Spenden und Helfen

Dabei sein ist alles!

13.03.06 - Conny Single berichtet über ihr Leben mit dem Theater und der MS.

Ich wollte einfach wieder einmal etwas um die Ohren haben, etwas Neues kennen lernen, und im Austausch mit Gleichgesinnten spannende Treffen erleben.

Deshalb belegte ich als 48jährige fünf verschiedene VHS-Kurse, u.a. auch ein Wochenend-Seminar zum Thema "Sich selbst im Theaterspielen entdecken". Das letzte Mal war ich in der Grundschule als Suppenkaspar auf der Bühne gestanden.

Die TeilnehmerInnen des Seminars waren sich einig: wir wollen mehr! Wir fanden eine Schauspielerin, die uns mit konkreten und aufmunternden Hinweisen förderte. Mit ihr staunten wir über unsere, durch die Übungen eröffneten Fähigkeiten und Möglichkeiten. Dabei sollten und konnten wir unsere vielfältigen Emotionen zeigen, die normalerweise im Alltag nicht so ungefiltert offenbart werden können.

Die Geburt von Stück für Stück...

Nach einem Jahr drängte es uns auf die Bühne. Von acht Personen waren fünf Theater-Wütige, ein Mann und vier Frauen, übriggeblieben, die sich fortan "Stück für Stück... Das TheaterEnsemble des Bürgerhauses Botnang" nannten. Unser "Alibimann" hatte die geniale Idee eines von uns zu entwickelnden Stückes: "Victor’s".

Aus meiner Unsicherheit wird Sicherheit

Der Zeitpunkt für mich, zu überlegen: Bin ich mit meiner seit 1985 aktiven MS für die Truppe nicht ein zu großer Unsicherheitsfaktor? Kann ich mitspielen? Übernehme ich mich dabei nicht? Und was ist, wenn ich bei den Aufführungen "lahme"? Diese Fragen stelle ich mir seither jedes Jahr von neuem. Es gibt immer wieder Phasen, besonders im Sommer und in extremen Stress-Situationen (wie z.B. meine Kündigung), in denen ich gerade mal 100 m gehen kann und die Gleichgewichtsstörungen auffällig werden. Dieser Zustand kann nur einige Tage dauern, manchmal aber auch Wochen und Monate.

Meine Mitspieler sind bereit, dieses Risiko mitzutragen und ermutigen mich jedes Jahr aufs Neue. Zum Glück lief es bisher gut! Vielleicht durch die Vorfreude, den erhöhten Adrenalin-Spiegel, aber sicherlich durch das aufmunternde Verständnis der Truppe. Auch wenn ich mich manchmal nicht so stabil fühle, bin ich trotzdem bei den Proben dabei und mache dann halt im Sitzen mit. Frei nach dem Motto: Dabei sein ist alles!

Erfolge!

2002 wurde unser Erstlingswerk "Victor’s", durch die Dramaturgie eines Schauspielpädagogen, für uns eine erste aufregende Erfahrung im Rampenlicht und für die Zuschauer eine überaus gelungene Überraschung.

2003 wagte sich unser vergrößertes Ensemble, "Maß für Maß" von Shakespeare aufzuführen. Eine Komödie mit Tiefsinn. Ich spielte, mit nicht allzu viel Text, eine frivole Nonne. Das Publikum war von uns begeistert!

2004 inszenierte der professionell versierte Regisseur Julian Knab "Die gelehrten Frauen" von Molière. Vier Aufführungen, 380 Zuschauer und ein Bomben-Erfolg!

2005 sind wir, nach Ansicht unserer wachsenden Fangemeinde, mit der Aufführung von Georg Büchners "Woyzeck", noch eine Stufe höher gestiegen. Obzwar kein leichtes Stück, wurde es sehr einfühlsam, turbulent, teilweise grotesk dargestellt.

