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Mit Flexibilität gegen Nervenschäden?

25.07.08 - Auch erwachsene Nervenzellen können sich noch verändern und so möglicherweise um eine Verletzung herumwachsen, haben Forscher des Max-Planck-Instituts herausgefunden.

Eine Verletzung im Gehirn oder Rückenmark hat meist schlimme Folgen, da durchtrennte Nervenkabel nicht nachwachsen. Nervenzellen haben jedoch noch andere Fortsätze, die in jungen Zellen zu einem neuen Nervenkabel auswachsen können. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie haben nun gezeigt, dass auch erwachsene Nervenzellen diese Flexibilität besitzen. Die Ergebnisse könnten langfristig zu einem neuen Therapieansatz bei Verletzungen des zentralen Nervensystems führen. (Current Biology, 9. Juli 2008).

Eine "typische" Nervenzelle hat zwei Arten von Fortsätzen an ihrem Zellkörper: Mehrere Dendriten und ein Axon. Dendriten empfangen Informationen von anderen Nervenzellen. Diese Informationen leitet dann das Axon wie ein langes Kabel an andere Zellen weiter. Wird das Axon-Kabel im Gehirn oder
Rückenmark durchtrennt, sind Lähmungen oder Funktionsstörungen häufig die Folge. Denn Axone wachsen hier nicht nach. Was wäre jedoch, wenn Forscher Dendriten dazu bringen könnten, die Aufgaben des verletzten Axons zu übernehmen?

Junge Nervenzellen sind flexibel

So abwegig ist dieser Gedanke gar nicht, denn Fortsätze junger Nervenzellen können ihre Bestimmung noch kurzfristig ändern: Wird ein wachsendes Axon verletzt, so kann ein entstehender Dendrit zu einem Axon werden. Doch sind auch erwachsene Nervenzellen noch so flexibel? Denn viele Unfälle mit
Nervenverletzungen geschehen erst im Erwachsenenalter. Tatsächlich konnten Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie ausgereifte Dendriten in der Zellkultur dazu bringen, ihre Identität zu ändern. Nach nur fünf Tagen gaben die neu gewachsenen Dendriten-Axone bereits Informationen an andere Nervenzellen weiter.

Stabilisierte Nervenkabel

Bei der Analyse dieser Verwandlung zeigte sich, dass das Zellskelett maßgeblich am Schicksal der Zellfortsätze beteiligt ist. Erst stabilisierte und parallel angeordnete "Zellknochen", die Mikrotubuli, lassen einen Fortsatz zu einem Axon heranwachsen. Werden die Zellkochen künstlich stabilisiert, so kann eine
Zelle auch mehrere Axone ausbilden. Dies ist beispielsweise mit dem Wirkstoff Paclitaxel möglich, der in der Krebstherapie das Zellskelett verstärkt und so die unkontrollierte Teilung der Zellen verhindert.

Ein Schritt zur Überbrückung von Nervenschäden?

Früher galt es als sicher, dass Verletzungen im erwachsenen Gehirn oder Rückenmark nicht geheilt werden können. Diese Lehrmeinung wird durch die Forschungen der letzten Jahre zunehmend erschüttert. Wenn erwachsene Nervenzellen Dendriten in Axone umwandeln können, eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten. "Es scheint denkbar, dass auch beim erwachsenen Menschen Nervenzellen durch Dendriten-Axone nach einer Verletzung funktionstüchtige Verbindungen zu anderen Zellen aufbauen können", sagt Susana Gomis-
Rüth zum Ergebnis ihrer Forschung.

Als nächstes soll untersucht werden, ob Dendriten-Axone auch im lebenden Organismus entstehen können und ob dies durch die Gabe von Paclitaxel unterstützt werden kann. Falls diese und spätere Untersuchungen erfolgreich sind, könnten die Ergebnisse langfristig zu einem neuen Therapieansatz bei Verletzungen des zentralen Nervensystems führen.

Quelle: Susana Gomis-Rüth, Corette J. Wierenga, Frank Bradke
Plasticity of Polarization: Changing dendrites into axons in neurons integrated in neuronal circuits, Current Biology, 09. Juli 2008; Max-Planck-Institut für Neurobiologie, Martinsried, Juli 2007

Redaktion: AMSEL e.V., 25.07.2008