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2. Warnung: Stellungnahme zu intrathekalen Stammzellen

11.12.08 - Der Ärztliche Beirat des DMSG-Bundesverbandes sieht das Verfahren, mit dem das XCell-Center weiter wirbt, als potentiell gefährlich an.

Hier die Stellungnahme des Ärztlichen Beirates des DMSG-Bundesverbandes im Wortlaut:

Stammzellen sind Zellen, die in unterschiedliche, spezielle Körperzellen ausreifen können. Embryonale Stammzellen können wir als Alleskönner bezeichnen, denn sie haben das Potenzial, sich in jede Zellart zu entwickeln, während "erwachsene" (adulte) Stammzellen deutlich weniger Freiheitsgrade der Entwicklung haben. Eine weitere Art von Stammzellen sind die sog. mesenchymalen Stammzellen. Autologe Stammzellen werden aus dem Knochenmark von Patienten gewonnen und nach Aufreinigung demselben Patienten (=autolog) wieder therapeutisch verabreicht.
Das regenerative oder therapeutische Potenzial autologer Stammzellen ist Gegenstand intensiver Forschung in verschiedenen Bereichen der klinischen Medizin. Bei den sog. hämatopoetischen Stammzellen handelt es sich um eine Gruppe von Vorläuferzellen aus dem eigenen Knochenmark oder Blut des Patienten, die heute z.B. vor hochdosierter Chemotherapie von Patienten mit Krebserkrankungen gewonnen werden, um die untergegangenen Blut- und Immunzellen im Bedarfsfall rasch ersetzen zu können und die Blutbildung wieder in Gang zu bringen, ggf. gefördert durch die zusätzliche Gabe von speziellen Wachstumsfaktoren. Nach eigenen Angaben verwendet das XCell-Center diese hämatopoetischen Zellen.

Mit ähnlichen Methoden wird derzeit im Rahmen von internationalen Studien die Anwendung der intravenösen Stammzelltherapie bei verschiedenen Autoimmunerkrankungen untersucht, so auch bei MS. Eine Strategie hierbei ist, mit Chemotherapie im ersten Schritt autoreaktive (selbst zerstörende) Immunzellen auszulöschen, um danach in einem zweiten Schritt mittels Injektion der Knochenmarks-Stammzellen sozusagen ein neues Immunsystem aufzubauen – ohne die schädlichen autoreaktiven Zellen. Die ersten Veröffentlichungen zu diesen Studien werden in internationalen Fachkreisen durchaus kontrovers diskutiert, da die Destruktion im Gehirn, die Hauptursache bleibender Behinderung bei der MS ist, bei diesen schon schleichend fortschreitenden Verläufen der Erkrankung nicht gestoppt werden kann. Hinzu kommt eine hohe Nebenwirkungsrate mit z.T tödlichem Ausgang bei bis zu 8% der behandelten Patienten. Wissenschaftlich umstritten ist nach wie vor die Behauptung, daß sich eine Differenzierung von Stammzellen in verschiedene Gewebezellen (u.a. auch Nervenzellen und Markscheiden bildende Oligodendrozyten) nach intravenöser Gabe in vivo überhaupt ereignet.

Eine seit kurzem auch in Deutschland kommerziell angebotene und jetzt verstärkt beworbene "intrathekale Stammzelltherapie" bei der MS halten wir für gefährlich und müssen vor der Anwendung ausdrücklich warnen.
Bei diesem Verfahren werden aus dem Knochenmark der Patienten gewonnene Stammzellen direkt an der Stelle in den Rückenmarkskanal gespritzt, wo normalerweise zu diagnostischen Zwecken Nervenwasser (Liquor) entnommen wird. Das Verfahren soll ambulant durchgeführt werden. Die Kosten für die vorab zu bezahlende Behandlung betragen lt. Werbebroschüre/Internet über € 6000.-, und werden nicht von den Krankenkassen erstattet. Die Anbieter dieser Methode behaupten eine Wirksamkeit der Therapie bei der Mehrheit der Patienten und zeigen im Internet die Ergebnisse einer wissenschaftlich völlig unzureichenden sog. "Therapie-Studie" ("bei mehr als 80% der behandelten Patienten sehen wir positive Wirkungen"). Diese Versprechungen sind nicht dokumentiert und nicht nachvollziehbar. Es finden sich auch in der wissenschaftlichen Literatur keine publizierten Studienergebnisse.

Die intrathekale Gabe von Medikamenten wird bisher in der Neurologie nur bei Krebserkrankungen (Chemotherapie) und bei schwerer Rückenmarksbeteiligung im Rahmen einer MS (Kortikosteroide) durchgeführt. Aus experimentellen Studien wissen wir, dass sog. Stammzellen direkt ins Immunsystem eingreifen können. Darüber hinaus gibt es leider keinerlei Beweise, dass zerstörte Axone/Nervenfasern beim Erwachsenen durch Stammzellen wieder auswachsen können.

Resumé:
Wir sehen das in der Werbung nun erneut angepriesene Verfahren der intrathekalen Stammzelltherapie bei MS in der dargestellten Form als potentiell gefährlich an; wissenschaftlich sind die Therapieeffekte nicht belegt und somit auch nicht glaubwürdig, Zudem sind potentiell schwere und schwerste Nebenwirkungen bekannt. Von einer Durchführung der intrathekalen Stammzelltherapie ausserhalb einer klar definierten Therapiestudie raten wir daher dringend ab.

Prof. Dr. R. Gold
Neurologische Klinik im St. Josef-Hospital
Klinikum der Ruhr-Universität Bochum

Prof. Dr. H. Wiendl, Prof. Dr. K.V. Toyka
Klinische Forschungsgruppe für Multiple Sklerose und Neuroimmunologie
Neurologische Univ. Klinik Würzburg

Prof. Dr. Reinhard Hohlfeld,
Institut für Klinische Neuroimmunologie der Ludwig-Maximilians-Universität, München

Prof. Dr. Hans-Peter Hartung
Neurologische Klinik der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Für den Ärztlichen Beirat der DMSG

[Ende des Zitates]

Sollten Sie sich über "Stammzellen und Remyelinisierung" informieren wollen, empfiehlt die AMSEL-Onlineredaktion die gleichnamige Broschüre der MSIF (Multiple Sclerosis International Federation), in deutscher Sprache, hier zum Download:

Quelle: DMSG Bundesverband, 11.12.08

Redaktion: AMSEL e.V., 11.12.2008