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Das Spiel mit den Schuldgefühlen

Prof. Mathias Mäurer erklärt auf MS-Docblog über Diäten: Man kann weder gegen die MS "anessen" noch sie "aushungern".

Der eine schwört auf rechtsdrehende Joghurtbakterien, der andere geht ohne Smoothie nicht aus dem Haus und wieder ein anderer liebt nunmal ein kräftig angebratenes Steak. Unsere Ernährungsgewohnheiten, -vorlieben und -überzeugungen sind so verschieden wie wir selbst, ob wir Multiple Sklerose haben oder nicht.

Wobei: Als Patient mit einer chronischen Erkrankung gerät man womöglich noch leichter in Versuchung, seine Ernährung aufgrund von (Internet-) Meldungen umzustellen. Entsprechend voll sind die Blogs und Magazine von Ernährungstipps bei MS. Und: Anders als vor 20 Jahren kann heute jeder seine Meinung oder auch seine persönliche Erfahrung publizieren. Meist sind die Autoren keine Ernährungsexperten sondern Privatleute. Den Tipps zugrunde liegen keine Studien sondern ganz persönliche Erfahrungen, gern auch mal gewürzt mit den Stilmitteln der Rhetorik, als da wären: Übertreibung und der Schluss vom Teilchen aufs Ganze.

Die Meinungsfreiheit erfährt in Zeiten des Internets ein immenses Ausmaß. Das hat ja auch sein Gutes. Wir wollen hier gar nicht auf Vor- und Nachteile einzelner Diäten eingehen, mit der einen Einschränkung, dass keine Diät die MS heilen kann, jedoch auf die Kehrseite der Medaille hinweisen: den enormen Druck, den Empfehlungen und Erfolgsberichte Einzelner, so gut sie auch gemeint sein mögen, im Umkehrschluss auf so viele Menschen mit MS ausüben. Ein bisschen, wie Prof. Mäurer schreibt, als wären sie "einfach zu dumm, sich gesund zu ernähren."

Mehr Frust als Lust

Mag sein, Einzelne fahren gut mit einer Ernährungsumstellung. Doch bei der MS kann man nie von Einzelnen auf alle schließen. Mit oder ohne Diät, mit oder ohne Medikamente: Jede MS ist individuell. Die Ausfälle im Rahmen eines Schubes, wenn es trotz Therapie dazu kommt, können gewaltig sein. Zum Glück jedoch ist unser Gehirn dazu in der Lage, sich selbst (zu einem Teil) zu regenerieren, Verluste zu kompensieren. Ob ein Wirkstoff (oder auch eine Diät) die Regeneration unterstützt, muss in Studien an vielen Menschen unter den gleichen Bedingungen getestet werden.

Alles andere, und dazu gehören auch gut gemeinte Anmerkungen und Ratschläge - ähnlich wie die Aussage gegenüber jemand U30, der bereits berentet ist: "Meine frühere Nachbarin hatte auch MS und ist mit 60 noch Vollzeit arbeiten gegangen." - führt bei vielen Mitbetroffenen zu Schuldgefühlen oder Frust. Und das braucht keiner, zusätzlich zur Last seiner Multiplen Sklerose.

Wie aber dieses Dilemma lösen, wo die Geschichten schon überall kursieren? Vielleicht, indem man die Schreiber aufruft, deutlicher herauszustreichen, dass sie ganz persönliche Erfahrungen schildern, keine wissenschaftliche Evidenz dafür haben? Vielleicht, indem man die MS-erkrankten Leser auffordert, Einzelfälle als Einzelfälle stehen zu lassen und im Zweifel lieber einen Experten zu fragen? Am besten beides.

Quelle: MS-Docblog, 22.02.2019

Redaktion: AMSEL e.V., 25.02.2019