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Reisen mit Multipler Sklerose

28.05.08 - Dr. Martin Rösener fasst in Together 02/2008 zusammen, was MS-Betroffene auf Reisen beachten sollten. Bei guter Vorbereitung ist Multiple Sklerose kein Hinderniss für eine spannende, erfolgreiche und erholsame Reise.

Der Tourismusmarkt boomt weiterhin und weil immer mehr Patientinnen und Patienten mit Multipler Sklerose dank verbesserter Diagnostik, Therapie und Rehabilitation länger und besser zurechtkommen, wollen auch sie an den angenehmen Seiten des modernen Lebens teilhaben. Das Reisen gehört dazu, es sollte aber gut vorbereitet werden. Im Urlaub können Schübe auftreten, die Basisbehandlung der Multiplen Sklerose muss fortgeführt werden und bereits bestehende neurologische Defizite können im Einzelfall ein besonderes Hindernis darstellen. Hinweise für die Urlaubsvorbereitung finden Sie hier.

Schubtherapie

Behandlungsbedürftige Schübe sind neue neurologische Verschlechterungen, die länger als 48 Stunden anhalten und nicht ausschließlich aus Sensibilitätsstörungen bestehen. Schübe sind unvorhersehbar. Natürlich können sie auch im Urlaub auftreten. Nach den Richtlinien der Multiple-Sklerose-Therapie-Konsensus-Gruppe (MSTKG) der Deutschen Gesellschaft für Multiple Sklerose (DMSG) werden schubförmige Verschlechterungen mit hochdosierten, intravenösen Methylprednisolongaben behandelt. Ein typisches Behandlungsschema:

Behandlungsschema von Schüben

  • Methylprednisolon 1 g i.v. Tag 1 – 3, bei unzureichender Besserung der Symptome ggf. Infusionen bis Tag 5.
  • Optional ist eine ausschleichende Gabe von Prednisolon Tabletten.

Die Behandlung kann gut ambulant und deshalb auch im Urlaub durchgeführt werden. In den meisten europäischen Urlaubsländern kommt Multiple Sklerose vor und gibt es Ärzte, die sich mit der Behandlung auskennen. In typischen Urlaubsländern wie z. B. Österreich, Italien und Spanien kann deshalb eine Schubtherapie vom Neurologen vor Ort durchgeführt werden. Nur in besonderen Einzelfällen, in denen entweder keine ärztliche Behandlung möglich ist oder ein Patient diese nicht in Anspruch nehmen will (z. B. schwierige hygienische Verhältnisse beim Arzt oder im Krankenhaus), kann der Neurologe mit Ihnen eine hochdosierte orale Methylprednisolon-Therapie besprechen. Diese kann dann im Falle einer schubförmigen Verschlechterung und gegebenenfalls nach telefonischer Rücksprache mit dem Hausneurologen im Heimatland eingenommen werden. Bei guter Vorbereitung ist ein leichter Schub kein Grund den Urlaub abzubrechen. Weil grippale Infekte Schübe auslösen können und grippale Infekte in wärmeren Urlaubsregionen zu den häufigen Reiseerkrankungen zählen, ist von Patientinnen und Patienten mit Multiple Sklerose besonders auf angemessene Kleidung zu achten, wenn sie sich in klimatisierten Räumen aufhalten.

Immunmodulatorische Therapie

Die immunmodulatorische Basistherapie erfolgt meist mit Beta-Interferon 1 b (Betaferon®), 1 a (Rebif®, Avonex®) oder Glatirameracetat (Copaxone®). Die Behandlung sollte auch im Urlaub nicht unterbrochen werden. Die Medikamente müssen unter die Haut oder in den Muskel injiziert werden. Während es zu Hause leicht ist die hygienischen Anforderungen zu erfüllen, muss darauf im Urlaub z. B. am Campingtisch besonders geachtet werden. Weil Spritzen und Kanülen mitgeführt werden müssen, sollten Sie eine Bescheinigung über die medizinische Notwendigkeit in mehreren Sprachen mitzuführen.

