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Deutsche Taskforce zur MS-Stammzelltherapie gegründet

Für geschätzt 5 % der Multiple-Sklerose-Patienten wäre die autologe Hämatopoetische Stammzelltransplantation eine Option. Die Kassen übernehmen sie selten. Neben der Finanzierung braucht es auch einheitliche Kriterien und eine zentrale Dokumentation. All das möchte die Taskforce des KKNMS schaffen.

Oft sind es Menschen mit weit fortgeschrittener schleichender MS, die sich für eine Stammzelltherapie interessieren. Am besten helfen kann sie jedoch bei (möglichst) jungen Patienten mit aggressiven und aktiven Verläufen (rund 5 % der MS-Patienten). Doch auch die haben es in Deutschland schwer, sich einer solchen Therapie zu unterziehen. Der Weg führt manch einen dann – auf eigene Kosten – ins günstige Ausland, mit lockereren Regeln im Gesundheitssystem.

aHSCT: möglichst jung, 100 m ohne Hilfe gehfähig, aggressiver Verlauf

Diese Misslage möchte das Krankheits-Kompetenznetz Multiple Sklerose, kurz KKNMS, beenden. Zu diesem Zweck hat das MS-Forschungsnetzwerk eine Taskforce eingerichtet. Der erste Schritt ist getan:

  • Ein Positionspapier fasst Empfehlungen und – für Patienten ebenfalls sehr interessant – Kriterien zusammen, die für eine solche Therapie sprechen.
  • Ein weiteres Papier mit Patienteninformationen erklärt die aufwändige und mit in der Regel mehreren Wochen im Krankenhaus verbundene Therapie ausführlich, geht auch auf (teils schwerwiegende) Risiken und die rund einjährige Nachsorge ein.

"Bei fortgeschrittener Erkrankung mit langem Verlauf, höherem Lebensalter und höherer Beeinträchtigung sprechen die Daten gegen einen realistischen Nutzen der Therapie, welche die Risiken einer Transplantation rechtfertigen würde", schreibt das KKNMS in seinem Positionspapier. Auch sei die aHSCT in erster Linie beim schubförmigen Verlauf wirksam; eine Anwendung beim primär und sekundär progredienten Verlauf in der Regel weniger wirksam, was dann wiederum das Eingehen der damit verbundenen Risiken (s. unten) nicht rechtfertige. Ausnahmen sehen die Autoren bei "früher Konversion in eine SPMS bis zu 3 Jahren sowie anhaltender entzündlicher Aktivität oder jungem Lebensalter ohne schwere Beeinträchtigung."

Grober Ablauf einer aHSCT

amsel.de hatte erst kürzlich ausführlich über die aHSCT bei MS berichtet. Es geht darum, mittels kleiner Chemotherapie zunächst die körpereigenen Stammzellen aus dem Knochenmark ins Blut zu schwämmen und sie dort abzusammeln (per Blutabnahme). Diese Zellen werden geprüft und warten dann tiefgefroren, während der Patient/ die Patientin sich einer weiteren, dieses Mal stärkeren Chemotherapie unterzieht, mit dem Ziel, das Immunsystem zu zerstören. Dabei werden jedoch nicht nur die MS-auslösenden Anteile zerstört, sondern ebenso alle nützlichen Teile, die uns gegen z.B. Erreger schützen, ebenso durch Impfungen erreichte Abwehrzellen.

Nach der Chemo werden die eigenen Stammzellen wieder per Infusion in den Körper zurückgegeben und sollen ein neues Immunsystem aufbauen. Das dauert einige Tage und in dieser Zeit ist der Körper schutzlos gegenüber Keimen und Erregern. Ab etwa Monat 3 nach der Transfusion werden Impfungen durchgeführt. Erst nach ca. zwölf Monaten ist das Immunsystem etwa auf einem Stand wie vor der Transplantation.

Die aHSCT ist eine sehr stark wirksame Immuntherapie. Auch bei zugelassenen hochwirksamen MS-Therapien wird ein Teil des Immunsystems gebremst. Zuletzt berichtete Prof. Mathias Mäurer auf MS-Docblog über eine Studie, welche die aHSCT mit hochwirksamen MS-Immunmodulatoren verglich. Hier zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen Stammzelltherapie und immunmodulatorischer Therapie (Ocrelizumab). Verglichen wurden die Schubrate sowie die Behinderungsprogression und auch deren Rückgang.

Vergleich von aHSCT mit hochwirksamen Immunmodulatoren

Bisherige Studienergebnisse zu aHSCT bei MS liefern teils recht unterschiedliche Ergebnisse, was mit der in der Regel kleinen Teilnehmerzahl und unterschiedlichen Einschlusskriterien zusammenhängen mag. Dass man damit eine Multiple Sklerose bei allen Patienten und für immer heilen kann, scheint jedoch nicht der Fall zu sein.

So verweisen die Autoren der Patienteninformation des KKNMS auf Studien, die aHSCT gegenüber Mitoxantron (das heute nur noch selten zum Einsatz kommt) als wirksamer darstellen. Daten aus allen Studien zusammengefasst zeigten, dass 2 Jahre nach aHSCT noch 74 % der Patienten ohne erneute Krankheitsprogression waren. – Einheitlichere Zugangskriterien und einheitlichere Durchführungen und größere Kohorten könnten künftig zu aussagekräftigeren Ergebnissen führen.

Durch eine Stammzelltherapie kann bei Männern wie bei Frauen die Fruchtbarkeit verlorengehen. Das Infektionsrisiko in den ersten Tagen, Wochen und Monaten nach der Stammzelltherapie ist erhöht, meist, aber nicht immer beherrschbar. Zu den späten Risiken einer aHSCT zählen bei bis zu 5 % Zweitautoimmunerkrankungen, entzündliche Darmerkrankungen und Gerinnungssystemschäden. Auch das Krebsrisiko steigt und erreicht etwa 3 %, so die KKNMS in ihrer Patienteninformation.

Die Stammzelltherapie kann jedoch für einen Teil der Patienten eine Option darstellen. Damit sie diesen Patienten auch in Deutschland zugänglich gemacht werden kann, dafür setzt sich die neu gegründete Taskforce der KKNMS ein.

Quellen: Pressemitteilung des KKNMS, 01.12.2022; Empfehlungsposition des KKNMS, Stand: 18.11.2022; Patienteninformation des KKNMS, Stand: 18.11.2022.

Redaktion: AMSEL e.V., 02.12.2022