Spenden und Helfen

Durchbruch in der Remyelinisierung?

Wenigstens am Mausmodell konnten europäische Forscher zeigen, dass der Asthmawirkstoff Theophyllin das Myelin um die Nervenfasern herum wiederherstellen kann. Der Abbau der Myelinscheiden ist schuld an den zunehmenden Behinderungen im Rahmen einer Multiplen Sklerose.

Gerade, wenn es sich bei Forschungsergebnissen um solche aus Mausmodellen handelt, sollte man vorsichtig sein, um nicht frühzeitig Hoffnungen zu schüren. Was die Forscherteams der Universität Fribourg in der Schweiz und der Johannes Gutenberg Universität Mainz herausgefunden haben, könnte die Remyelinisierung ein gutes Stück voranbringen und etwas Hoffnung schöpfen lassen - auch wenn es bis zu einer Zulassung noch dauern wird.

Es ist schon lange bekannt, dass sich das Myelin um unsere Nervenfasern herum vor allem im Zentralen Nervensystem mit dem Alter immer schlechter von allein wieder erneuert. Die fettigen Myelinschichten, man spricht auch von Myelinscheiden, um die Nervenfasern herum schützen diese und sorgen dafür, dass Signale mit Hochgeschwindigkeit durch unser Zentrales Nervensystem flitzen können.

Dank Myelin "flitzen" die Signale

Umgekehrt ist es leicht vorstellbar, was passiert, wenn diese Isoliertschichten fehlen: Die Signale kommen nur noch schneckenschnell voran, und, noch schlimmer, die Nervenfasern, die nun frei liegen, können untergehen: der gefürchtete Axonverlust. Kein Signal kommt merh hindurch. Das ist der Fall bei der Multiplen Sklerose, wo dieser Prozess zunächst meist schubförmig stattfindet, mit zunehmendem Alter jedoch in einen schleichenden Prozess übergeht. Es kann zu allen denkbaren neurologischen Ausfällen kommen, ob das nun

  • die Sicht betrifft,
  • unsere Konzentration,
  • unser Gedächtnis,
  • unser Tempo,
  • die Fähigkeit unserer Haut, zu fühlen,
  • unsere Mobilität oder
  • unsere Fähigkeit, das Wasser zu halten.

Schon lange sucht die Forschung weltweit daher nach Möglichkeiten, die Myelinschicht zu retten oder, wenn sie denn schon verloren ist, sie zu reparieren. Bislang mit verhaltenem Erfolg.

Asthma-Mittel Theophyllin bei Multipler Sklerose

Das Wissenschaftlerteam um die Neurobiologin Professor Claire Jacob hat nun einen wichtigen Mechanismus entdeckt, um die Remyelinisierung sowohl im Zentralen (ZNS: Gehirn und Rückenmark) wie auch im Peripheren Nervensystem (im übrigen Körper) zu steuern. Im Mausmodell konnten die Myelinscheiden der Tiere durch die Gabe des Wirkstoffs Theopyllin wiederhergestellt werden.

Das Interessante an Theophyllin ist, dass der Wirkstoff schon lange zugelassen ist und vor allem in der Asthmabehandlung eingesetzt wird. Man muss dazusagen, dass Theophyllin nicht unumstritten ist, gerade auch in seiner Wirkung auf das Herz, jedoch sind diese Nebenwirkungen dosisabhängig und die Schweizer-Deutschen Forscher haben herausgefunden, dass es nur eine geringe Dosis braucht, um die Remyelinisierung anzustoßen. Für eine mögliche Zulassung bei Multipler Sklerose hätte die Tatsache, dass Theophyllin bereits zugelassen ist, den Vorteil, dass sich das Zulassungsverfahren verkürzen ließe.

Progrediente MS behandeln?

Um jedoch zu diesem Ergebnis zu gelangen bzw. auf Theophyllin als möglichen Myelin-Erneuerer zu finden, untersuchten die Wissenschaftler zunächst an Mäusen, wie es überhaupt zum Myelinverlust kommt, dann, wie man den Prozess unterbinden kann.

Neurowissenschaftler fanden heraus, dass ein Protein namens eEF1A1 einen Schlüsselfaktor dabei darstellt. eEF1A1 unterbindet die Remyelinisierung, wenn es durch Acetylierung (in der Chemie: der Austausch von einem Wasserstoffatom durch eine Acetylgruppe) aktiviert wird. Deaktiviert man jedoch eEF1A1 durch Deacetylierung, so können die Myelinscheiden erneuert werden. Hierzu benötigt man wiederum ein Enzym namens Histondeacetylase 2 (HDAC2).

Um nun die HDAC2-Aktivität und ihre Synthese in Zellen zu steigern, setzten die Forscher Theophyllin ein. Theophyllin ist ein Stoff, der auch in sehr kleinen Dosierungen aus Teeblättern gewonnen werden kann. Die Remyelinisierung gelingt sowohl im zentralen wie im peripheren Nervensystem, weswegen der Einsatz nicht nur bei Multipler Sklerose weiter erforscht wird, sondern ebenso bei Verletzungen des peripheren (äußeren) Nervensystems, etwa nach Verletzungen oder Operationen.

Eine Finanzierung passender klinischer Studien an Patienten ist bereits beantragt. Für Menschen mit Multipler Sklerose wie für Menschen nach Unfällen wäre es sehr zu wünschen, dass Theophyllin hier eine ebenso gute Wirkung zeigt wie im Tiermodell und – so alle Voraussetzungen erfüllt werden – baldmöglichst zugelassen werden kann.

Gerade in der Behandlung der progredienten MS-Verläufe (PPMS und SPMS) wäre es wichtig, mehr Wirkstoffe zur Verfügung zu haben, da die progredienten Verläufe mit den (meist) Entzündungen eindämmenden Wirkstoffen für die schubförmige MS nur begrenzt therapierbar sind.

Quellen: Nature Communications, 09.07.2020; Pressemitteilung der Johann Gutenberg Universität Mainz, 24.08.2020.

Redaktion: AMSEL e.V., 07.09.2020