Mit BNT162b2 scheint ein erster Impfstoff gegen SARS CoV2 gefunden zu sein. Er könnte in wenigen Wochen zugelassen und dann geimpft werden. Chroniker wie Patienten mit Multipler Sklerose stellt das vor neue Fragen. Die AMSEL-Onlineredaktion sprach mit Prof. Mathias Mäurer, Chefarzt für Neurologie am Klinikum Würzburg-Mitte und Mitglied des Ärztlichen Beirats der AMSEL:
Prof. Mäurer, für welche MS-Patienten ist eine Impfung mit BNT162b2 zeitnah nötig?
Es hat sich in den letzten Monaten auf Basis von Registerstudien gezeigt, dass die MS, gleich ob behandelt oder unbehandelt, kein unabhängiger Risikofaktor für Covid-19 ist. Auf der anderen Seite haben alle Studien sowohl bei MS-Patienten als auch in der Allgemeinbevölkerung ein erhöhtes Risiko für schwere Verläufe bei älteren Menschen belegen können, insbesondere, wenn Herz-Kreislauf- und Lungenerkrankungen vorliegen. Von daher halte ich persönlich es für sinnvoll, diese Patientengruppe vorrangig mit neuen Impfstoffen gegen SARSCoV2 zu versorgen. Diese Empfehlung hat ja auch kürzlich der Deutsche Ethikrat und die ständige Impfkommission ausgesprochen. Wenn man den Risikobegriff sehr weit fasst - das hat der Bundesgesundheitsminister in einer seiner letzten Pressekonferenzen getan und eine Zahl von bis zu 40 Millionen Risikopatienten in Deutschland genannt - dann wird man dieser Gruppe sicherlich auch MS-Patienten mit Immuntherapien zurechnen. Dementsprechend würde ich für MS Patienten eine klare Impfempfehlung sehen, aber ganz im Vordergrund stehen Patienten mit Multipler Sklerose für mich nicht. Außer sie sind im höheren Lebensalter oder haben so ausgeprägte Behinderungen, dass die Lungenfunktion dadurch beeinträchtigt ist.
Es kann also sein, dass viele Menschen mit Multipler Sklerose zunächst abwarten müssen?
Zum jetzigen Zeitpunkt ist es eigentlich noch viel zu früh, über eine konkrete Verteilung der Impfstoffe zu reden – es sind ja noch ganz viele Fragen, auch zur Logistik der Impfung, offen. Zudem glaube ich auch nicht, dass Panik aufkommen sollte, dass zu wenig Impfstoff vorhanden ist. Zum einen haben wir in der deutschen Bevölkerung zurzeit eher das Problem, dass relativ viel Skepsis gegenüber einem Covid-19-Impfstoff besteht - es ist eher notwendig, diese Skepsis durch transparente Informationen auszuräumen. Zum anderen sollte man daran denken, dass letztlich jedes geimpfte Individuum weltweit dazu beiträgt, die Pandemie zu beenden. Ob man dann von offizieller Seite priorisiert ist oder nicht spielt daher aus meiner Sicht gar keine so große Rolle. Wir können sowieso erst dann aufatmen, wenn auf der ganzen Welt eine ausreichende Immunität gegen SARS CoV2 besteht.
Ich finde es wichtig, so früh wie möglich die Personen zu schützen, die ein wirklich hohes Risiko für schwere Verläufe haben, also v.a. unsere älteren Mitbürger und auch diejenigen, die ein hohes Risiko haben, sich zu infizieren, also vor allem das Personal von Krankenhäusern, Praxen und Pflegeeinrichtungen.
Was für eine Art Impfstoff ist BNT162b2?
Es werden derzeit viele unterschiedliche Impfstrategien untersucht. Ganz vorne dran ist der Impfstoff BNT162b2, der von der Mainzer Firma Biontech entwickelt wurde und derzeit zusammen mit dem US-Pharma-Konzern Pfizer klinisch getestet wird. Hierbei handelt es sich um einen sogenannten mRNA-Impfstoff. Im Gegensatz zu klassischen Ansätzen, wo der Erreger oder Teile des Erregers verimpft werden, wird bei einem mRNA-Impfstoff sozusagen die „Bauanleitung“ des Impfstoffes verabreicht. Ein mRNA Molekül wird nach Aufnahme in den Körper der geimpften Person vom Protein-Biosynthese-Apparat der Zellen so abgelesen, dass wichtige Bestandteile des Coronavirus zusammengebaut werden und dem Immunsystem präsentiert werden, das dann darauf mit Antikörperproduktion und Ausbildung einer zellulären Immunität reagiert. Im Falle des neuen Impfstoffes codiert die mRNA für das sog. Spike-Protein von SARS-CoV2 und dieser Ansatz scheint ja nach ersten Presseberichten extrem erfolgreich zu sein.
Bei dem Impfstoff handelt es ich in der Tat um ein ganz neues Prinzip, wovor man aber keine Angst haben muss, denn die Sicherheit dieses Impf-Prinzips ist gut untersucht. Es liegen mittlerweile auch die Daten der Phase-1-Studie von BNT162b2 publiziert vor, die eine gute Wirkung des Impfstoffes zeigen. Zudem ist erfreulich, dass der Impfstoff auch bei älteren Menschen in der Altersgruppe von 65 bis 85 Jahren zu einer guten Impfantwort geführt hat. Das heißt, dass BNT162b2 wahrscheinlich auch gut für die oben genannten Risikogruppen geeignet ist.
Gibt es etwas zu beachten in Bezug auf Wechselwirkungen mit den Immunmodulatoren, den Zeitpunkt der Impfung oder den Start der Therapie?
Hier gelten eigentlich die gleichen Regeln wie bei allen anderen Indikationsimpfungen. Bei den meisten MS-Medikamenten ist eine Impfung unter der Therapie kein Problem. Für den Grippeimpfstoff wurde in diversen Studien unter Therapie eine ausreichende Impfantwort erzielt. Totimpfstoffe - und hierzu gehört auch der mRNA-Impfstoff gegen COVID19 - stellen auch bei MS-Patienten unter Immuntherapie kein Problem dar. Bei den sog. zelldepletierenden Therapien wird man aber darauf achten, den Impfstoff - wenn dies möglich ist – am Ende des therapiefreien Intervalls (also ca. einen Monat vor der nächsten Gabe) zu verabreichen.
Was ist mit Wechselwirkungen mit symptomatischen Medikamenten, etwa Cortison, Sativex oder Epilepsiemittel?
Auch hier gilt das, was wir schon bei anderen Impfungen praktizieren. Zwischen einer Cortison-Stoß-Therapie und einer Impfung sollten vorzugsweise 2 – 4 Wochen liegen, alle anderen symptomatischen Therapien, die bei MS verabreicht werden, sind in Bezug auf die Impfung unproblematisch.
AMSEL sagt danke für diese ausführlichen Informationen zum voraussichtlich ersten Corona-Impfstoff und Multipler Sklerose!
Quelle: New England Journal of Medicine (nur bisher veröffentlichte Daten; nicht Phase3), 14.10.2020.
Redaktion: AMSEL e.V., 16.11.2020