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„Sei mutig, sei glücklich, sei Du selbst!“

Carola war erst elf, als sie Multiple Sklerose bekam. Die MS-Therapie steckte damals ebenso in den Kinderschuhen. Trotz der 42 Jahre mit MS sagt "Ola" heute: „Ich bin ein rundum zufriedener Mensch.“

Nur circa fünf Prozent der MS-Betroffenen erkranken vor ihrem 18. Lebensjahr an Multipler Sklerose. Man spricht in diesem Fall von pädiatrischer MS. Carola gehört zu den fünf Prozent. Sie bekam die Diagnose 1982 im Alter von elf Jahren. Eine Zeit, die eigentlich von kindlicher Unbeschwertheit, Lachen und Träumen geprägt sein sollte. Rückblickend kann die 52-Jährige aber sagen: „Die MS hat mich Mut und Stärke gelehrt, mit und an der Krankheit zu wachsen.“

Carola war eine sehr gute Schülerin, ihr Lieblingsfach Deutsch. Eltern und Lehrer waren sich einig, dass sie aufs Gymnasium gehen sollte. Aber das wollte Carola nicht, denn all ihre Freunde blieben auf der Hauptschule ihres Heimatorts im Hochschwarzwald. Eine Trennung von ihnen kam für sie nicht in Frage. Eines Tages sah die damals 11-Jährige nach dem Aufstehen Doppelbilder. Weder der ortsansässige Hausarzt noch die Ärzte in
der Freiburger Uni-Augenklinik hatten zunächst eine Erklärung dafür. Innerhalb von zwei Wochen entwickelte das Mädchen jedoch zusätzlich eine rechtsseitige Lähmung, war auf den Rollstuhl angewiesen.

Erst die weitere Diagnostik in der Kinderklinik mit CT, Liquor-Punktion und MRT brachte Klarheit: Diagnose MS. Sie erhielt eine Kortison-Stoßtherapie, später Interferone. Dunkel erinnert sie sich heute daran, dass sie sich damals fühlte wie ein Vorführobjekt, immer umringt von einem Schwarm von weißbekittelten Ärzten, allen voran der sehr freundliche Professor. Nach der Klinik ging für Carola aber der Alltag erst einmal weiter. „Von der Krankheit wollte ich nichts wissen. Ich war unbekümmert. Ein Kind eben.“ Ihre Eltern haben vermutlich viel mehr gelitten als sie, vermutet sie heute, „aber das haben sie nicht gezeigt, um mich nicht noch mehr zu belasten“.

Nicht allein im Kampf gegen die MS

Ihre Mutter hatte sich mit den Sorgen um ihr krankes Kind sehr schnell an die AMSEL-Initiative Hochschwarzwald gewandt. Ihre Tochter lehnte jeglichen Kontakt mit „so vielen kranken Menschen“ zu dieser Zeit noch kategorisch ab. Ihre wichtigsten Fragen waren damals eher: Wann kann ich wieder laufen, wieder alles machen, was ich will? Nach etwa acht Monaten war es so weit, der Schub bildete sich zurück, die Lähmungen waren zurückgegangen, sie konnte laufen, wenn auch nicht weit und manchmal mit Gangunsicherheit, die ihr bis heute geblieben ist. Ihre Mutter, die sie noch heute für ihre Aufopferung bewundert, war in dieser schweren Zeit ihre wichtigste Stütze, ihre Verbündete im Kampf gegen die MS.

In den ersten Jahren nahmen auch ihre beiden älteren Geschwister, die damals schon mitten in der Pubertät waren, ihr krankes Nesthäkchen überallhin mit. Dass dies nicht  immer konfliktfrei zu machen war, weil sie sich dadurch in ihrer Freiheit eingeschränkt fühlten, ist nachvollziehbar. Heute stehen Carola im Leben mit der MS auch ihr Ehemann Hansi und Gina, ihre Tochter aus erster Ehe, mit Liebe und Tatkraft zur Seite.

