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Lebensfreude auf drei Rädern

Diagnose Multiple Sklerose mitten im Berufsleben. Zwei Jahre später Rente. Wie Bewegung und Sport Oliver halfen neue Lebenslust zu entdecken, zeigt das Together-Porträt 03/12.

Es ist vier Uhr morgens. Zu dieser Zeit startet für gewöhnlich ein Tag für Oliver Rabe mit einer Tasse Kaffee auf dem Balkon – doch nicht, weil die Arbeit ruft, sondern, weil ihn innere Unruhe und Unwohlsein nicht schlafen lassen. Eine Folge der jahrelangen Schichtarbeit, die den Tag-Nacht-Rhythmus durcheinander gebracht hat? Oder der Krankheit, die vor zwei Jahren bei ihm diagnostiziert worden war, Multiple Sklerose?

Wenn das Leben ins Wanken gerät

Oliver ist 38 Jahre alt. Als Küken unter vier Geschwistern wuchs er im Brettener Raum auf. Noch vor wenigen Jahren bestimmte die Arbeit den Tag des gelernten Schlossers. 2005 aber merkte der damals 31-Jährige erstmals, dass etwas mit seinem Körper nicht stimmte, als er vermehrt mit Schwindel und einem wankenden Gang zu kämpfen hatte. Noch heute ist die damals empfundene Empörung über die Frage eines Arbeitskollegen, ob er denn betrunken sei, spürbar. "Ich trinke doch nicht während der Arbeitszeit!"

Doch der erste Schock saß tief und die Sorge darüber, was mit ihm nicht in Ordnung sei, wuchs unaufhaltsam. Als der Gleichgewichtsstörung auch Sensibilitätsstörungen in den Händen und Probleme beim Sprechen folgten, konnten die Symptome schließlich nicht mehr ignoriert werden. Nach mehreren Jahren Ungewissheit folgte 2010 die Diagnose: MS.

"Zunächst war ich baff.", erinnert sich Oliver. Schock, Sprachlosigkeit. Auch in der Familie. