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Stark leben mit MS: Eigenverantwortung im Alltag

So war der zweite Tag des AMSEL-Jubiläumssymposiums über Multiple Sklerose überschrieben. Hier die Zusammenfassung und weitere Bilder.

Mit der TCM bei MS beschäftigte sich Dr. Ulrich März, niedergelassener Hausarzt und Universitätsdozent für TCM, Ulm, während Dr. med. Dieter Pöhlau, Chefarzt der Kamillus-Klinik in Asbach, die Bandbreite der komplementären bzw. alternativen Therapien beleuchtete. Prof. Dr. Dr. med. Peter Rieckmann nahm Sport bei MS wissenschaftlich unter die Lupe und Prof. Dr. med. Tjalf Ziemssen, Leiter des Multiple Sklerose Zentrums an der Klinik und Poliklinik für Neurologie in Dresden, erörterte, was Compliance und Adherence für den Patienten bedeuten.

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Gar nicht gaga: "Syndrom Milz-Yang-Mangel mit Retination von Feuchtigkeit"

In China gehört es heute zum Alltag einer Uniklinik, dass man dort zwischen westlicher und Traditionell Chinesischer Medizin (TCM) hin- und herwechselt, beide Heilungsansätze parallel erforscht und nutzt, so Dr. Ulrich März. Die TCM fasst aus westlicher Sicht unterschiedliche Symptome zu einem Muster oder Syndrom zusammen. Bei einem MS-Patienten, der an Kälte, Erschöpfung, Schwere, Kribbeln und Depressionen leidet, wird nach TCM etwa ein "Syndrom Milz-Yang-Mangel mit Retination von Feuchtigkeit" diagnostiziert und danach mit den 5 Methoden Akupunktur, Chinesische Arzneimittel, Diätetik, Manualtherapie und / oder Qigong behandelt. Das hört sich in westlichen Ohren "völlig gaga" an, fügt Dr. März schmunzelnd hinzu, "aber wenn man das gelernt hat, kann man es zuordnen."

So seien die Probleme einer MS-Patientin mit Muskelproblemen an der seitlichen Hüfte und spezieller Schmerzauslösung nach TCM mit dem Gallenblasenmeridian, einer Energieleitbahn, erklärbar. Akupunktur habe einer Studie von 2012 nach mehr als nur einen Placebo-Effekt. Bei Multipler Sklerose könne sie Schmerzen und Spastik lindern und das Allgemeinbefinden bessern. Sie wirkt jedoch nicht bei jedem. Man muss es ausprobieren.

Nachgewiesener Nutzen oder der gefühlter Nutzen ? Egal !

Dr. Dieter Pöhlau gab einen Überblick über alternative und komplementäre Therapien und konkrete Tipps, welche sinnvoll und wirksam und welche nicht nur unwirksam, sondern sogar schädlich sind. Das grundsätzliche Problem, so der Chefarzt der DRK Kamillus – Klinik und Multiple Sklerose Zentrum Asbach/WW, sei die Definition von Wirksamkeit. Ist es der wissenschaftlich nachgewiesene Nutzen oder der gefühlte Nutzen? Für das Empfinden des gefühlten Nutzens spiele das Gefühl der Kontrolle eine wichtige Rolle, das allein antidepressiv, schmerzlindernd und symptomverbessernd wirkt.

"Therapien, die "objektiv" unwirksam sind, können "subjektiv" sehr wirksam sein und umgekehrt." Es gebe potentiell biologisch/biochemisch wirksame Therapien, wie z.B. Akupunktur, Vitamine und Weihrauch, Fettreduktion. (Für die Wirksamkeit einer bestimmten MS-Diät gebe es dagegen keinen Beweis.) und wirksame Verfahren der physikalischen Medizin und Krankengymnastik wie z.B. Hippotherapie, Vojta, QiGong sowie Entspannungstechniken.

Geprüft und sicher unwirksam sei die Amalgam-Entfernung, Enzymtherapie und hyperbarer Sauerstoff. Potentiell biologisch schädlich sind u.a. die Bienenstichtherapie, Chirotherapie oder Mega-Dosen von Vitamin D. Und für alle Therapien gelte, dass sie neben einer potentiellen Wirkung auch Nebenwirkungen haben. Entscheidend für die Lebensqualität ist aus Sicht des Geschäftsführenden Vorstandsmitglieds des DMSG-Bundesverbandes die Krankheitsverarbeitung.

