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Rechtliche Aspekte der E-Rolli-Versorgung

25.08.09 - Rechtsanwalt Andreas Czech berichtet in seiner Kolumne der Together-Ausgabe 03/09 über eine erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen Verweigerung eines Spezialrollstuhls.

Die Beschwerdeführerin hatte Erfolg mit ihrer Verfassungs-beschwerde [Beschluss vom 25. Februar 2009 – 1 BvR 120/09] gegen sozialrechtliche Entscheidungen, die es abgelehnt hatten, ihr einen speziellen Elektrorollstuhl, der für sie die einzige Möglichkeit darstellt, sich im häuslichen Bereich ohne fremde Hilfe zu bewegen, im Wege Eilrechts-schutzes zu bewilligen.

Hintergrund

Die Beschwerdeführerin leidet an einer ALS (amyotrophe Lateralsklerose) Erkrankung, mit nahezu vollständiger Lähmung der Muskulatur, wodurch sie komplett an den Rollstuhl gebunden ist, den sie auch nicht mit eigener Muskelkraft in Bewegung setzen und steuern kann, auch nicht im häuslichen Umfeld. Sie beantragte bei ihrer Krankenversicherung unter Vorlage einer entsprechenden Verordnung ihres Arztes die Versorgung mit einem speziellen für sie konzipierten Elektrorollstuhl samt elektronischer Mundsteuerung.

Straßenverkehr vs. häusliches Umfeld

Auf der Grundlage von Gutachten, die die Fahrtauglichkeit der Beschwerde-führerin für einen Elektrorollstuhl im Straßenverkehr verneinten, lehnte die Krankenkasse die begehrte Versorgung ab. Die Beschwerdeführerin wandte sich hiergegen an das Sozialgericht und stellte dabei klar, dass es ihr um die Bewegungsfähigkeit im häuslichen Umfeld gehe. Während der Abwesenheit ihres Ehemannes sei sie im häuslichen Umfeld an den Platz gebunden, wo sie "abgestellt" werde.

Das Sozialgericht lehnte die beantragte Bewilligung im Wege einstweiligen Rechtsschutzes ab, weil umfangreiche medizinische Ermittlungen zur Frage einer Selbst- oder Fremdgefährdung bei der Benutzung des Elektrorollstuhls erforderlich seien – derartige Gefahren müssen sicher ausgeschlossen sein, bevor die begehrte Versorgung bewilligt werden kann. All diese Fragen seien aber nicht im Eilrechtsschutz, sondern im Hauptsacheverfahren zu prüfen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde zurückgewiesen.

Wahrung der Persönlichkeitsrechte und Mobilität

Einem Beweisangebot der Beschwerdeführerin, anhand eines leihweise überlassenen Elektrorollstuhls im Rahmen des Eilrechtsschutzes die sachgerechte Bedienung zu belegen, wurde dabei von den Fachgerichten nicht nachgegangen. Dies sah das Bundesverfassungsgericht anders. Der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts lagen folgende Erwägungen zugrunde. Die angegriffenen sozialgerichtlichen Entscheidungen stehen mit dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes, Art. 19 Abs. 4 GG, nicht im Einklang. Auch im sozialgerichtlichen Eilrechtsschutzverfahren gilt der Amtsermittlungsgrundsatz, was die Möglichkeit einer Beweiserhebung einschließt. Eine Vorwegnahme der Hauptsache kann dabei jedenfalls bei drohenden schweren und unzumutbaren Nachteilen auch im Eilrechtsschutz durchaus geboten sein. Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgeabwägung zu entschieden, wobei auch die grundrechtlichen Belange, insbesondere der Grundwert der Menschenwürde, zu berücksichtigen sind.

Je schwerer die Belastung des Betroffenen wiegen, die mit der Versagung des vorläufigen Rechtsschutzes verbunden sind, umso weniger darf das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend gemachten Rechts-position zurückgestellt werden. Die Sozialgerichte haben gegenständlich nicht ausreichend berücksichtigt, dass bei einem unter amyotropher Lateralsklerose leidenden Menschen mit völligem Verlust der eigenen Mobilität der Zwang zum Verharren in einer Situation der Hilflosigkeit eine schwer-wiegende Einschränkung darstellt, die seine Persönlichkeitsrechte berührt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip ein Anspruch auf Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein folgt.

Dazu gehört auch das Interesse der Beschwerdeführerin, im Rahmen ihrer krankheitsbedingt sehr eingeschränkten Möglichkeiten im Wohnumfeld einen Rest an Mobilität zu erhalten, so dass die Fachgerichte auch im Wege des Eilrechtsschutzes das Angebot der Beschwerdeführerin, ihre Fahrtauglichkeit an einem leihweise überlassenen Rollstuhl unter Beweis zu stellen, nicht unter dem Hinweis auf lediglich denkbare Gefahrenlagen beiseite schieben durften.

Damit ließen sie das bereits im Eilrechtsschutz aktuelle und rechtlich schutzwürdige Interesse der Beschwerdeführerin, sich einen Rest an Mobilität zu erhalten, wegen einer von ihnen selbst nicht als nachgewiesenen, sondern lediglich für möglich gehaltenen Gefahr beim Betreib des Elektrorollstuhls zurücktreten.

 
 
Magazin Together
 
  

Quelle: AMSEL-Magazin Together 03/2009

Redaktion: AMSEL e.V., 25.08.2009