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Tierische Freu(n)de fürs Leben

Haustiere können für ein Gefühl des Wohlbefindens und des Gebrauchtwerdens sorgen. Sie können den Tagesablauf strukturieren, Sinn geben. Missverständnisse durch Gesprochenes und Unausgesprochenes wie in der menschlichen Kommunikation gibt es nicht. ..und so vieles mehr.

Tiere bewerten nicht, kritisieren nicht. Sie lassen emotionale Nähe zu, vermitteln Wärme und bedingungslose Anerkennung. Sie sind pures Sein und lassen ihre Menschen daran teilhaben. Für viele ein beglückendes Erlebnis, ein wichtiger Beitrag zur Lebensqualität. Es muss also nicht gleich ein speziell ausgebildeter Besuchs-, Service- oder Therapie-Hund sein, ein ganz normaler Familienhund tut es auch … oder ein Strauß. Glauben Sie nicht? Sebastian und Constanze zeigen es. Während einer von ihnen von einem Labrador durchs Leben begleitet wird, hat der andere erst auf einer Straußenfarm seinen Lebensmut wiedergefunden.

Seelenverwandt: Sebastian und Lucky

Sein Beruf hat viel mit Prozessen und komplexer Logistik zu tun, sein Privatleben aufgrund seiner MS gleichermaßen. Zusammen mit seiner Frau Annett meistert Sebastian (41) besonnen und pragmatisch jede neue Herausforderung des Lebens mit der Krankheit.

Durchgetaktet von morgens bis abends

Der Alltag von Sebastian ist vollkommen durchgetaktet: Trotz und mit seiner primär progredienten MS arbeitet der Fellbacher an fünf Tagen die Woche jeweils 4 Stunden als Kundenberater im Bauwesen. Sein am stärksten ausgeprägtes Krankheitssymptom ist neben Gangataxie, Blasenbeschwerden, Spastiken und Schmerzzuständen die Fatigue, deshalb benötigt er regelmäßige Ruhepausen und arbeitet in Etappen, die ihm sein Arbeitgeber ermöglicht:

  • 2 Stunden Arbeit – Pause – 2 Stunden Arbeit.
  • Dann nach Hause zum Mittagessen, das seine Frau für ihn vorbereitet hat.
  • Danach Therapie: zweimal die Woche Gerätetraining und Krankengymnastik, plus Ergotherapie, Klangschalentherapie und Akupunktur.

Den Abend genießt er mit Vorliebe zusammen mit seiner Frau Annett bei musischen Aktivitäten – auch sie ist beruflich wie auch ehrenamtlich sehr engagiert und eingespannt, moderiert zudem seit einem Jahr die AMSEL-Facebook-Gruppe „Angehörige von Multiple Sklerose (MS) Betroffenen“.

Sebastian spielt Schlagzeug und Gitarre und singt, Annett spielt Kontrabass, Klavier und Flöte. Sein Traum: ein öffentlicher Auftritt am Schlagzeug mit seiner Rockband. Bis dahin sieht er das Schlagzeugspielen als bestes Training für Koordination und Kognition.

Ruhepol auf vier Pfoten

Und dann gibt es da noch Lucky, den Labrador, der einfach nur glücklich macht und auch schwierige Momente überwinden hilft. Seit 2013 ergänzt er das Duo zum Trio. Im ersten Jahr nahm Sebastian den Welpen täglich mit ins Büro, so dass eine sehr intensive Bindung zwischen ihm und dem Hund entstand. „Ein Labrador ist unkompliziert und pflegeleicht, friedlich und ausgeglichen, er kommt mit Mensch und Tier gleichermaßen klar“, resümiert Sebastian. Und Lucky ist ein ganz besonderer Vertreter seiner Rasse: völlig unaufgeregt begleitet er Sebastian und Annett durch Höhen und Tiefen, bellt nie und ist äußerst rücksichtsvoll.

Anfangs hat das Paar Lebensplanung und Tagesablauf den Bedürfnissen des neuen Familienmitglieds angepasst, häusliche Abwesenheiten, den Urlaub entsprechend auf ihn abgestimmt. Nach einem unbeschwerten ersten Hundejahr wendete sich das Blatt durch Sebastians Krankheit und Diagnose: Seither muss sich Lucky ab und zu seinem Herrn anpassen. Kein Problem, denn nur allzu gern ruht Lucky mit ihm zusammen aus. Außerdem, so Sebastian, sei Lucky ein sehr lernbegieriger Hund, brauche immer neue Aufgaben und Herausforderungen und unterstütze ihn bei ganz alltäglichen Verrichtungen.