Prinzessin ohne Allüren

Ola, wie sie in der Familie auch genannt wird, hatte durch ihre Hilfsbedürftigkeit oft einen ungewollten Sonderstatus, eine herausgehobene Position, obwohl sie nie eine Prinzessin sein wollte wie viele Mädchen in ihrem Alter. Durch die häufigen Schübe hatte sie lange Fehlzeiten in der Schule. Ihre Mitschüler brachten ihr täglich die Hausaufgaben vorbei. Mit ihrem Fleiß und ihrer Intelligenz konnte sie die Lücken kompensieren, schaffte den Hauptschulabschluss ohne Probleme, hängte den Abschluss einer Wirtschaftsschule
an und begann eine Ausbildung zur Bürogehilfin, die allerdings aufgrund ihrer  eingeschränkten Feinmotorik am Stenografieren scheiterte.

Carola sattelte um auf Bürokauffrau, wo Steno nicht gefordert war und schloss die Lehre erfolgreich ab. Eine dauerhafte Beschäftigung konnte die junge Frau leider nicht erreichen: Ihre eingeschränkte Belastbarkeit setzte ihr Grenzen, allein der Stress durch einen neuen Job setzte sie so sehr unter Druck, dass der nächste Schub nicht lange auf sich warten ließ und ihre Arbeitsverträge mehrfach in der Probezeit aufgelöst wurden. Der Rat, einen Rentenantrag zu stellen, kam von ihrem Sachbearbeiter beim Arbeitsamt. Mit   23 Jahren wurde Carola bereits berentet. Aber sie gab nicht auf, machte weiter.

Um ihre Rente aufzubessern, arbeitet sie auch heute noch stundenweise als Bürohilfe – in der Regel nachmittags, denn morgens braucht die 52-Jährige eine lange Anlaufzeit: Nach den Spastiken und Schmerzen der Nacht muss ihr Körper erst auf Touren kommen. Immerhin ist sie seit gut 12 Jahren unter Fingolimod schubfrei geblieben.

Mit der MS wachsen

In der Rückschau resümiert Carola, dass ihr die MS zwar viel von ihrer unbeschwerten Kindheit genommen, dafür aber viel Beachtung, Fürsorge, Rücksichtnahme und Zuwendung geschenkt hat. Manchmal war ihr Sonderstatus durchaus von Vorteil, wie sie heute einräumt. Natürlich war da andererseits der Neid auf ihre große Schwester, die mitten im Leben stand und sich ihren Aktivitäten und Freunden widmen konnte, während Carola sich sehr früh an ein Leben mit Einschränkungen und auf kleiner Flamme gewöhnen musste. Eventuell sogar ein Gewinn, meint sie, denn Kindern falle es noch leichter als Erwachsenen, Dinge als gegeben hinzunehmen.

Das Zurückstecken hat sie von der Pike auf gelernt, sich von ihrem Traumberuf Floristin schnell verabschiedet, er wäre körperlich zu anstrengend gewesen. Im Grunde habe die MS sie schon in jungen Jahren Mut und Stärke gelehrt, sie sei in die Krankheit hineingewachsen und an ihr gewachsen. Wie sie in die Zukunft blickt? „Die MS bestimmt nicht die Richtung meines Lebens, nur wie steinig der Weg wird“, so die resolute Frau.

„Ich lebe seit 42 Jahren mit MS und bin heute ein rundum zufriedener Mensch“, sagt Carola. Ihr Wunsch: Zusammen mit ihrem Hansi möglichst alt werden und mobil bleiben. Eine gewisse kindliche Unbekümmertheit hat sie sich bis heute bewahrt. Da das Leben  ohne MS genauso unberechenbar ist wie mit MS, lebt sie einfach fröhlich drauf los, ganz nach dem Credo: Sei mutig, um glücklich zu sein.

Quelle: together 2.24

Redaktion: AMSEL e.V., 07.04.2025