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Multiple Sklerose im Kindes- und Jugendalter (Teil 1)

In der ersten Together-Ausgabe 2011 berichtet Dr. Astrid Blaschek, Assistenzärztin der Kinderklinik und Kinderpoliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital der Universität München, über die besondere Herausforderung 'MS im Kindes-und Jugendalter' für Forschung, Medizin und die gesamte Familie.

Folker Hanefeld, 2003:

"Ein Dilemma liegt darin, dass sich zwar viele Neurologen mit Multipler Sklerose auskennen, aber weniger mit Kindern… Andererseits seien Kinderärzte erfahren im Umgang mit den jungen Patienten, wüssten aber wenig über die Symptome der MS."

Die Betreuung und Behandlung junger Patienten mit MS ist in den letzten Jahren mehr in den Fokus der Pädiatrie gerückt. Die pädiatrische MS gehört zu den wichtigen erworbenen neurologischen Erkrankungen des Kindesalters, die eine frühzeitige Erkennung, Diagnose und Behandlung bedürfen. Grundsätzlich handelt es sich bei der MS im Kindes- und Jugendalter um dieselbe Erkrankung, die in weitaus höherer Zahl bei Erwachsenen auftritt, wenngleich zum jetzigen Zeitpunkt nicht in Gänze bekannt ist, inwieweit Unterschiede im Verlauf, in der klinischen Schwere, sowie in der therapeutischen Beeinflussbarkeit existieren.

In der überwiegenden Zahl der pädiatrischen Fälle handelt es sich um Teenager; eine MS kann aber auch vor dem 10. Lebensjahr auftreten. Aufgrund der Komplexität der Erkrankung sind wir überzeugt, dass entscheidende Fortschritte in der Behandlung von MS-kranken Kindern und Jugendlichen sich nur erzielen lassen, wenn systematische Forschung, innovative Therapien und aktuelle Informationen zur kindlichen MS eng verzahnt werden.

Geschichte

Für Jahrhunderte war eine Erkrankung bekannt, die charakterisiert war durch episodische progressive neurologische Verschlechterung, genannt "Paraplegie". Einige der ersten Fälle dieser Paraplegie sind so detailliert beschrieben, dass wir sie heute als Multiple Sklerose einordnen würden.

 

 

Die Heilige Lidwina von Schiedam - der erste MS-Fall?

Wahrscheinlich die erste Beschreibung einer MS, archiviert in den Archiven des Vatikans, gibt es aus dem späten 14. Jahrhundert aus Holland. Mit 16 Jahren stürzte die heilige Lidwina von Schiedam beim Eislaufen, als erster Ausdruck einer Schwäche in ihren Beinen. Von dieser Episode erholte sie sich nur partiell und erlitt in den folgenden Jahren wiederkehrende Episoden von Gleichgewichtsstörungen Schwäche und sensiblen Beeinträchtigungen, die immer separiert waren durch Remission. Die Aufzeichnungen im Rahmen ihrer Kanonisation enthalten Hinweise, dass das Leiden ihr von Gott gegeben wäre und sie nahm diese Aufgabe an und stellte ihr Leben und Wirken fortan unter diese Prüfung Gottes.

Im beginnenden 19. Jahrhundert gibt es etliche Beschreibungen von Patienten, die den Beginn ihrer Erkrankung vor Vollendung des 20. Lebensjahres hatten. Interessanterweise wurde die Existenz einer kindlichen MS trotz früher Beschreibungen gegen Ende des 19. Jahrhunderts für die nächsten 50 Jahre ignoriert oder verneint.

Autorin: Dr. Astrid Blaschek

  • seit 2006 Assistenzärztin der Kinderklinik und Kinderpoliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderispital der Universität München; Abteilung Pädiatrische Neurologie, Entwicklungsneurologie und Sozialpädiatrie
  • 1992-2000 Studium der Humanmedizin an der Georg-August-
    Universität Göttingen
  • 1997-2000 Promotion bei Prof. Dr. F. Hanefeld (Göttingen), einem der
    Pioniere der kindlichen MS-Forschung in Deutschland
  • 2001-2002 Assistenzärztin an der Universitätsklinik Mainz, Abt. Neuropathologie; Diagnostik mit Schwerpunkt Myologie
  • 2001-2005 Assistenzärztin an der Universitätskinderklinik Heidelberg,
    Abt. Kinderneurologie

Klinische Präsentation

Ein erster Schub der Erkrankung manifestiert sich durch das Auftreten neurologischer Defizite in unterschiedlichen Funktionsgebieten des Gehirns und Rückenmarks. Häufige Initialsymptome sind visuelle Störungen, wie verschwommenes Sehen oder Doppelbilder und Sensibilitätsausfälle. Zudem können das Gleichgewichtssystem, die Koordination beeinträchtigt sein oder aber Lähmungen an den Extremitäten auftreten. Häufig begleitend dazu unspezifische Beschwerden wie Kopfschmerzen, Schwindel und Müdigkeit sowie Konzentrationsschwäche. Ferner können weitaus seltener auch psychiatrische Symptome oder Beeinträchtigungen des Blasen- und Mastdarmfunktion auftreten.

Im weiteren Verlauf der MS unterscheidet man grundsätzlich drei Verlaufsformen. Am häufigsten in allen Altersgruppen ist ein primär schubförmiger Verlauf, der gekennzeichnet ist durch eine Remission bzw. beschwerdefreie Intervallen zwischen den Schüben. Diese Form findet sich in 95-98% aller Fälle im Kindes- und Jugendalter, bei Erwachsenen bis zu 80% der Erkrankten. Chronisch progredient verlaufende Erkrankungen stellen im pädiatrischen Kollektiv seltene Ausnahmen dar.

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Lesen Sie im 2.Teil des Beitrags Wissenswertes zu Diagnosestellung, Therapie und Versorgung bei MS im Kindes- und Jugendalter.

Quelle: Magazin Together, Ausgabe 01/11; Dr. Astrid Blaschek

Redaktion: AMSEL e.V., 28.02.2011