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Cannabis bei MS? - Ja, aber.

Warum, wann und in welcher Form Cannabispräparate und -blüten bei Multipler Sklerose (MS) verordnet werden können, ist nun vom G-BA "abgesegnet". Das KKNMS hat Stellung dazu genommen.

In punkto Cannabis scheiden sich die Geister. Das gilt nicht nur für die generelle politische Freigabe des Cannabiskonsums, sondern auch für den medizinischen Einsatz. Für die einen ist es Teufelszeug, der Einstieg in härtere Drogen oder schlicht unwirksam, für andere gar Heilsbringer und Balsam. Die Antwort ist irgendwo dazwischen zu suchen und auch nicht für jeden Anwender gleich. D. h., man sollte sich ernsthaft theoretisch mit der Materie auseinandersetzen, bevor man „einfach so“ einen Versuch wagt.

In Deutschland regelt der Gesetzgeber den Cannabiskonsum sowohl in der Freizeit als auch aus medizinischen Gründen. Seit 2017 sind Cannabisprodukte, auch Cannabisblüten, in bestimmten medizinischen Fällen zugelassen. Das regelt das "Cannabisgesetz", Paragraf 31 (6) SGB V. Und es gilt neben anderen Erkrankten auch für Menschen mit Multipler Sklerose, die unter Spastik leiten. Mit der entsprechenden Indikation haben Patientinnen und Patienten Zugang zu „Cannabis auf Kasse“, d. h., die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten dafür. Cannabisblüten und Cannabispräparate sollte man jedoch unterscheiden von Cannabinoiden, die nur einen Auszug davon enthalten und denen in der Regel der Teil entzogen ist, der zum Beispiel die Kognition stark beeinträchtigen kann (wie zum Beispiel beim seit 2011 für MS-bedingte Spastik und Schmerzen zugelassenen Sativex).

Cannabis-Produkte bei MS: Was, wann und für wen

In den vergangenen fünf Jahren seit 2017 galt es, den medizinischen Einsatz genauer unter die Lupe zu nehmen, um den Menschen, denen Cannabis helfen könnte, auch einen schnellen Zugang zu gewähren, andere jedoch davon abzuhalten. Der Gemeinsame Bundesausschuss, G-BA, hat nun, nach fünf Jahren Begleiterhebung durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Detailregelungen dazu beschlossen.

Das begrüßt auch das Krankheitskompetenznetz Multiple Sklerose (KKNMS) in seiner Stellungnahme vom 27. März 2023. Gleichwohl weist es darauf hin, dass es in Bezug auf cannabishaltige Arzneien an evidenzbasierter Medizin mangele. Es fehlen Nachweise, die eine Überlegenheit gegenüber Placebo oder einer Vergleichsmedikation zeigen, es fehlen Daten zur Sicherheit, Verträglichkeit und Dosierungsfindung, weswegen cannabishaltige Produkte nicht grundsätzlich und in der Breite einzusetzen seien.

Cannabis ist nicht gleich Cannabis

Gleichwohl gebe es einen Grenzbereich in der Medizin für den Einsatz bei Sondergruppen, wie etwa die Linderung von starken Schmerzen oder starker Spastik bei länger an MS Erkrankten auch jenseits der Kriterien evidenzbasierter Medizin. Nicht nur solle der Einsatz unterschiedlicher Cannabis-Produkte möglich sein, sondern bei schwerst Erkrankten auch ohne Zeitverzug gegeben werden können, so Prof. Frauke Zipp, stellvertretende Vorstandsprecherin des KKNMS.

Die "Grauzone" ohne formale Zulassung bringt allerdings auch Gefahren mit sich, dass nämlich

  • MS-Patienten mögliche negative Auswirkungen von medizinischem Cannabis, insbesondere von Cannabisblüten auf die Kognition nicht beachten, obschon ihr Zentralnervensystem durch die MS vorgeschädigt ist,
  • MS-Patienten die Unterschiede der Produkte und Verabreichungsmöglichkeiten nicht gut genug kennen: Gerade der Konsum von Cannabisblüten habe zum einen eine schneller eintretende, aber ebenso schneller verpuffende Wirkung als oral eingenommene Produkte und schädige zum zweiten bei Inhalation die Atemorgane,
  • ökonomisch handelnde Hersteller mittels Werbung versuchen könnten, ihre cannabishaltigen Produkte auf einem breiten Markt zu etablieren.

Zusammengefasst: Dem wissenschaftlich erprobten und für Spastik bei Multipler Sklerose explizit zugelassenen Cannabinoid-Spray Nabiximols (Sativex) sei der Vorzug vor anderen Cannabispräparaten wie Tetrahydrocannabinol, synthetischen Cannabinoiden und Vollextrakten (oder auch Cannabisblüten) zu geben. Die letztgenannten enthalten ca. 120 verschiedene Cannabinoide, Terpene und Flavoide, deren möglicherweise negative Wirkungen nicht untersucht sind. Besonders bei Cannabisblüten ist die schwierigere Dosierung und die schnell abflachende Wirkung zu beachten. Ein Inhalieren kann zu Lungenschäden führen.

Quelle: Stellungnahme KKNMS, 27.03.2023 [Link am 23.08.2023 nicht mehr erreichbar; liegt als E-Mail vor]; Pressemitteilung Gemeinsamer Bundesausschuss, 16.03.2023.

Redaktion: AMSEL e.V., 04.04.2023