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Cannabinoide und Autofahren mit MS

Der Bundesrat hat sich über einen neuen Grenzwert für THC beraten. Ob MS-Patientinnen und -Patienten diesen Grenzwert bei einer Kontrolle überschreiten dürfen und wie man am besten umgeht, mit Cannabinoiden und Autofahren, dazu antwortet Prof. Peter Flachenecker im AMSEL-Interview.

Eines gleich vorneweg: Noch gilt die 1 Nanogramm je Milliliter-Grenze für THC am Steuer. Erst wenn der Bundesrat dem neuen Gesetz zur Erhöhung auf 3,5 Nanogramm zustimmt und dieses Gesetz danach im Bundesanzeiger veröffentlicht wurde, gilt der neue Wert. Der Gesetzentwurf steht für Freitag, 5.7.2024 auf der Agenda des Bundesrates.

Ganz unabhängig davon herrscht große Unsicherheit, auch bei medizinischen Anwendern von Cannabinoiden. Cannabinoide und Autofahren gehen generell betrachtet nicht gut zusammen. Niemand möchte andere im Straßenverkehr gefährden oder selbst gefährdet werden. Mit der Teillegalisierung von Cannabis in Deutschland soll der ursprüngliche Höchstwert von Cannabis im Blut von 1 ng/ ml Blut in nächster Zeit auf 3,5 ng/ ml erhöht werden. Ähnlich wie auch beim Alkohol wird ein Grenzwert anvisiert, bis zu dem die Fahrtüchtigkeit nicht eingeschränkt und es nicht strafbar ist, hinter dem Steuer zu sitzen.

Kein Höchstwert bei medizinischer Nutzung?

Tatsächlich werden Cannabinoide nicht nur eingesetzt, um sich zu berauschen, sondern haben auch medizinische Zwecke. Bei der Multiplen Sklerose können verschiedene Cannabinoide helfen, Spastik und Schmerzen zu lindern. Für die Überschreitung des Grenzwertes drohen hohe Strafen. "Dies gilt nicht, wenn die Substanz Tetrahydrocannabinol aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt." - So heißt es im Gesetzentwurf. Auch wenn im Gesetzestext die medizinische Anwendung ausgenommen ist von einem Grenzwert, empfiehlt Professor Peter Flachenecker, Arzt im Vorstand der AMSEL und Chefarzt des Rehazentrums Quellenhof in Bad Wildbad, hier vorsichtig zu sein. Man sollte sich also nicht auf den Umkehrschluss verlassen, dass bei therapeutischen Gründen kein Höchstwert gelte.

Im Video schildert Flachenecker, wie ein Angeklagter, der Cannabinoide, in diesem Fall das Nasenspray Nabiximols, medizinisch genutzt hat, dennoch vor Gericht am üblichen Grenzwert gemessen wurde. Egal, ob aus medizinischen Gründen oder allein der berauschenden Wirkung wegen, hat man unter dem Einfluss von berauschenden Mitteln nichts im Straßenverkehr verloren, so Professor Peter Flachenecker. Er selbst vermutet zwar, dass man mit 3-4 Sprühstößen am Vorabend vor einer Autofahrt noch unter dem Grenzwert bleibe, vor der Fahrt solle man auf keinen Fall Cannabinoide zu sich nehmen, egal in welcher Form. Ein Kollege gehe damit noch strikter um, rate seinen Patientinnen und Patienten gänzlich aufs Autofahren zu verzichten, wenn sie Cannabinoide zu sich nehmen.

"Promille ausrechnen" bei Cannabinoiden nicht möglich

Eine Schwierigkeit liegt darin, dass Cannabinoide noch im Blut nachweisbar sein können, wenn man aktuell gar nicht mehr berauscht ist. Abgesehen von der individuellen unterschiedlichen Abbaugeschwindigkeit werden Cannabinoide ganz anders als Alkohol abgebaut: Sie lagern sich im Fettgewebe ein und werden von dort wiederum nach und nach ins Blut zurückgespült. Daher gibt es keine Möglichkeit, sich wie beim Alkoholkonsum den wahrscheinlichen eigenen Wert vorher auszurechnen. Und das erklärt auch, warum Gewohnheitskonsumenten selbst nach über einem Tag Abstinenz, unberauscht und ohne Auffälligkeiten beim Fahren noch über dem Grenzwert von 3,5 Nanogramm liegen können (siehe hierzu zum Beispiel die ARD-Reportage mit Selbsttests zum Kiffen). Speicheltests sind zwar angedacht, um den aktuellen Konsum zu messen, stehen jedoch noch nicht zur Verfügung.

Die Strafen bei Missachtung sind recht hoch, beginnen mit 500 € und einem Monat Führerscheinentzug. Im Wiederholungsfall droht ein Fahreignungstest, um überhaupt wieder fahren zu dürfen. Gänzlich verboten ist und bleibt der gleichzeitige Konsum von Cannabis und Alkohol. Hier fällt bei Missachtung die Strafe gleich höher aus. Für Fahranfänger wird weiterhin die 1 Nanogramm-Grenze gelten (sie ist eigentlich kein Höchstwert, sondern Messungenauigkeiten geschuldet).

Was aber tun MS-Betroffene mit chronischer Spastik, die zwölf Sprühstöße täglich benötigen und mit dem Auto zum Beispiel zur Arbeit fahren wollen? Professor Peter Flacheneckers klare Antwort: Sie sollten auf Nabiximols [oder das Autofahren] verzichten. Spastik ist ein chronisches Symptom, Nabiximols für ihre Linderung zugelassen, jedoch nur als Add-on, also neben anderen Maßnahmen gegen Spastik wie zum Beispiel Medikamente und Physiotherapie. Die medizinische Nutzung von Cannabinoiden ist so gesehen kein Freibrief fürs Autofahren trotz erhöhter THC-Werte.

Eigenverantwortung für sichere Fahrt

Professor Peter Flachenecker appelliert an die Eigenverantwortung. Ähnliches gelte ja auch fürs Reisen. Außerhalb der EU gelten teils hohe Strafen, unter Umständen sogar die Todesstrafe, für den Besitz oder den Konsum von Cannabinoiden. In solche Länder führt man ja auch kein Cannabis oder Cannabisprodukte ein. Die Eigenverantwortung gelte völlig unabhängig davon, ob man nun ein Cannabinoid-Spray oder Cannabis-Blüten medizinisch einsetzt, ob man selbst angebautes Cannabis konsumiert, ob man es raucht, trinkt oder in Form von Cookies zu sich nimmt. Ob man es zu Rauschzwecken einsetzt oder aus medizinischen Gründen.

Und vor allen Dingen gilt die Eigenverantwortung als Teilnehmer im Straßenverkehr für jegliche Art von (medizinischem) Rauschmittel, darüber hinaus sogar für Schwindel, Grippe, Müdigkeit und Ähnliches. Jeder ist vor Antritt der Fahrt angehalten, zu prüfen, ob er geeignet ist, sich hinters Steuer zu setzen. Im Zweifel geht immer die Sicherheit vor, die eigene, wie die von fremden.

Quellen: Video mit Prof. Peter Flachenecker zu "Cannabinoide und Autofahren bei MS", 04.07.2024; ARD Mediathek, 24.06.2024; Deutscher Bundestag, Gesetzentwurf, 14.05.2024.

Redaktion: AMSEL e.V., 05.07.2024