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Lebensqualität – so vielfältig wie das Leben selbst (1/3)

Mobilität, Unabhängigkeit, Reisen, Lachen, Lieben... Lebensqualität ist für jeden etwas anderes. Um den vielen Facetten ein Gesicht zu geben, hat AMSEL dazu mehrere Menschen mit und ohne Multiple Sklerose befragt. Im ersten Teil der Portraitserie aus „together 01.17“ stellen sich Lena und Michael vor.

Kann man Lebensqualität objektiv messen? Die materielle Seite vielleicht schon, denn sie beruht auf Daten zum Lebensstandard, die man statistisch auswerten kann. Dafür gibt es die Meinungsforschungsinstitute und Statistische Landes- und Bundesämter. Eine ziemlich trockene Angelegenheit. Das individuelle Wohlgefühl, die subjektive Wahrnehmung und die Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, damit dieses Gefühl überhaupt erst entsteht – all das ist mit keinem noch so fundierten Zahlenwerk erfassbar. Um dieser Seite auf die Spur zu kommen, hat die Redaktion von "together" mehrere unmittelbar und mittelbar MS-Betroffene befragt. Eine spannende Entdeckungsreise voller Emotionen.

Was die "Toten Hosen" mit einem gelungenen Käsekuchen und einer Liebe in Kanada gemeinsam haben, lesen Sie in den folgenden Portraits. Den Anfang machen Lena und Michael. Die weiteren Portraits lesen Sie in den kommenden Tagen auf www.amsel.de

Lena: Leben und Lieben auf zwei Kontinenten

Lena ist 28, die Diagnose MS bekam die Tübingerin wenige Wochen nach ihrem zwanzigsten Geburtstag. Sie ist in der glücklichen Lage, dass bei ihr die Krankheit dank entsprechender Medikation einigermaßen stabil verläuft.

Ihre Augen machen zwar ab und zu ein paar Probleme, manchmal hapert es ein bisschen mit der Balance – aber alles unbemerkt von ihrem Umfeld. Lena ist pharmazeutisch-technische Assistentin in einer großen Klinik. Die junge Frau steht mitten im Leben, arbeitet, trifft Freunde, die Familie. Kinderwunsch? Gerne, wenn die Zeit dafür reif ist.

Und: Lena überschreitet gerne Grenzen. Ihr Lebensmotto: "Deine Grenzen sind da, wo du sie dir setzt. Wenn du daran glaubst, dass du keine Grenzen hast, bist du frei." Das mit der Freiheit ist durchaus im konkreten Sinne zu verstehen: Alle paar Monate fliegt Lena nach Kanada. Nicht in Urlaub, sondern in ihr zweites Zuhause, zu ihrer neuen Liebe. Glück oder Pech, dass ihr Freund Kanadier ist? Eher die Freiheit, immer wieder bei einander anzukommen und die Zweisamkeit intensiv zu genießen! Lena hat sich auch in das Land selbst verliebt – seine Kultur der Offenheit und Herzlichkeit! Großartig findet sie das kanadische Frühstück mit Bratkartoffeln, Eiern und Speck. Ob sie in Ontario überhaupt etwas vermisst? Eigentlich nur das typisch deutsche Brot und Laugengebäck.

"Lebensqualität ist für mich", sagt Lena, "den ganzen Tag von Menschen umgeben zu sein, die mich lieben. Dann kommt es gar nicht so sehr darauf an, was man genau macht". Ein Beispiel für einen perfekten Tag in ihrem Leben: Den ganzen Tag zusammen mit ihrem Freund an dessen Mustang schrauben und abends noch "Das Dschungelbuch" schauen.

Michael: "Mein Leben ist schön"

"Ich bin sehr zufrieden, trotz aller Einschränkungen", sagt Michael entschlossen. Doch das war nicht immer so: Nach der MS-Diagnose 2006, bekennt der 56-Jährige, hat ihn einzig und allein die psychologische Unterstützung gerettet. Ohne sie gäbe es ihn heute vermutlich gar nicht mehr.

Als Messebauer war er immer ein Macher, geregelte Arbeitszeiten waren ein Fremdwort. Er ging oft an seine Belastungsgrenze – und darüber hinaus. Die Diagnose war für ihn ein schwerer Schlag.

Geld hat er durch seine kleine Rente heute natürlich weniger, dafür aber mehr Zeit fürs Wesentliche. Er berät ein- bis zweimal im Monat ehrenamtlich in einer Klinik Neuerkrankte in der harten Zeit nach der Diagnose, das ist eine Herzensangelegenheit für ihn. Wie sehr dies geschätzt wird, zeigt die Tatsache, dass einer seiner Schützlinge ihn als Trauzeugen eingeladen hatte. Leider musste er kurz vor dem Hochzeitstermin aufgrund eines akuten Schubs in die Klinik und absagen. Aber trotz allem ist es ihm eine Riesenbestätigung, dass sein Umgang mit der Krankheit für andere Betroffene als Vorbild wohltuend und inspirierend wirkt, ihnen neuen Lebensmut gibt.

"An Tagen wie diesen…wünscht man sich Unendlichkeit…"

Wer Michael auf dem Handy anruft, wird von den "Toten Hosen" und ihrer bekannten Hymne an das Leben lautstark empfangen. Dieses Lied ist für den Stuttgarter Programm und Credo zugleich: Er zelebriert sein Leben nach dem Motto "lebe dein Leben so, wie es ist, ohne das Gefühl zu haben, auf etwas verzichten zu müssen". Das beginnt bei ihm bei seiner picobello gepflegten barrierefreien Wohnung. Doch der humorvolle und lebensbejahende Single ist auch gerne unterwegs und reist zu Freunden in ganz Deutschland.

Er könnte zwar noch selbst Auto fahren, tut es aber bewusst nicht und nimmt die Bahn und den öffentlichen Nahverkehr. Jemandem einen Schaden zuzufügen aufgrund einer eigenen plötzlichen Malaise, das würde er sich nie verzeihen. Für Unternehmungen mit seiner kleinen, aber feinen und eingeschworenen Freundestruppe nimmt er je nach nötigem Aktionsradius Gehstock, Hand- Bike oder den Rolli mit. Diese Hilfsmittel sind seine Garanten, nicht nur für Mobilität, sondern letzten Endes auch für seine Lebensqualität. Und die genießt er, das spürt man allein schon am Strahlen in seiner Stimme.

Die Portraits zu Christine, Dieter und Birgit lesen Sie im zweiten Teil der Portraitserie "Lebensqualität – so vielfältig wie das Leben selbst (2/3)"

Quelle: AMSEL-Nachrichtenmagazin "together", Ausgabe 01.17

Redaktion: AMSEL e.V., 08.05.2017