Spenden und Helfen

Pflege zu Hause (Teil 3)

26.02.09 - Welche Unterstützungsmöglichkeiten und Entlastungsstrategien gibt es für betreuende und pflegende Angehörige? Michael Berthold und Mechthild Zeh geben hilfreiche Tipps.

"Wer sich übernimmt, bricht auf dem Weg zusammen, Du aber ziehe mit Bedacht die Grenze" (Konfuzius)

Angehörige in der Pflege

Gute pflegerische Versorgung und Betreuung vollzieht sich im Kreislauf von Hilfestellung und Unterstützung und von Rückzug und Regeneration. Gerät dieser Zyklus aus dem Gleichgewicht, leiden entweder die pflegenden Angehörigen durch Überlastung oder der pflegebedürftige Erkrankte durch Unterversorgung oder Vernachlässigung. Kognitive Einschränkungen, krankheitsspezifische, physische und psychische Veränderungen und soziale Isolation der Familien können pflegende und betreuende Angehörige an die Grenzen ihrer eigenen Belastbarkeit bringen. Aus diesem Grund brauchen pflegende und betreuende Angehörige Entlastungsstrategien und Möglichkeiten der eigenen Erholung und Entspannung, um eigener psychischer Überlastung und schwerer Erkrankung vorzubeugen.

Persönliche Grenzen erkennen

Die Pflegesituation erfordert von Angehörigen meist zusätzliche Verantwortungs- und Aufgabenübernahme und verlangt ihnen nicht selten erhebliche, körperliche Anstrengungen ab. Wichtig ist es deshalb, als Angehöriger eigene Erschöpfungsanzeichen (andauernde Müdigkeit, Gereiztheit, Schlafproblem, Energielosigkeit, erhöhter Alkoholkonsum, psychosomatische Beschwerden) ernst zu nehmen, Veränderungsmöglichkeiten auszuloten und die Erschöpfung nicht als persönliches Versagen zu erleben. Der Anspruch "es alleine schaffen zu wollen" erweist sich als langfristig überfordernd und – falls daran festgehalten wird – nicht selten als krankmachend. Die persönlichen Grenzen zu erkennen und sich dazu zu bekennen, öffnet Wege für Hilfe und Unterstützung von außerhalb der Familie. "Fremde" – auch wenn es professionelle Dienste sind – ins Haus zu lassen, fällt jedem mehr oder weniger schwer, ist aber die Voraussetzung dafür, die Versorgung des Erkrankten langfristig im häuslichen Umfeld zu gewährleisten, ohne dass es zu einer Dauerüberforderung der Angehörigen kommt.

Gefühle ernst nehmen und bewältigen

Häufig gehen mit den krankheitsbedingten Verschlechterungen intensive Gefühle von Angst, Traurigkeit, Zorn und Verzweiflung einher, die nicht nur die Erkrankten selber, sondern meist auch die Angehörigen erleben. Es gilt, einen Weg zu finden, diese Gefühle zu bewältigen, indem sie als normale Reaktionen ernst genommen werden, und im Austausch und Gespräch – am besten auch mit Dritten – Verständnis und Unterstützung zu erfahren. Dabei können Angehörige leider oft nicht mit ausreichender Anteilnahme und Verständnis der Umgebung rechnen, weil hier doch meist der Erkrankte im Vordergrund der Wahrnehmung steht. Auch fällt es Angehörigen häufig schwer, ihre Rolle als "starke Gesunde" zu verlassen und teilen sich aus falsch verstandener Rücksichtnahme selber zu wenig mit ihren Bedürfnissen mit. Hier kann der Austausch in Gruppen pflegender Angehöriger oder Angehörigennetzwerken eine große Hilfe sein (www.ms-angehoerige.de).

