In Studien zu neuen MS-Therapien ist die Überprüfung der Wirksamkeit mithilfe von Neurofilament-Leichtketten aus dem Serum schon gang und gäbe. Erst vor wenigen Wochen ist nun auch der erste sNfL-Test für Europa zertifiziert worden und soll noch 2024 hier auf den Markt kommen. Es wird zwar noch etwas Zeit dauern, bis die Beobachtung von MS-Patienten mithilfe dieses Tests in neurologischen Praxen etabliert ist und von den gesetzlichen Kassen bezahlt wird, doch der Weg dahin ist bereits eingeschlagen.
Grundlage für NfL: Schweizer MS-Kohorte
Ganz wesentlich zu diesem Erfolg beigetragen hat Professor Dr. Dr. Jens Kuhle. Er arbeitet als Arzt und Wissenschaftler am Universitätsspital in Basel und hat unter anderem die Schweizer MS-Kohorte initiiert und mithilfe derer Patientendaten sNfL als Biomarker für Nervenabbauprodukte entdeckt. Im Video-Interview erklärt der Neurologe und Wissenschaftler,
- was genau sNfL ist,
- wie man einen aussagekräftigen Wert ermittelt,
- wer ihn wann anwenden kann und
- welchen Vorteil er Menschen mit Multipler Sklerose bietet.
Video mit dem Sobek Forschungspreisträger 2024
Prof. Dr. Dr. Jens Kuhle, Basel, über sNfL - einen Biomarker, der vor Schüben warnt
Das Gute an sNfL: Mithilfe eines im Vergleich zur Liquorentnahme einfachen Bluttests lässt sich in Patientenkohorten, also größeren Gruppen, aber auch am einzelnen Patienten feststellen, ob bestimmte Nervenabbauprodukte im normalen Rahmen vorkommen oder erhöht sind. Etwas also, das bislang unter dem "Radar" von Ärzten und Patienten stattfand.
Präziser therapieren bei MS, dank NfL
Sind die sNfL erhöht, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass in den nächsten ein bis zwei Jahren weitere Läsionen, gemessen im MRT oder gar ein weiterer, für den Patienten spürbarer Schub ansteht. Erhöhte sNfL korrelieren mit MRT-Befunden in der schubförmigen Phase einer MS. Wichtig zu wissen, weil man so rechtzeitig seine Therapie verstärken und den Schub sowie daraus resultierende Behinderungen möglicherweise abwenden kann. Im umgekehrten Fall, wenn also die NFL-Werte abnehmen, hat man auch einen objektivierten Wert für eine mögliche Deeskalation oder das Absetzen einer MS-Therapie. Die Multiple Sklerose bleibt aber weiter unberechenbar, für den Einzelnen: Welche Funktionen möglicherweise im Zuge eines Schubes ausfallen, kann auch ein NfL-Test nicht vorhersagen; noch weniger, wie stark eine mögliche Einschränkung den Einzelnen belasten wird.
Zwar ist ein sNfL-Test vergleichsweise leicht zu gewinnen (eben Blutabnahme anstatt Liquorentnahme), doch die Werte sind keineswegs leicht zu beurteilen. Das hängt damit zusammen, dass der NFL-Wert in unserem Blut im Laufe des Lebens steigt, also altersabhängig ist. Zudem haben Menschen mit einem höheren Body-Mass-Index auch einen höheren NFL-Wert. Und: Auch andere Erkrankungen können für eine Erhöhung der Neurofilament-Leichtketten sorgen, zum Beispiel Diabetes oder hoher Blutdruck.
Weniger als ein Würfel Zucker in einem Olympiaschwimmbecken
Man muss den Wert also im Kontext des individuellen Patienten betrachten. Und sehr genau arbeiten: Während NFL im Liquor stärker vertreten sind, kommen sie im Blut nur in Spuren vor. Zum Vergleich: wenige Prozent eines Zuckerwürfels auf ein Olympiaschwimmbecken. Um so geringe Mengen messen zu können – NfL kommt in Piktogramm je Milliliter Blut vor, also nur Billionstel von Gramm – braucht es spezielle Messmethoden (Immunoassays).
Hinweis: Die Sobek Preisverleihung 2024 findet im Dezember in Stuttgart statt. Neben dem Sobek Forschungspreis, der dieses Jahr an Prof. Jens Kuhle geht, wird außerdem der Sobek Nachwuchspreis verliehen. Mit insgesamt über 100.000 Euro Preisgeld gehören die Sobek Preise zu den weltweit höchstdotierten Forschungspreisen auf dem Gebiet der Grundlagenforschung der Multiplen Sklerose. Ausgezeichnet werden Forscher mit herausragenden Leistungen auf diesem Gebiet.
Quellen: AMSEL-Video "sNfL - ein Biomarker, der vor Schüben warnt", 04.11.2024; Pressemitteilung von Siemens, 17.06.2024.
Redaktion: AMSEL e.V., 04.11.2024