zu gelten, auch damit er sich gut fühlt.
- Meine Scheide wird nicht feucht, er denkt, ich will ihn nicht.
- Mein Glied wird nicht steif, sie denkt, ich begehre sie nicht.
- Beim nächsten Mal wird es wieder so.
- Ich möchte eigentlich nur Nähe und schmusen - für ihn ist das erst der An-fang, für mich das Ziel.
- Wir verweigern uns gegenseitig mit vielfältigen Tricks.
- Sexualität als Machtmittel.
- Der gemeinsame Orgasmus funktioniert nie.
- Er kommt zu schnell, ich bin noch gar nicht da.
- Ich bin müde.
- Ich habe einfach keine Lust.
- Zu viel Streit, zu viel Streß.
- Er ist mir zu nah / weit.

Was tun? - Der Entschluß, etwas zu verändern, etwas Neues zu probieren

1. Kommunikation
2. Rückzug und erspüren, was ich brauche (z. B. Körperübung)
Eine Übung finde ich sehr wichtig: aufzuschreiben, zu überlegen, was benötige ich zur eigenen Sicherheit, um mich in die Lust fallen zu lassen, loszulassen. Welche inneren Bilder und Gesetze (entstanden in der Pubertät), welche äußeren Rahmenbedingungen leiten mich.

3. Gemeinsamen Raum und Zeit schaffen

1. Kommunikation
Sex gehört seltsamerweise nicht selten zu den Dingen, die wir leichter tun, als darüber zu sprechen, doch Gedanken lesen kann sie / er auch nicht. Alles Unausgesprochene kostet dich die Beziehung, probieren Sie Ehrlichkeit soweit es geht, aber ohne Verletzung / Zensierung, Rechthaberei.

Austausch (Sie benötigen eine Uhr)
20 Minuten pro Partner, der andere hört nur zu.

Vorschlag:
Was habe ich heute an Wichtigem dir zu sagen, z. B. was tut mir gut, was tut mir nicht gut.

Oder: Was weiß der / die andere noch nicht vor mir, und was möchte ich mitteilen.

Dazu nehmen Sie eine respektvolle, achtsame Haltung gegenüber Ihrem Partner ein.

a) Einstimmen / Rückzug auf sich selbst
b) Reden ohne verbal, mimische Reaktion des Partners.
Sprechen Sie von sich selbst in der Ichform, ich spüre, ich sehe, ich wünsche.
Sprechen sie nicht darüber, was ihr Partner tun sollte. Nie hörst du mir zu, immer tust du.... .
c) Tausch
d) Pause und Rückzug

Anschließend bedanken Sie sich bei Ihrem Partner für seine / ihre Offenheit, sich zu zeigen.

Beenden Sie damit die Übung.

Kommunikation auf Körperebene
Die Verabredung zum Sex
Raum: Zeit und Ruhe schaffen, damit Sie sich gemeinsam entspannen können ohne Störung.
Ort: Ein schöner Platz, draußen im Garten, Duft, Licht.
Rhythmus: Wann ist Ihre beste Tageszeit.
Gehen Sie vorbereitet in die Begegnung, nehmen Sie sich vorher 30 Minuten Zeit alleine, duschen Sie, stimmen Sie sich ein mit schönen Düften, bequemer Kleidung etc.

Übung
Legen Sie sich einander gegenüber auf die Seite, mit ein wenig Abstand.
Schließen Sie die Augen.

Richten Sie die Aufmerksamkeit auf die Wirbelsäule, Wirbel für Wirbel, Becken, Beine.

Erspüren Sie für sich Ihren Körper von innen.

Konzentrieren Sie sich darauf, was im Moment geschieht und nicht, daß sie nachher vielleicht miteinander schlafen wollen oder ...

Öffnen Sie die Augen und nähern Sie sich ganz langsam.

Begegnen Sie sich in der Berührung, nehmen Sie wahr, wie es sich anfühlt, wenn Sie ganz langsam mit der Haut Ihres Partners / Ihrer Partnerin in Berührung kom-men.

Saugen Sie die Empfindungen wie ein Schwamm auf.

Begeben Sie sich ganz langsam in die Umarmung, je langsamer, desto besser.

Berühren Sie sich mit den Fingerspitzen.

Lassen Sie es mehr geschehen, als daß Sie es tun.

Seien Sie sich jedes Körperteiles äußerst bewußt, der Haut, der Wärme, wenn ein Körperteil auf den anderen trifft. ...

Seien Sie ohne Ziel, üben Sie im Moment zu bleiben, zu schauen (beobachten), was entsteht.

Sie werden sehen, es ist wie ein gegenseitiges Anziehen, Ansaugen, ohne daß Sie etwas tun müssen.

Liebe machen soll ohne Anstrengung passieren, Liebe ist keine Arbeit oder Hochlei-stungssport. Bleiben Sie in dieser Begegnung, ohne den Geschlechtsverkehr als Ziel anzustreben.