Die eigene Gesundheit als Angehöriger pflegen

Die Pflege der eigenen Gesundheit als Angehöriger gerät häufig ins Hintertreffen, ist jedoch von zentraler Bedeutung für die Aufrechterhaltung des Status quo. Hierzu gehört nicht nur eine gesunde Lebensführung (gutes Essen, ausreichende Bewegung und Schlaf, sparsamer Genuss von Konsumgiften usw.), sondern auch das Erlernen von Entspannungstechniken, Zeit- und Stressmanagement und das Beherrschen von Pflegetechniken. Durch die konsequente Anwendung dieser Verfahren und Techniken, die vor Ort z.B. durch Volkshochschulen oder überregional bei Seminaren des AMSEL-Landesverbandes vermittelt werden, kann die eigene Regeneration gefördert und die Belastbarkeitsgrenze sogar erhöht werden.

Soziale Isolation überwinden

Soziale Unterstützung durch Freunde, Bekannte, Nachbarn etc. kann eine wichtige Ressource für Angehörige sein, die Belastungen einer Pflege besser tragen zu können. Die bewusste Pflege von Bekanntschaften mit Menschen in ähnlicher Lebenslage wirkt der Gefahr einer sozialen Isolierung aufgrund zunehmender Behinderungen entgegen. Im Gespräch in Selbsthilfegruppen pflegender Angehöriger findet man Verständnis für die eigene Situation und am Beispiel der anderen Mitbetroffenen Mut, sich zu öffnen. Man findet Ermutigung, notwendige Veränderungen im Alltag zu planen, falls nötig auch unkonventionelle Lösungen zu wählen und sich unabhängig zu machen von den Meinungen und Urteilen einer manchmal verständnislosen Umwelt. Die örtlichen AMSEL-Kontaktgruppen sind ein Vorbild für die Wertschätzung und Anerkennung pflegender Angehöriger.

Regelmäßig Freiräume und Auszeiten nehmen

Für den langfristigen Erhalt der häuslichen Pflegesituation sind regelmäßige Freiräume unabdingbar. Pflegende Angehörige brauchen einen eigenen Raum, um krankheitsunabhängige Erlebnisse und Erfahrungen zu machen, in denen sie Krankheit und häusliche Pflegesituation hinter sich lassen und unbeschwerte Momente erleben. Den Pflegebedürftigen fällt es leichter, diesen Freiraum zu zugestehen, wenn sie selber auch einen befriedigenden eigenen Raum für sich erleben, sei es Besuch seitens Dritter (Besuchsdienst, Zivi, sonstige Verwandte) oder einer interessanten Tätigkeit für sich nachgehen können. Für Angehörige ist häufig der Beruf solch ein eigener Raum, es kann aber auch ein Hobby oder eine sonstige Tätigkeit sein, in der man ausschließlich eigenen Bedürfnissen und Wünschen nachgeht. Für den längerfristigen Erhalt der Gesundheit des Angehörigen ist zudem einmal jährlich eine längere Auszeit (Urlaub) förderlich.

Dafür Voraussetzung ist die angemessene Versorgung des Pflegebedürftigen. Oft erschweren anfangs unangemessene Schuldgefühle seitens des Angehörigen diese Auszeit. Ein Kraftschöpfen und Auftanken kommt jedoch der Pflegequalität und damit letztlich auch dem Pflegebedürftigen zu Gute. Eine selbstlose Aufopferung und völlige Vernachlässigung eigener Lebensperspektiven als Angehörige stellt ein hohes Gefährdungspotenzial für die Gesundheit dar. Eine innere Einstellung von "liebevoller Distanz", die die MS nicht zur eigenen Erkrankung macht, hilft Angehörigen, die Verantwortung sich selbst und der eigenen Gesundheit gegenüber nicht zu vernachlässigen. Angehörige, die hier Verständnis seitens des Pflegebedürftigen erfahren, haben gute Vorraussetzungen, die Langzeitpflege ihres MS-Erkrankten gut zu bewältigen und in der Beziehung zu dem Erkrankten bereichernde und beglückende Momente zu erleben.

