"Unter uns"

So lautet nicht nur der Titel einer bekannten RTL-Seifenoper, sondern auch der von Maximilian Dorners Kolumne, die er für Together 03/13 schrieb. Hier geht er der Frage nach, ob alle Multiple Sklerose Betroffenen einer großen Familie angehören.

Manchmal habe ich den Eindruck, alle MS-Betroffenen gehörten einer großen und weit verzweigten Familie an. Als trügen wir alle mindestens den gleichen Nachnamen. Manchmal fühle ich mich dieser Familie zugehörig, vor allem dann, wenn ich im wirklichen Leben auf andere Familienmitglieder stoße. Oder wenn ich spüre, dass meine Bücher am besten von Mitbetroffenen verstanden werden... Manchmal weise ich die familiären Bande aber auch kategorisch von mir. Nur weil wir alle dieselbe Krankheit haben, müssen wir uns doch nicht verbrüdern! Gebe ich ihr so viel Raum, auch noch meine Familie für mich auszusuchen? Schließlich erlebt doch jeder eine ganz andere, seine eigene Krankengeschichte, obwohl sie gleich bezeichnet wird. – Wie bei allem, ist das Leben auch hier voller unauflösbarer Widersprüche.

In diesem Spannungsfeld bewegt sich jeder Kontakt mit anderen Kranken. In dieser manchmal für mich selbst nicht vorhersehbaren Ablehnung und gleichzeitig mit der Sehnsucht, in meinem Leid nicht allein zu sein. Verstanden zu werden, sich Gehör zu verschaffen.

Zunehmend frage ich mich auch, um welche Familie es eigentlich geht. Ist es wirklich die der Krankheit MS? Seit ich einen Rollstuhl benutze, fühle ich mich mehr denen zugehörig, die auch auf vier Rädern unterwegs sind. Fast so, als hätte ich dort hineingeheiratet. Warum jemand einen Rollstuhl benutzt, verliert für mich zunehmend an Relevanz angesichts derselben Herausforderungen, mit denen wir

umgehen müssen: Stufen, Steigungen, Kopfsteinpflaster... Das beschäftigt mich tagtäglich mehr als Medikamente, Schübe und Kortison-Infusionen. Schließt sich das aus? In wie vielen Familien kann man Teil sein? Ich weiß es nicht.

Maximilian Dorner

seit 2000 Autor, Regisseur und Literaturlektor

  • geboren und wohnhaft in München
  • Studium der Dramaturgie an der Bayerischen Theaterakademie
  • u.a. Tätigkeiten als Film- und Hörspielproduzent, Theaterkritiker, Dozent und Dramaturg
  • 2007 Bayerischer Kunstförderpreis für sein Romandebüt "Der erste Sommer"
  • jüngste Publikation "Mein Schutzengel ist ein Anfänger" thematisiert Trost und Heilung
  • www.maxdorner.de

Quelle: AMSEL-Nachrichtenmagazin 03/13; Maximilian Dorner; Bild © Christine Schneider

Redaktion: AMSEL e.V., 23.10.2013