Eine vorbereitete Zollerklärung wird von den meisten Herstellerfirmen angeboten und muss nur noch vom Neurologen abgestempelt und unterschrieben werden. Mit einer solchen Erklärung ist es dann auch kein Problem die Spritzen und Kanülen an Bord eines Flugzeugs mitzunehmen. Keinesfalls sollten die Medikamente mit dem Gepäck aufgegeben werden, weil es im Gepäckraum eines Flugzeuges sehr kalt werden kann und das Medikament einfrieren und unwirksam werden kann. Durch Mitführen des Medikamentes im Bordgepäck vermeiden sie auch die Schwierigkeiten, die bei Verlust eines Koffers auftreten würden. Die Lagerungsbedingungen der immunmodulatorischen Medikamente sind im Urlaub besonders zu beachten. Hierzu eine Übersicht:

Lagerungsbedingungen der immunmodulatorischen Medikamente:

  • Betaferon®: unter 25°C
  • Avonex® Fertigspritze: 2 - 8° C, für 7 Tage unter 30°C
  • Avonex® Lyo: unter 25°C
  • Rebif® (Neue Formulierung): 2 - 8°C
  • Copaxone® Fertigspritze: 2 - 8°C, bis zu 30 Tage unter 25°C (Quelle: Fachinformationen der Hersteller.)

Besonders zu beachten ist, dass die seit kurzem verfügbare neue Formulierung von Rebif® wieder durchgehend gekühlt werden muss. Auf der Reise ist dafür eine Kühltasche, wie sie von den Herstellern zur Verfügung gestellt wird, mitzuführen. Im Hotel kann das Medikament in der Minibar gelagert werden.

Symptomatische Therapie

Das Fatigue-Syndrom ist die abnorme Empfindung von Müdigkeit oder Energiemangel im Verhältnis zur Tagesanstrengung oder zum Grad der Behinderung, die die Aktivitäten des täglichen Lebens beeinflusst. Bis zu 87 % der Patientinnen und Patienten mit Multipler Sklerose leiden unter Fatigue. Viele Patienten empfinden die vorzeitige Erschöpfbarkeit als ihre Hauptbeschwerde. Auf Reisen sind deshalb von vorneherein ausreichende Ruhepausen einzuplanen. Organisierte Studienreisen, bei denen täglich mehrere Sehenswürdigkeiten besichtigt werden müssen, sind für Patienten mit einem Fatigue-Syndrom ausdrücklich nicht geeignet. Patienten mit Multiple Sklerose sollten selbstbestimmt reisen und sich bewusst Zeit für Ruhe und Erholung nehmen.

Die Erhöhung der Körpertemperatur durch körperliche Anstrengung, Fieber oder erhöhte Außentemperatur verschlechtert die neurologische Funktion, wenn es bei einem Patienten schon häufiger zu schubförmigen Verschlechterungen gekommen ist. Dieses Symptom wurde bereits 1890 von Wilhelm Uhthoff beschrieben und wird seither Uhthoff-Phänomen genannt. Patienten die darunter leiden, sollten tropische und subtropische Reiseziele ebenso wie Saunabesuche meiden. Kühlung z. B. durch Kühlwesten (zu beziehen über www.arcticheat.de - [oder über www.shop.dgk.de/product_info.php/info/p164_Kuehlweste-zur-Schmerzlinderung.html sowie www.shop.dgk.de/product_info.php/info/p165_Kuehlhose-kurz-zur-Schmerzlinderung.html, Anm. d. R]) kann die Beschwerden lindern und die Hitzetoleranz verbessern.

Patientinnen und Patienten mit Multipler Sklerose leiden häufig unter Blasenentleerungsstörungen. Die Häufigkeit der Blasenstörungen nimmt mit dem Schweregrad der Erkrankung zu. Während langer Reisen, z. B. bei einem Langstreckenflug, können Männer ein Kondom-Urinal mit Beinbeutel tragen. Frauen müssen sich mit Einlagen behelfen. Als Verzeichnis der öffentlichen Toiletten steht in Deutschland die Broschüre "Der Locus" (zu beziehen über www.cbf-da.de) zur Verfügung. Ein bundes- und europaweit einheitlicher Schlüssel für Behindertentoiletten kann zusätzlich hilfreich sein.

