Der "Urknall" der MS?

Zumindest nah dran scheint ein schweizerisch-deutsches Forscherteam zu sein: Eine Zwillingsstudie soll die Ursache(n) der Multiplen Sklerose aufklären.

Weder die Gene noch Umwelteinflüsse allein genügen, so weit scheint sich die Forschung heute sicher, um eine Multiple Sklerose auszulösen. Es muss schon beides zusammenkommen. Das zeigt allein die Tatsache, dass es viele Paare eineiiger Zwillinge gibt, von denen jeweils nur einer eine MS entwickelt.

Sehr viele Gen-Allele, die eine MS begünstigen, wurden bereits gefunden. Auch bei den Umweltfaktoren sind einige bereits ausgemacht, etwa

  • mangelndes Sonnenlicht,
  • Rauchen,
  • Übergewicht und
  • das Epstein-Barr-Virus.

Eineiige Zwillinge: gleiche Gene, verschiedene Umweltfaktoren

Ziel der vorliegenden Zwillingsstudie ist es, nachdem die Gene bei eineiigen Zwillingen identisch sind, herauszufinden, was denn dann – auf Zellebene – den entscheidenden Unterschied macht: Warum ein Zwilling an MS erkrankt und der andere nicht. Die Ludwig-Maximilians-Universität München hat dazu die weltweit größte Kohorte an MS-Zwillingen akquiriert (amsel.de hatte schon mehrfach über Erkenntnisse aus der Zwillingsstudie berichtet).

Das ist auch deshalb schwierig, weil erstens Zwillingspaare selten sind, noch seltener solche, bei denen ein Zwilling MS hat, und weil zweitens das Risiko für einen Zwilling MS zu bekommen, wenn sein Zwillingsgeschwister MS hat bei unschlagbar hohen 25 % liegt. Im Vergleich dazu: Wenn ein Elternteil MS hat, besteht für die Kinder "nur" ein 2- bis 4-prozentiges Risiko, selbst an MS zu erkranken.

Immunsignaturen vergleichen

Insgesamt 61 Zwillingspaare machen mit. Das ist selbstredend freiwillig und diese 122 Menschen und ihr Einsatz für die Studie machen neue Erkenntnisse überhaupt erst möglich.

Es gab schon einige Forschungsergebnisse aus der Zwillingsstudie. Zuletzt schaute sich nun ein schweizerisch-deutsches Forscherteam die Immunsysteme der in puncto MS unterschiedlichen Zwillingspaare genauer an. Sie verglichen die peripheren Immunsignaturen der Zwillinge mit- und untereinander.

Dazu verbanden sie moderne Untersuchungsmethoden wie Hochdurchsatz- und Einzelzelltechnologien mit datengesteuerten Computertools. Künstliche Intelligenz und modernste Analyseverfahren sind also notwendig, um zu sehen, welche der Gene bei MS-erkrankten Zwillingen angeschaltet sind und welche MS-kritischen Proteine zur MS führten - bei gleicher genetischer Anlage.

Urknall der MS: ein Kommunikationsfehler

Fündig wurden sie bei den Zytokin-Rezeptoren. Diese sind für die Kommunikation des Immunsystems zuständig. Sind die sozusagen besonders empfindlich eingestellt, dann werden T-Zellen im Blut stärker aktiviert und können ins ZNS einwandern und dort Nervenschäden verursachen. Die gefundenen Zellen schienen erst kürzlich aktiviert worden zu sein. „Möglicherweise haben wir hier den zellulären Urknall der MS entdeckt – Vorläuferzellen, aus denen krankheitsverursachende T-Zellen entstehen“, erklärt Prof. Burkhard Becher von der Züricher Arbeitsgruppe.

Das Team aus München und Zürich konnte hier nicht nur irgendeinen nicht-genetischen Unterschied, der zu einer MS führt, möglicherweise aber "nur" eine Folge der längst ausgelösten MS ist, ausfindig machen, sondern ist mit der Entdeckung dieser "jungen" T-Zellen möglicherweise recht nah am eigentlichen Auslöser dran. Je mehr man über den oder die Auslöser weiß, desto besser kann man Strategien und Therapien dagegen entwickeln. Auf weitere Ergebnisse aus der Münchener Zwillingsstudie darf man jedenfalls gespannt sein.

Quellen: Pressemitteilung der LMU, 23.02.2022; Nature, 16.02.2022.

Redaktion: AMSEL e.V., 26.10.2022