Multiple Sklerose sei Willenssache, hört man immer wieder. Und Ratschläge wie "Stell‘ Dich nicht so an". Der Wille versetzt Berge, sagt schließlich eine Volksweisheit. Da ist sicher was dran, wenn man an Beispiele denkt wie abnehmen, regelmäßig Sport treiben, eine neue Sprache lernen, jeden Tag eine gute Tat vollbringen. Ein fester Wille gepaart mit eisernem Durchhaltevermögen kann da einiges bewirken.
Doch wie soll der Wille eine schwere systemische Krankheit wie die Multiple Sklerose beeinflussen? Es klappt ja schon bei einem simplen Schnupfen, sprich grippalen Infekt nicht! Vielleicht helfen die gängigen Hausmittelchen über die lästigsten Symptome hinweg. Schlimmstenfalls verordnet der Hausarzt ein Antibiotikum, um die Bakterien in Schach zu halten, wenn schon die Viren sich ungehindert austoben. Einen Beitrag zum Gefühl "Wohlsein trotz Infekt" kann aber der Wille leisten, sich nicht in die Krankheit hineinfallen zu lassen, sondern nach je nach Schwere des Infekts vielleicht in etwas verlangsamter Gangart, den gewohnten Aktivitäten nachzugehen.
Multiple Sklerose ist keine Willenssache
Auf die MS übertragen: Mit dem Willen lässt sich allenfalls steuern, wie man mit der Krankheit ganz allgemein umgeht, mit welcher Haltung man ihr begegnet und man sie in sein Leben integriert. An den handfesten Symptomen – den sichtbaren wie den unsichtbaren - lässt sich mit dem puren Willen jedoch nichts ausrichten. Wie sollte das auch funktionieren bei einer Krankheit, deren Ursachen noch nicht abschließend geklärt sind, die sich mit 1.000 Gesichtern zeigt. Und die auf äußerst komplexe neurologische Prozesse in Gehirn und Rückenmark bzw. deren Störung zurückgeht.
Bleierne Müdigkeit kennt jeder zum Beispiel nach einem anstrengenden Arbeitstag, nach einem Interkontinentalflug über mehrere Zeitzonen hinweg, einer durchtanzten Nacht. Mit geballter Willensanstrengung kann man hier die Augen noch bis zu einem gewissen Grad offen halten, bis man dann ins Bett fällt. Bei der MS-bedingten Fatigue funktioniert das leider nicht. Sie hat eine gänzlich andere Ursache und hier fordert der Körper sofortige Ruhe und Schlaf – mit Macht!
Willensanstrengung? Fehlanzeige! Mit aller mentalen Gewalt dagegen zu kämpfen ist da eher kontraproduktiv. Auch gutgemeinte Ratschläge helfen keinen Schritt weiter, werden von vielen Betroffenen eher als deplatziert und unangemessen empfunden. Oder setzen sie unnötig unter Druck und verschlimmern womöglich ihre Situation noch.
Die Einstellung macht‘s
An der Einstellung lässt sich sehr wohl etwas ändern, das ja. Man kann das Wasserglas als halbvoll oder halbleer betrachten, kann versuchen, nicht nur das Negative wie Einschränkungen, weniger Mobilität zu sehen, sondern der geänderten Lebenssituation auch Positives abgewinnen. Vielleicht mehr Ruhe, neue Freunde, neue Sichtweisen. Der Wille ändert krankheitsbedingte Beeinträchtigungen jedoch nicht. Die sind auf der körperlichen Ebene einfach gegeben, werden mit Therapien, medikamentösen wie nicht medikamentösen, bestenfalls im erträglichen Maß gehalten.
Wichtig ist deshalb die Kommunikation: Gerade die Beeinträchtigung durch unsichtbare Symptome wie Fatigue, kognitive Probleme, Schmerzen, Sensibilitätsstörungen kann vom Umfeld ohne klare und offene Kommunikation oft nicht adäquat eingeschätzt werden.
Redaktion: AMSEL e.V., 01.02.2018