Sport und MS bei Multipler Sklerose

Das pfeifen längst die Spatzen von allen Dächern: Sport und Bewegung bei MS tut gut. In den 50ern hatte man noch Bettruhe verordnet, 1967 von Frühjahrsputz und Aufregung abgeraten. Heute hat man dagegen wissenschaftliche Nachweise für die vielfältigen positiven Auswirkungen des Sports – gerade auch bei chronisch Kranken.

"Der Mensch ist ein Bewegungswesen, hat aber im Laufe der Evolution seine körperliche Aktivität auf 1/20 verringert. Und MS-Erkrankte sind in der Regel noch weniger körperlich aktiv als die Normalbevölkerung," mahnte Prof. Dr. med. Peter Rieckmann. Dabei sei der präventive Effekt körperlicher Betätigung auch für Menschen mit MS gültig. Und Angst vor einem Schub oder Symptomverschlechterung sei unbegründet. "Untersuchungen haben gezeigt, dass körperlich aktive MS-Kranken keine höhere Schubrate haben."

Aus neuroimmunologischer Sicht ist Sport, verstanden als individuell angepasste körperliche Aktivität unbedenklich. Und das kann bei Menschen im Rollstuhl z.B. das passive Bewegen in einem Bewegungstrainer sein. Wichtig sei, konsequent aktiv zu sein, um die positiven Effekte auf Psyche, Fatigue und Lebensqualität auszunutzen. "Betreiben Sie am besten täglich 20 Minuten Sport und wenn möglich in der Sonne!" lautete der Rat des Chefarztes der Neurologischen Klinik - Sozialstiftung Bamberg.

Welche Bedeutung haben Compliance und Adherence für die Betroffenen ?

Compliance, direkt übersetzt: Gehorchen, ist heute aus der Mode gekommen. Längst wissen Ärzte, dass sie mit ihren mündigen Patienten an einem Strang ziehen müssen, um eine Adhärenz zu erreichen, so Prof. Dr. med. Tjalf Ziemssen: Das heißt, den Patienten in seiner ganzen Umgebung und Persönlichkeit wahrnehmen. Ist er etwa depressiv ? Das hat großen, meist negativen Einfluss auf den Antrieb des Patienten, eine Therapie zu machen. Sein soziales Umfeld, die Familie, aber auch Patientenverbände wie die AMSEL hingegen, können den Patienten enorm motivieren.

Eine Heilung ist bei Multipler Sklerose bis heute unrealistisch. Trotz immunmodulatorischer Therapie kann es weiterhin zu Schüben kommen. Umso wichtiger ist es , dass der Arzt überzeugen kann. Er sollte motivieren, auch loben, kann zum Beispiel eine Spritzengruppe vorschlagen - gemeinsam geht vieles leichter.

Mit einer ironisch vorgetragenen Negativliste - wie nämlich eine Sprechstunde grade nicht ablaufen sollte - amüsierte der Leiter eines MS-Zentrums das Publikum in der Reithalle:

  • Möglichst viel Fachchinesisch sprechen. Wozu waren 8 Jahre Studium sonst gut ?
  • Den Patienten immer unterbrechen.
  • Akte erst lesen, wenn der Patient vor einem sitzt. Nicht zum Patienten aufschauen.
  • Ständig auf die Uhr sehen, um zu zeigen, wie wenig Zeit man für diesen Patienten hat.
  • Bei Sorgen unbedingt Desinteresse zeigen.
  • Recht chaotisch wirken. Nebenher telefonieren, um zu zeigen, wie gefragt man ist.
  • Beschwerden ignorieren - was weiß der Patient schon ?
  • Nur vage Therapieempfehlungen abgeben.

Bei allem Spaß - ein Fünkchen Wahrheit mag mancher in dieser Liste finden. Sie zeigt allemal, dass ein wichtiger Faktor für Adhärenz der einfühlsame Arzt ist.

Über den Empfang im Schloss, die Vormittagsvorträge sowie die Nachmittagsvorträge vom Samstag des AMSEL-Symposiums sowie die Jubiläumsfeier am Samstagabend hatte AMSEL.DE bereits berichtet.

Für die Unterstützung bei der Durchführung der Veranstaltung dankt AMSEL den Unternehmen Almirall, Biogen Idec, Coloplast, Genzyme, Merck Serono, Novartis, Pfizer und TEVA.

Redaktion: AMSEL e.V., 31.10.2014