Weitere Übungen
- Atemübung (siehe Anfang bei Körperwahrnehmung), gemeinsam.
- Augenkontakt, im Sitzen sich 5 - 10 Minuten ganz "weich" ohne Anstrengung in das linke Auge des Partners schauen.
- Massage.
- Stellen Sie Ihrem Partner Ihren Körper vor. Zeigen Sie ihm / ihr, welche Berührung gut für Sie ist.

Nach jeder Übung tauschen Sie aus, was jeder erlebt hat, welche Gefühle, Freude, Ängste hochgekommen sind. Sprechen Sie in der Ichform, reden Sie über sich (nicht z. B.: du hast mich so angestarrt - sondern: ich fühle Bedrängung).

Beenden Sie, indem Sie Ihrer Partnerin / Ihrem Partner für ihre / seine Offenheit und Vertrauen danken.

Ich bin nun fast am Ende meines Vortrags angelangt und Sie sagen vielleicht, aber bei mir ist das alles anders, ich habe doch nur eine Hand, in der ich Sensibilität fühle, tanzen kann ich auch nicht, und ...

Ich habe mit einer Frau gesprochen, die an MS erkrankt ist. Sie ist 42 Jahre alt, in Teilzeit als Sozialarbeiterin tätig, seit 16 Jahren verheiratet und hat keine Kinder. Vor 8 Jahren erkrankte sie an MS, leidet unter Blaseninkontinenz, Spastik der Beine, wechselnden Sensibilitätsstörungen, teils am Bauch, teils in der linken Hand.

Sie erzählt mir:
Mein Körpergefühl ist ganz anders geworden. Früher mochte ich meinen schwungvollen, fast hüpfenden Gang, ich bin hübsch und war groß gewachsen. Die Männer haben mir nachgesehen, und ich habe das gemocht. Ich war selbständig und unabhängig. Jetzt bekomme ich häufig Hilfsangebote von Männern und muß sie auch annehmen.

Heute sorgt mein Mann mehr für mich, so daß unsere Erotik oft im täglichen Leben verdeckt ist. Wir sind schon so lange zusammen, da verändert sich ohnehin ein Teil der Erotik. Wir befinden uns oft in einem entsexualisierten Zustand, eine "Gewöhnung", wie bei anderen Paaren auch.

Ich bin froh, daß unsere Beziehung begann, als ich noch nicht krank war. Ich empfand unsere Sexualität als beziehungsstiftend.

Ich bin berufstätig und brauche unendlich viel Zeit für kurze Geh-Strecken, einfache Verrichtungen und bin z. B. drei Mal pro Woche bei der Krankengymnastik. So habe ich mich an einen ganz anderen Lebensrhythmus gewöhnt.

In der Sexualität schauen wir, was wegen meiner Spastik von der Stellung her gerade geht. Die Sensibilitätsausfälle machen mir keine Mühe, ich habe die andere Hand und viele Hautareale, über dich ich viel spüren kann. Leider verstärkt der erlebte Orgasmus die Spastik meiner Beine, auch nach Selbstbefriedigung. Mir bereitet das Gehen noch Stunden hinterher Mühe.

Mit der Inkontinenz, der Angst, beim GV Urin zu verlieren, habe ich keine Probleme. Zur Not würde ich eine Unterlage ins Bett legen. Ich entleere meine Blase einfach vorher.

Richtig gut geht es uns im Urlaub mit viel Zeit ohne Streß. Dann lebt die Erotik wieder zwischen uns. Wenn wir keinen Sex über lange Zeit haben, geht es für mich auch ohne, aber eigentlich ist es ein zentraler Teil meines Leben und unserer Beziehung.

Soweit dieses Beispiel.

- Sie hören über "technische" Probleme der Stellungen beim Geschlechtsver-kehr.
- Beziehungsfragen, die ständig im Wandel sind.
- Diese Frau bedauert ihren Selbständigkeitsverlust, die Zeit, die sie für tägliche Verrichtungen braucht. Sie hat sich einen neuen Rhythmus angewöhnt.
- Es ist ein anderes Körpergefühl entstanden. Die verbleibende Sensibilität fin-det sie ausreichend.

Dieses Beispiel macht mir persönlich deutlich, daß das Wahrnehmen des Verlustes nicht das Ende der Liebe und Sexualität sein muß. Ich kann meine Sichtweise ver-ändern über den Weg des "Sich-Bewußtmachens" und des "Erforschens" des

- Was habe ich? - Was tut mir gut?

und dieses mit meinen persönlichen Aspekten füllen.

Ich sammle, ich fertige eine Liste an, auch darüber, was ich nicht mag, und was mir widerstrebt.

Es ist gut, sich mit dem Partner / der Partnerin darüber auszutauschen. Einiges läßt sich dann integrieren, anderes nicht.

Wichtig ist immer wieder, trotz der Abhängigkeit von anderen Menschen, sich in sich selbst zu verankern und einen Platz im eigenen Körper zu finden.

Dr.med. Eleonore Peters, Sexualtherapeutin, Pro Familia Heilbronn

Redaktion: AMSEL e.V., 24.07.2002