Unterstützungsmöglichkeiten im Pflegealltag

Vielfältige Hilfestrukturen und finanzielle Unterstützung durch die Pflegekasse können pflegende Angehörige im Pflegealltag unterstützen und entlasten.

Finanzielle Unterstützung durch die Pflegeversicherung:

Seit 1995 haben pflegebedürftige Personen Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung. Pflegebedürftigkeit liegt vor, wenn täglich ein Pflegebedarf von mehr als 45 Minuten bei der Pflege und mehrmals wöchentlich ein Bedarf bei der hauswirtschaftlichen Versorgung besteht, sodass der tägliche Hilfebedarf mindestens 90 Minuten umfasst. Zur pflegerischen Versorgung gehören beispielsweise: Körper- und Zahnpflege, Verabreichen und Zubereitung von Nahrung, der Toilettengang oder die Inkontinenzversorgung, das An- und Auskleiden, sowie Aufstehen und Zu- Bett-Gehen. Aber auch notwendige Unterstützung beim Gehen, Stehen, Treppensteigen und beim Verlassen der Wohnung.

Die Leistungen der Pflegeversicherung

sind in verschiede Pflegestufen unterteilt, von Pflegestufe I (erhebliche Pflegebedürftigkeit) bis Pflegestufe III (Schwerstpflegebedürftigkeit) oder so genannte Härtefälle (Rund-um-die-Uhr-Pflege). Die Leistungen der Pflegekasse können sowohl als Sachleistungen (Abrechnung über einen zugelassenen Pflegedienst), als auch als Geldleistung (persönliche Auszahlung an den Pflegebedürftigen) erfolgen. Weiterhin ist eine so genannte Kombileistung (Abrechnung mit Pflegedienst und Pflegebedürftigen) möglich. Auskunft über die Feststellung der individuellen Pflegebedürftigkeit und die Höhe der jeweiligen Geld- bzw. Sachleistungen in den einzelnen Pflegestufen erhalten Sie bei Ihrer Krankenkasse oder über die Mitarbeiter des Landesverbandes (Zeh / Heller). Zum 1. Juli 2008 sind im Rahmen der Pflegereform die Sach- und Geldleistungen der Pflegekassen erstmals seit 1995 erhöht worden und werden stufenweise bis 2012 weiter angehoben (siehe auch Together 2/2008).

Unterstützung bei der täglichen Versorgung Ambulante Pflege

Private, städtische, kirchliche oder karitative Pflegedienste übernehmen pflegerische und hauswirtschaftliche Aufgaben im häuslichen Bereich und können diese Leistungen bei Vorliegen einer Pflegestufe direkt mit den Pflegekassen abrechnen. In Baden-Württemberg arbeiten inzwischen fast 40 Pflegedienste, die sich auf das Krankheitsbild der MS spezialisiert haben. Hier haben mindestens ein bis zwei Mitarbeiter des Pflegedienstes an der Fortbildung der DMSG "Pflege bei MS" teilgenommen und "DMSG-Zertifikate" erhalten, bzw. die Auszeichnung "DMSG-geprüfter-Pflegedienst" und sind somit besonders qualifiziert in der Pflege von MS-Erkrankten.(Infos auf der Homepage des DMSG Bundesverbandes e.V. oder bei Mechthild Zeh)

Tagespflege

Eine große Entlastung für Angehörige kann auch die tageweise (oder wochenweise) Inanspruchnahme einer Tagespflegeeinrichtung sein, die Betreuung, Beschäftigung und Verpflegung während des Tages bietet. Der Aufenthalt in Tagespflegeeinrichtungen ist in der Regel von ca. 8.00 – 17.00 Uhr möglich. Während dieser Zeit können Angehörige Phasen der Ruhe haben oder der eigenen Berufstätigkeit nachgehen. In diesem teilstationären Bereich hat sich durch die Pflegereform eine deutliche Erhöhung der Leistungen ergeben.