Der Inhalt von "Woyzeck"

Der Soldat Woyzeck will es jedem recht machen. Er ist ein armer Kerl, der keine Chancen hat. Über solche Menschen macht man sich gerne lustig, so auch der Hauptmann in diesem Stück. Ihm steht Woyzeck für persönliche Dienste ebenso zur Verfügung wie für die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse des Doktors. Ihm dient Woyzeck als Versuchskaninchen, indem er ein Vierteljahr nur Erbsen isst. Sein Freund Andres hat zwar Mitleid mit ihm, kann ihm aber auch nicht helfen. Seine Geliebte Marie, die ein Kind von ihm hat, ist die Einzige, der er sich zugehörig fühlt. Er umsorgt sie liebevoll. Doch bleibt ihr sein Wesen fremd. Sie vergnügt sich lieber mit einem Tambourmajor. Darauf macht ihn der Hauptmann aufmerksam und Woyzeck beginnt nun Stimmen zu hören, die ihm befehlen, Marie zu töten.

Interessant ist, dass es diesen Woyzeck mit seinen Wahnvorstellungen tatsächlich vor 200 Jahren gegeben hat und er zum Tode durch das Schwert verurteilt wurde. Dieses grausige Spektakel wurde damals von vielen Schaulustigen begierig beobachtet.

Hinter den Kulissen

Es ist für mich immer wieder spannend, mitzuerleben, wie sich das jeweilige Projekt entwickelt - vom ersten Lesen des Textes, dem gemeinsamen Austausch über dessen Aussage bis hin zur Inszenierung der einzelnen Szenen. Dabei ist die humorvolle Art und Weise unseres Regisseurs, jede Szene erklärend zu ergründen ebenso amüsant, wie unsere eigenen Versprecher bei den Proben.

Um uns auch privat austauschen zu können, treffen wir uns beim monatlichen Stammtisch, bei Geburtstagsfeiern oder beim Sommerfest. Tradition hat auch das weihnachtliche Spaß-Wichteln.

"Nebenwirkungen"

Stück für Stück... hat sich zu einem kleinen, etablierten Unternehmen gemausert. Viele Kontakte sind geknüpft. Die Amateurtheaterwelt wurde auf uns aufmerksam. Mit "Woyzeck" geben wir jetzt auch Gastspiele, insgesamt werden es mindestens acht Aufführungen sein. Der Landesverband Amateurtheater brachte uns ins Gespräch bei Amateur-Theater-Festivals: "Unser Woyzeck" erhielt eine Einladung zum internationalen "TheatrAlis" in Straßbourg, Juli 2006.

Als Rentnerin habe ich - im Gegensatz zu anderen noch berufstätigen Mitspielern - die Zeit, mich um die gesamte PR zu kümmern, d.h. Homepage basteln und aktualisieren, Flyer, Plakate, Programmheft erstellen, Kontakte knüpfen mit Schulen - in diesem Jahr sahen auch drei Oberstufen-Klassen unsere Aufführungen –, mit anderen Bühnen und VIPs vom Kultur- oder Bezirksamt, drei Intensiv-Proben-Wochenenden, teilweise das Regiebuch bearbeiten. Ganz abgesehen von der Arbeit beim Textlernen, Proben und den Aufführungen.
Meine Zeit ist ausgefüllt – und wie!

Wie geht es weiter?

Unsere finanzielle Planung ging bisher mit den monatlichen Beiträge eines jeden Mitspielers und einigen Spenden gerade mal so auf. Finanzkräftige Sponsoren haben wir noch nicht entdeckt, auch nicht für unser neues Projekt, das gerade beschlossen wurde: die Groteske "Der grüne Kakadu" von Arthur Schnitzler wird am 21. Oktober 2006 seine Premiere haben. Weitere Aufführungen am 22., 27. und 28. Oktober, ebenfalls im Bürgerhaus Botnang, Griegstr. 18. Die Gastspielorte und –termine, sowie die Inhaltsangabe werden in Kürze auf unserer Website veröffentlicht.

Die lange Stück für Stück...-Filmnacht

Unser fünfjähriges Bestehen ist Anlass genug für eine Feier mit allen Ehemaligen und den vielen Menschen, die uns bislang hilfreich begleitet haben. Die besten unserer Aufführungen werden auf Großleinwand zu sehen sein. Und wir werden uns fühlen wie Filmstars ;-)

Stück für Stück... gibt mir Lebenssinn und Kraft.
Es bleibt eine Herausforderung und ein Ziel.
Dabei sein ist alles.
Nur Mut!

Conny Single

Stuttgart, März 2006

Redaktion: AMSEL e.V., 16.03.2006