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Funktionen trainieren anstatt Muskelgruppen

Die Sobek-Stiftung unterstützt herausragende Experten bei der Erforschung der Multiplen Sklerose. Prof. em. Volker Dietz, Forschungspreisträger 2006, berichtet bei der diesjährigen Verleihung über die vergangenen 5 Jahre. AMSEL.DE sprach vorab mit dem Reha-Experten.

1. Herr Prof. Dietz, vor fünf Jahren haben Sie den Sobek-Forschungspreis für Ihre Leistungen auf dem Gebiet der MS-Rehabilitation erhalten. Sie sind die motorischen Störungen der Multiplen Sklerose wissenschaftlich angegangen. Was haben Sie denn damals herausgefunden?

Prof. Volker Dietz: Bei unseren Untersuchungen der Gehfunktion bei Gesunden haben wir wichtige Mechanismen entdeckt und sie für die Behandlung von Bewegungsstörungen wie bei MS nutzbar gemacht. Inzwischen ist das daraus erwachsene Rehabilitationstraining international etabliert. Wir trainieren bei den Patienten gestörte Funktionen und nicht mehr, wie früher, Muskelgruppen. Ein solches funktionelles Training ist erfolgreich, wenn bestimmte Grundbedingungen beachtet werden, die wir in unserer Forschung erkannt haben, z.B. den Grad der Körperbelastung, die Stärke der Hüftextension, die Geschwindigkeit der Rückmeldeinformation über die Durchführung beim Gehen.

2. Gemeinsam mit Technikern haben Sie einen computergesteuerten Gehbarren entwickelt, der es Schwerstbetroffenen ermöglicht zu gehen. Dieser Gehbarren hat sich mittlerweile in der MS-Therapie etabliert. - Warum ist das Gehen für Multiple-Sklerose-Betroffene, die hauptsächlich im Rollstuhl sitzen, überhaupt wichtig?

Prof. Volker Dietz: Beim Lokomat, ein Gehroboter, den wir gemeinsam vor 15 Jahren mit Ingenieuren der ETH Zürich entwickelt haben, wird die Gehfunktion sinnvoll unterstützt und trainiert. Er wird bei schwer gelähmten und dadurch gehbehinderten Patienten u.a. bei Multipler Sklerose eingesetzt. Dadurch kann bei diesen Patienten eine Rest-Gehfunktion erhalten bzw. diese verbessert werden, die die Patienten dann z.B. in der Wohnung noch einsetzen können. Es geht bei diesen an den Rollstuhl gebundenen Patienten aber nicht nur um die Erhaltung einer residualen Gehfunktion, sondern auch um die Verminderung von Muskel-Spastik/Spasmen, eine Stimulation des Kreislaufs und die Verbesserung vegetetiver Funktionen, die durch ein solches funktionellesTraining erreicht wird.

3. Und wie funktioniert der Gehbarren?

Prof. Volker Dietz: Es handelt sich um ein angetriebenes Exoskelett, das die Beinbewegungen der vom Körpergewicht teilweise entlasteten Patienten soweit unterstützt, wie es bei dem jeweiligen Patienten auf Grund seiner Lähmungen erforderlich ist. Über einen Bildschirm erhält der Patient Rückmeldung über seinen Beitrag zu den Bewegungsabläufen und den Verbesserungen, die innerhalb einer Trainingseinheit bzw. dem Trainingsverlauf erreicht werden. Bei neueren Lokomat-Versionen kommt noch die Technologie der ‚virtual reality‘ hinzu. Mit dieser wird dem Patienten das Training in einer natürlichen Umwelt suggeriert, z.B. in einem Wald zu gehen. Solche technischen Möglichkeiten sind besonders bei betroffenen Kindern für die Trainingsmotivation wichtig.

4. Ohne jetzt schon alles zu verraten, was Sie bei der Sobek-Preisverleihung am 9. Dezember 2011 sagen werden: Was haben Sie seit 2006 erforscht, wie haben Sie das Preisgeld eingesetzt?

Prof. Volker Dietz: Ein wesentlicher Teil der mit dem Preisgeld durchgeführten Forschung galt der Umsetzung unserer früheren Erkenntnis bei Gesunden, - dass auch beim Menschen eine Vierfüßlerorganisation der Fortbewegung besteht -, auf Bewegungsstörungen wie bei Schlaganfall, Parkinson und Multiple Sklerose. D.h., dass z.B. durch den Einbezug der Arme bei einem Gehtraining die Effekte verbessert werden. Es besteht eine enge Kopplung von Armen und Beinen durch das Nervensystem sowie eine Interaktion beider Seiten bei der Fortbewegung. Diese Erkenntnisse können nun mit Erfolg für ein verbessertes Gehtraining bei Bewegungsstörungen wie MS eingesetzt werden.

Sobek-Preisverleihung 2011

Redaktion: AMSEL e.V., 30.11.2011