Luckys einzige Schwäche seien Leckerlies. Nicht so gut für die schlanke Linie, aber als Belohnung ein großer Vorteil beim Erlernen neuer Fertigkeiten. Im übrigen kennt Lucky seinen „Chef“ mittlerweile besser als er selbst: er hat ein ausgeprägtes Gespür für Sebastians Energielevel. Beim Spaziergang signalisiert oft er den Umkehrpunkt, lange bevor Sebastian merkt, dass seine Kräfte schwinden. In ihrer Ruhe und Ausgeglichenheit sind sich Herr und Hund sehr ähnlich, zusammen ein tolles Team. „Lucky ist, neben meiner Frau natürlich, mein größter Fan“, schmunzelt Sebastian, „wenn ich Gitarre spiele, legt er sich mir zu Füßen.

Fasziniert: Constanze und die Strauße

Constanze (44) ist mit ihrer Körpergröße von 1,84 m und den leuchtend roten Haaren eine auffällige Erscheinung. Manchmal wirkt sie dadurch etwas einschüchternd auf ihre Mitmenschen, was sie aber durch ihre Extrovertiertheit wettmacht. Nicht weniger außergewöhnlich sind ihre derzeitigen „Haustiere“, wenn man Straußenvögel als solche bezeichnen will. Denn seit einigen Monaten arbeitet und lebt sie auf einer Straußenfarm am Bodensee, wo sie Führungen für Erwachsene und Kinder anbietet, die Besitzerfamilie in der Tierpflege und im Hofladen unterstützt.

Die gebürtige Berlinerin ist fasziniert von den Laufvögeln. „Sie scheinen über den Dingen zu stehen und haben so eine urzeitliche, dinosaurierartige Anmutung“, schwärmt sie. Besonders beeindruckt ist sie immer wieder, wenn ein Straußenküken vor ihren Augen schlüpft. Ein bewegender Moment. Auch, wenn der Funke ihrer Begeisterung vor allem auf die jüngsten Teilnehmer ihrer Führungen überspringt. Constanze ist glücklich und geht in ihrer Arbeit auf der Straußenfarm sichtlich auf.

Schatten der Vergangenheit

Aber so war es nicht immer, die studierte Musikwissenschaftlerin, Anglistin und Amerikanistin, später gelernte Tierheilpraktikerin hat schlimme Zeiten hinter sich: Schon vor Jahren stürzte sie auffällig häufig. 2009 kam sie mit Taubheit im linken Fuß in die Klinik. Damals war noch keine Rede von MS. Heute sieht sie dieses Ereignis als ersten Schub. Im Sommer 2016 kamen heftige Kopfschmerzen hinzu. MRT und Liquordiagnostik brachten schließlich die Gewissheit. Ihre Reaktion? „Ich hab’s doch gleich gewusst!“

Als Arzttochter stürzte sie sich sofort in Aktion und Analyse, holte Informationen über die Krankheit ein, um den Ärzten auf Augenhöhe begegnen und sich bewusst für eine Therapie entscheiden zu können. Regelrechte Schübe kann Constanze nicht ausmachen, wohl aber eine Korrelation zwischen Stresspegel und ihren Sensibilitäts- und Gleichgewichtsstörungen. Nach Versuchen mit Cortison und Daclizumab hat sie sich gegen synthetische Medikamente entschieden und setzt auf die Vitamine B12 und D, Weihrauch, Yoga, Laufen und zwei Mal jährlich Heilfasten. „Nach den Fastenperioden habe ich die volle Power, und die hält 2 bis 3 Monate an“, freut sich die temperamentvolle Straußenfreundin, „und ich bin jeden Tag dankbar, dass meine MS relativ mild verläuft.“

Aber auch das war nicht immer so. Während ihrer letzten Reha bekam sie von ihrem Ehemann die Nachricht, dass er sich nach 16 Jahren von ihr trennen wollte. Der emotionale Schock saß tief und zeigte sich sofort in einer massiv verschlechterten Symptomatik. Ein Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik, die Unterstützung von Therapeuten, Freunden, ihrer Schwester und vor allem ihrer Mutter, die für einen geregelten Tagesablauf mit ausgiebigen Spaziergängen mit ihren beiden Jagdhunden sorgte, brachten sie zurück zu ihrem eigentlichen Naturell, der Lebensfreude. Auch die Musik gab und gibt ihr viel Kraft – so spielt die Frohnatur gerne Klavier, Gitarre und singt Irish Folk.

Zurück zu sich selbst

Die Trennung von ihrem Mann sieht Constanze mittlerweile als Wink des Schicksals und ersten großen Schritt zu neuem Lebensmut und Wohlbefinden, denn ihre Symptome haben sich glücklicherweise fast ganz zurückgebildet. Der neue Job auf der Straußenfarm brachte endgültig die Wende zum Positiven. Ein Blick in die großen Augen dieser majestätischen Tiere erfüllt sie mit Bewunderung und einer ruhigen Vorfreude auf alles, was ihr das Leben bringen wird.

Redaktion: AMSEL e.V., 27.12.2018