Der "Exopulse Mollii Suit" sorgte bereits für großes Echo in der MS-Community (amsel.de hatte berichtet). Was bislang fehlte, das waren wissenschaftlich verwertbare Daten. Dafür sorgt nun der Hersteller Ottobock mit der Publikation einer kleinen, im ersten Teil randomisiert-kontrollierten Pilotstudie zu dem transkutanen Nervenstimulationsanzug.
Gleich vorweg: Die Studie an einer hinsichtlich Alter, Krankheitsdauer und Therapie sehr heterogenen Gruppe von 30 MS-Patienten mit Spastik zeigte signifikante Wirkung auf die Balance der Patienten (das primäre Studienziel) und zudem Wirkung auf Spastik und Lebensqualität. "Studien wie diese, sind dringend nötig. Der Bedarf, motorische Funktionen bei MS-Patienten besser behandeln zu können, ist sehr groß. Die Zahl an Probanden ist zwar recht klein, die Ergebnisse rechtfertigen jedoch größere Studien, um die Effekte des Anzugs nachzuweisen."
Ein Anzug, 40 Muskelgruppen
Beim "Exopulse Mollii Suit" handelt es sich um einen Anzug, an dem Elektroden für Rumpf, Arme und Beine der Patienten angebracht sind. Über die Haut können so Elektroimpulse, wie man sie von der TENS-Technologie her kennt (Transkutane Elektrische Nervenstimulation), an Muskelgruppen abgegeben werden. Laut Hersteller soll der Anzug 40 Muskelgruppen adressieren. Mit dem Anzug, so der Wunsch von Ärzten und Patienten, soll die Mobilität von MS-Patienten und damit ihre Lebensqualität verbessert werden.
Hierzu muss der Anzug regelmäßig "aktiv" getragen werden, zum Beispiel jeden zweiten Tag für eine Stunde mit Übungen wie Gehen. Unterbricht man die Behandlung, verlieren sich auch die Effekte wieder.
Jeden zweiten Tag anwenden
Diesen Umstand nutzte der Hersteller in der kleinen Pilotstudie in Frankreich: Im ersten Teil, der tatsächlich randomisiert, kontrolliert und doppelt verblindet ablief, bekam ein Teil der Patienten eine Einheit mit aktivem Strom, während bei der "Scheintherapie"-Sitzung der zweiten Gruppe der Strom nach einer Minute wieder abgestellt wurde. Nach zwei Wochen "Auswaschen" (also ohne Mollii-Suit-Sitzungen) erhielten alle 30 Patienten vier Wochen lang jeden zweiten Tag eine Sitzung mit dem Anzug, also insgesamt 14 Sitzungen.
Schon nach einmaliger Anwendung (dem ersten Teil der Pilotstudie) zeigte sich eine signifikante Verbesserung der Balance im aktiven Studienarm gegenüber dem Arm, der nur zum Schein behandelt wurde. Die Balance war das primäre Studienziel. Sekundäre Studienziele waren:
- Spastik,
- Mobilität,
- Schmerzen,
- Fatigue und
- Lebensqualität.
Balance deutlich verbessert
Nachdem alle Patienten einen Monat lang aktiv teilgenommen hatten, zeigte sich bei diesen Patienten insgesamt betrachtet eine signifikante Verbesserung motorischer Symptome. Balance und Spastik verbesserten sich mehr als die Mobilität und diese wiederum stärker als die gesamte Lebensqualität. Auf Fatigue und auf Schmerzen hingegen konnten keine signifikanten Effekte verzeichnet werden. Die Daten wurden vorwiegend mit Fragebögen erhoben (also aufgrund subjektiver Einschätzungen durch die Patienten selbst), teils durch objektive Messungen (etwa bei Spastik).
"Am Studiendesign gäbe es durchaus noch Verbesserungen vorzunehmen", so Prof. Peter Flachenecker: "Im zweiten, längeren Teil der Studie gab es zum Beispiel keinen Kontrollarm mit Scheintherapie. Das heißt, die wahrgenommenen Effekte könnten wenigstens zum Teil dem Placebo-Effekt geschuldet sein, weil ja alle Patienten wussten, dass sie richtige Sitzungen hatten."
Mehr Therapieoptionen, mehr Lebensqualität
Daher unterstütze er größere, Scheintherapie-kontrollierte Studien zu dem Elektro-Impuls-Anzug. "Weitere Alternativen für die symptomatische Therapie der Multiplen Sklerose könnten Menschen mit MS viel an Lebensqualität zurückgeben", so der Chefarzt des Rehazentrums Quellenhof in Bad Wildbad und Arzt im Vorstand von AMSEL e.V.
An der Stellungnahme durch den Ärztlichen Beirat der DMSG Bundesverband zum Exopulse Mollii Suit änderten die aktuellen Studienergebnisse zunächst nichts. Dafür brauche es größere Datenmengen, vor allem eine größere Patientengruppe. Gangstörungen, Spastik, und Mobilitätseinschränkungen gehörten zu den häufigsten und im Alltag sehr einschränkenden Symptomen der Multiplen Sklerose, für die teils keine befriedigenden Therapien bereitstünden.
Über all dem dürfe auch nicht die immunmodulatorische, also prophylaktisch wirksame Therapie vergessen werden. "Wenn wir verhindern, dass Symptome überhaupt erst auftreten, brauchen wir sie auch nicht zu behandeln", so Flachenecker.
Quelle: Multiple Sclerosis Journal – Experimental, Translational and Clinical, 19.06.2025.
Redaktion: AMSEL e.V., 26.06.2025