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Der Ärztliche Beirat der AMSEL über Natalizumab

10.12.09 - In Ulm haben sich die Mitglieder des Ärztlichen Beirats am 18.11.09 zu ihrer 2. Sitzung in diesem Jahr getroffen. Sie beratschlagten unter anderem über Nutzen und Risiken von Natalizumab. Together hat PD Dr. med. Peter Flachenecker, Vorsitzender des Ärztlichen Beirats der AMSEL, befragt.

Für welche MS-Kranken ist Natalizumab geeignet?

PD Dr. Flachenecker: Natalizumab ist ein sog. monoklonaler Antikörper, der gezielt den Eintritt von Immunzellen über die Blut-Hirn-Schranke in Gehirn und Rückenmark verhindert. Dieses Medikament hat sich als äußerst wirkungsvoll erwiesen, das Auftreten von Schüben und die Neubildung von Herden in der Magnet-Resonanz-Tomographie zu verhindern. Natalizumab ist in Deutschland für die Behandlung der schwer verlaufenden, schubförmigen MS zugelassen. In Frage kommen MS-Patienten, die unter einer Therapie mit einem Immunmodulator (Interferon-beta oder Glatiramerazetat) mindestens einen Schub pro Jahr haben, im Einzelfall kann Natalizumab auch ohne vorherige Immuntherapie bei mindestens zwei Schüben pro Jahr gegeben werden. Natalizumab ist nicht geeignet beim chronisch-progredienten Verlauf oder zur Therapie des akuten MS-Schubs.

Was ist bei der Verordnung von Natalizumab besonders zu beachten?

PD Dr. Flachenecker: Die Therapie darf nur als sog. Monotherapie durchgeführt werden, d.h. es dürfen keine anderen Immuntherapien gleichzeitig verabreicht werden. Die Indikationsstellung sollte in besonders erfahrenen MS-Zentren erfolgen, die Durchführung der Therapie erfordert besondere Sicherheitsvorkehrungen und eine Notfallbereitschaft. Zudem muss eine engmaschige neurologische und kernspintomographische Überwachung sichergestellt sein. Vor Therapiebeginn muss eine ausführliche Aufklärung über Nutzen und Risiken der Therapien erfolgen.

Welche Nebenwirkungen können auftreten?

PD Dr. Flachenecker: Besonders gefürchtet ist die sog. "progressive multifokale Leuken-zephalopathie" (PML). Dabei handelt es sich um eine Entzündung des Gehirns, die durch das JC-Virus ausgelöst wird und vor allen Dingen bei eingeschränkter Immunkompetenz wie bei Leukämien, AIDS oder Behandlung mit Chemotherapeutika auftritt. Die Symptome dieser Erkrankung können einem MS-Schub ähneln, häufig kommt es darüber hinaus zu MS-untypischen Krampfanfällen, einer Sprachstörung und einer Bewusstseinsstörung bzw. Wesensänderung. Eine wirksame Therapie existiert bislang nicht. Üblicherweise führt die Erkrankung zu schwerer Behinderung oder gar zum Tod, kann aber bei rechtzeitiger Erken-nung und Behandlung von Komplikationen auch einen günstigeren Verlauf nehmen.
Während der Infusion kann es zu allergischen Reaktionen bis hin zum anaphylaktischen Schock und Kreislaufstillstand kommen, deshalb muss die Möglichkeit zur Notfallversorgung und Wiederbelebung vorhanden sein. In Einzelfällen wurde über schwere Leberfunktionsstörungen und bösartige Tumoren berichtet.

Wie viel PML-Fälle gab es bisher?

PD Dr. Flachenecker: Bis Juli 2009 wurden wöchentlich die aktuellen PML-Fälle auf der Internet-Seite des Herstellers veröffentlicht; zu diesem Zeitpunkt waren weltweit 13 Fälle gemeldet. Zum 31. Oktober 2009 wurden 24 Fälle von der europäischen Zulassungsbehörde (EMEA) bestätigt. Vor wenigen Tagen hatte ich Gelegenheit, mit Prof. Dr. Gold, Bochum, zu sprechen, der deutschlandweit die meisten Erfahrungen mit der PML hat. Zum 21. November 2009 gibt es nun weltweit insgesamt 27 PML-Fälle. Das Risiko einer PML beträgt etwa 1 auf 1000 mit Natalizumab Behandelte, wobei das Risiko bei mehr als 2jähriger Behandlungsdauer auf 1:800 ansteigt. Besonders gefährdet sind offensichtlich die MS-Patienten, die zuvor mit einer Immunsuppression wie Azathioprin, Methotrexat und vor allem Mitoxantron behandelt worden waren.

Was heißt das kurz zusammengefasst für Patienten, denen eine Therapie mit Natalizumab vorgeschlagen wird?

PD Dr. Flachenecker: Sie sollten sich sorgfältig informieren und alle Fragen ausführlich mit ihrem behandelnden Arzt besprechen. Die Anwendung sollte nur durch einen erfahrenen Neurologen, der sich mit Natalizumab und der PML auskennt, erfolgen, unter der Therapie sind engmaschige Kontrollen notwendig. Insbesondere bei einer Behandlungsdauer von 2 Jahren ist unbedingt zu prüfen, ob die Therapie nicht abgesetzt und auf eine andere, weniger gefährliche Behandlung umgestellt werden kann. Sollten sich Arzt und Patient gemeinsam für eine Fortsetzung entscheiden, sollten zumindest die Kontrolluntersuchungen intensiviert werden. Es ist dringend davon abzuraten, MS-Betroffene mit chronischem (sowohl sekundär chronisch-progredientem als auch primär chronisch-progredientem) Verlauf ohne wesentliche Schubaktivität bzw. im fortgeschrittenen Stadium mit Natalizumab zu behandeln. Bei diesen Patienten ist kein Nutzen der Therapie zu erwarten, so dass sich die Patienten nur einem unnötigen Risiko aussetzen würden. Im Übrigen sei auf die Empfehlungen des Ärztlichen Beirats der DMSG, Bundesverband e.V. verwiesen (www.dmsg.de).

Quelle: Together 04/2009

Redaktion: AMSEL e.V., 10.12.2009