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Cholesterinrecycling ankurbeln, Myelin reparieren

Ein internationales Forscherteam macht eine unerwartete Entdeckung zur Regeneration defekter Myelinscheiden. Die Fresszellen kapitulieren beim Cholesterinrecycling. Doch mit Squalen gibt es einen möglichen neuen Therapieansatz.

Gerade hatte die AMSEL-Onlineredaktion ein Video-Interview mit Sobek-Forschungspreisträger Professor Alan Thompson veröffentlicht, in dem der Londoner Neurologe zuversichtlich in die therapeutische Zukunft der progredienten MS blickt und die Remyelinisierung neben Regeneration und Neuroprotektion als eine der wichtigsten Aufgaben nennt, da erscheint eine passende Pressemeldung aus genau diesem Bereich der Forschung von der Max-Planck-Gesellschaft. Sollten die Göttinger Wissenschaftler Recht behalten, dann haben sie am Mausmodell eine Möglichkeit gefunden, die Remyelinisierung anzukurbeln. Sollten sich die Ergebnisse bestätigen, wäre dies ein Lichtblick für Menschen mit schubförmigem wie auch für Menschen mit primär und sekundär progredienten MS-Verläufen.

Zum Hintergrund: Bei der Multiplen Sklerose greifen körpereigene Zellen die Myelinscheiden der Nervenzellen an, was zu den unterschiedlichsten Symptomen einer Multiplen Sklerose mit zahlreichen und im Laufe der Erkrankung mehr oder weniger stark zunehmenden physischen und kognitiven Behinderungen führen kann. Im wesentlichen gibt es zwei therapeutische Ansätze: entweder die Degeneration des Myelins bremsen oder die Regeneration des Myelins ankurbeln.

Überfressene Fresszellen: kein Cholesterin-Recycling

Wissenschaftler des Max Planck-Instituts für experimentelle Medizin in Göttingen konnten zeigen, dass es die Fresszellen (Mikroglia) sind, welche beim Remyelinisierungsprozess nicht funktionieren bzw. am Funktionieren gehindert werden. Vermutlich ist es nämlich ein normaler Vorgang im gesunden Gehirn, dass einzelne Myelinscheiden beschädigt und wieder repariert werden. Beim Untergang haben die Fresszellen demnach die Aufgabe, das Cholesterin aus dem Myelin (Myelin ist eine Art Fettschicht) aufzunehmen, zu recyceln und wieder zur Verfügung zu stellen. Was hier jedoch, also bei der Multiplen Sklerose, passiert, ist, dass dieser Prozess nach der Aufnahme gestoppt wird. Die Fresszellen nehmen immer mehr Cholesterin auf, bis sie quasi selbst daran ersticken, zur sogenannten Schaumzelle werden und schließlich selbst sterben.

Dass es genau die Fresszellen sind, die hier scheitern, haben die Wissenschaftler aus Göttingen zusammen mit Wissenschaftlern aus Amsterdam, Freiburg, Glasgow, Hamburg und München durch Ausschlussverfahren am Mausmodell herausgefunden. Sie haben Mausmutanten erzeugt, bei denen die Myelinsynthese in unterschiedlichen Zelltypen ausgeschaltet war und die Regeneration der Myelinscheiden beobachtet. Die Mäuse, bei denen die Cholesterinsynthese in den Fresszellen des Gehirns defekt war, konnten zwar noch Cholesterin aus dem kaputten Myelin aufnehmen, es aber nicht mehr recyceln und wieder zur Verfügung stellen. Im Gegenteil, wurden sie selbst zu Schaumzellen und starben an dem Überangebot an Cholesterin. Sie haben sich quasi daran überfressen.

Neustart für die Re-Myelinisierung

Die Frage war nun also, warum die Fresszellen das gefressene Cholesterin nicht mehr wieder zur Verfügung stellen konnten. Hier zeigte sich ein Zwischenprodukt der Cholesterinsynthese als wichtig: Desmosterol. Es ist ein Vorläufermolekül, welches als Signalmolekül die Aufbereitung von Cholesterin aus Myelin bewirkt und zudem für ein regeneratives Milieu sorgt.

Genau hier fanden die Forscher auch eine Lösung: Ein Zwischenprodukt der Cholesterinsynthese, genannt Squalen, fördert den körpereigenen Recyclingsprozess. Und ist damit ein potentieller Faktor in der Behandlung von Myelinerkrankungen wie Multiple Sklerose. Außerdem würden die Ergebnisse darauf hindeuten, so die Forscher, dass die Behandlung beim Menschen ähnlich positiv wirke wie bei Mäusen. Bis Studien hier den Beweis liefern können und es zu einer Zulassung kommt, vergehen sicher Jahre. Die Ergebnisse stellen jedoch einen wichtigen Schritt im Verständnis der Remyelinisierung dar, unabhängig davon, ob sich die Förderung der Cholesterinsynthese durch Squalen künftig als erfolgreich zeigen wird.

Squalen: kontrovers diskutiert

Squalen (Betonung auf dem e) kommt am konzentriertesten in Lebertran, deutlich weniger konzentriert in Olivenöl vor. Es wird - in höherer Dosierung - mitunter kontrovers diskutiert, unter anderem auch als möglicher Auslöser von Autoimmunkrankheiten. Von Selbstmedikation ist dringend abzuraten, davon abgesehen, dass die vorliegende Pressemitteilung keine Aussage zu Dosierung und Art der Verabreichung an die Mäuse macht (und diese dann noch auf den Menschen übertragen werden müssten). Im Zweifel sollten MS-Betroffene zunächst ihren Arzt befragen, bevor sie Squalen kaufen und selbst anwenden. Gelegentlich eine Portion Fisch und Olivenöl im Salat kann sicher nicht schaden. Mehr dazu auf der AMSEL-Plattform "MS und Ernährung".

Quellen: Nature Neuroscience, 21.12.2020; Pressemitteilung der Max-Planck-Gesellschaft, 21.12.2020.

Redaktion: AMSEL e.V., 23.12.2020