Kurzzeitpflege

Im Rahmen derLeistungen der Pflegeversicherung ist es zur Entlastung der Pflegepersonen für 4 Wochen im Jahr möglich, als Pflegebedürftiger in einer Pflegeeinrichtung versorgt zu werden. Die Zuzahlung der Pflegekasse beträgt maximal 1470 Euro jährlich für längstens 28 Tage. Es werden von der Pflegekasse allerdings nur die reinen Pflegekosten übernommen, Kosten für Unterkunft und Verpflegung sind vom Pflegebedürftigen zu tragen.

Verhinderungspflege

Möchten Sie als Pflegeperson einmal selber Urlaub machen, entlastet werden oder sind durch eigene Erkrankung nicht in der Lage, die Pflege zu übernehmen, so zahlt die Pflegekasse bei Einsatz eines zugelassenen Pflegedienstes bis zu 1470 Euro jährlich für stunden- oder tageweise Einsätze zusätzlich zum regulären Pflegegeld.

Häusliche Krankenpflege

Auf ärztliche Verordnung kann zur Vermeidung oder Verkürzung von Krankenhausaufenthalten (z.B. beim Schub) häusliche Krankenpflege in Anspruch genommen werden. Sie leistet in der Regel Grundpflege, Behandlungspflege und hauswirtschaftliche Versorgung. Der Anspruch besteht bis zu 4 Wochen je Krankheitsfall.

Nachbarschaftshilfe

In vielen Städten und Gemeinden wird durch unterschiedliche Träger "Nachbarschaftshilfe" angeboten. Diese Helfer und Helferinnen übernehmen gegen eine Aufwandsentschädigung hauswirtschaftliche (bügeln, waschen, putzen, einkaufen, usw.) und betreuende (vorlesen, spazierengehen, usw.) Leistungen im häuslichen Bereich. Im Rahmen der häuslichen Krankenpflege können teilweise auch Nachbarschaftshelfer tageweise oder stundenweise eingesetzt werden. Ebenso können mit den Geldleistungen der Pflegekasse unterstützende hauswirtschaftliche Dienste finanziert werden.

Ausländische Hilfskräfte

Ausländische Hilfskräfte können eine kostengünstige Ergänzung zum Pflegedienst sein, wenn eine "Rund um die Uhr"-Versorgung notwendig wird. Anbieter aus EU-Beitrittsländern dürfen im Rahmen der wirtschaftlichen Freizügigkeit auch in Deutschland mit eigenen Mitarbeitern tätig werden. Wenn diese Mitarbeiter im Haushalt der pflegebedürftigen Person leben und mitverpflegt werden, gelten die allgemeinen Regeln für die Beschäftigung von ausländischen Mitarbeitern, die über das zuständige Arbeitsamt erfragt werden können. Um Illegalität vorzubeugen, empfiehlt sich in jedem Fall der Kontakt mit dem Arbeitsamt vor Vertragsabschluss mit einer (meist osteuropäischen) Hilfskraft. Ohne fachliche Unterstützung sind diese Hilfskräfte mit der komplexen und aufwändigen pflegerischen Versorgung von schwer MS-Erkrankten in der Regel jedoch überfordert.

Ergänzende Service- und Betreuungsleistungen

Von vielen Pflegediensten und Anbietern häuslicher Pflege werden hilfreiche und alltags erleichternde Zusatzangebote zur Verfügung gestellt, wie z.B. Essen auf Rädern, Einkaufsdienste, Hausnotruf, Pflegehilfsmittelberatung, Wohnraumberatung und teilweise auch Fahrdienste.

 

 
 
AMSEL-Beratungsteam
 
 
 

Michael Berthold, Dipl. Psychologe

Mechthild Zeh, MS-Krankenschwester und Entspannungspädagogin

Telefon: 0711/69786-10

E-Mail: beratungsteamamselde

Quelle: Together 01 / 2009, Autoren: Michael Berthold, Dipl. Psychologe, AMSEL e.V. und Mechthild Zeh, MS-Krankenschwester und Pflegedienstleitung AMSEL e.V.

Redaktion: AMSEL e.V., 26.02.2009