Allgemeine reisemedizinische Hinweise

Impfungen mit Totimpfstoffen lösen keine schubförmigen Verschlechterungen bei Patientinnen und Patienten mit Multipler Sklerose aus. Deshalb sollten alle empfohlenen Impfungen (z. B. Tetanus, Diphtherie, Keuchhusten, Kinderlähmung, Hepatitis) auch tatsächlich und sogar unabhängig von Urlaubsreisen durchgeführt werden. Weil nicht auszuschließen ist, dass Impfungen mit lebenden Erregern (z. B. Gelbfieber, Pocken) Schübe auslösen, sind diese Impfungen nur bei dringender Notwendigkeit vorzunehmen. Der Impferfolg kann unter Immunsuppression z. B. mit Kortikoiden, Azathioprin, Mitoxantron usw. gefährdet sein. Über den Impferfolg unter einer immunmodulatorischen Therapie mit Glatirameracetat (Copaxone®) oder Natalizumab (Tysabri®) gibt es bislang keine Erkenntnisse. Für -Interferon 1a wurde zumindest für die Grippeimpfung vollständiger Impferfolg gezeigt. Gegebenenfalls muss der Impferfolg durch Titer-Bestimmungen bestätigt werden.

Auf Langstreckenreisen in Auto, Bus oder Flugzeug ist die Immobilität von Patienten mit Behinderung von besonderer Bedeutung. Zur Vermeidung von Folgeerkrankungen, z. B. Thrombosen ist regelmäßige Bewegung während der Reise wichtig.

An Bord von Flugzeugen besteht technisch bedingt eine Luftfeuchtigkeit von 10 - 15 %. Dadurch kommt es zu einem Flüssigkeitsverlust der Passagiere. Es ist deshalb ganz besonders auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr mit nichtalkoholischen Getränken zu achten. Empfohlen wird eine Trinkmenge von 0,2 l pro Flugstunde.

Der eigene Rollstuhl fliegt im Reisegepäck, die Fluggesellschaft oder der Flughafen stellt einen Ersatzrollstuhl.

Behinderte Bahnreisende können den Mobilitätsservice der Deutschen Bahn in Anspruch nehmen. Unter der Telefonnummer 01805/512 512 kann dieser Service bestellt werden. Die Servicemitarbeiter vor Ort helfen dann beim Ein-, Um- und Aussteigen.

Durchfall ist die häufigste Reiseerkrankung besonders auf Reisen in Länder mit schwierigen hygienischen Verhältnissen. Durchfall führt zu Flüssigkeitsverlust, kann die Resorption notwendiger Medikamente verschlechtern und die Betroffenen erheblich schwächen. Die wichtigste Regel in der Vorbeugung lautet: "Boil it, peel it or leave it" d. h. was nicht geschält oder gekocht ist, sollte nicht gegessen werden. Ist bereits ein Magen-Darm-Infekt aufgetreten, sollte konsequent behandelt werden. Tritt Erbrechen zusätzlich auf, kann Metoclopramid oder Domperidon gegeben werden. Weil die meisten gastrointestinalen Infekte in Urlaubsländern durch Bakterien verursacht werden, kann die Verordnung einer Stand-by Medikation mit Fluochinolonen (z.B. Ciprofloxacin 2 x 500 mg für 3 Tage) besprochen werden. Das Vorgehen bei einer Magen-Darm-Infektion sollte vor der Reise mit dem Neurologen besprochen werden. Dieser würde dann gegebenenfalls auch die entsprechenden Medikamente verordnen.

Die übliche Malariaprophylaxe hat keine Wechselwirkungen mit den von Multiple Sklerose Patientinnen und Patienten eingenommenen Medikamenten und sollte sich an den Richtlinien der Tropenmedizinischen Gesellschaften orientieren.

 
Autor: Dr. Martin Rösener, niedergelassener Neurologe, Stuttgart, und Mitglied des Ärztlichen Beirates der AMSEL.
 

Quelle: Together 02/2008

Redaktion: AMSEL e.V., 10.03.2009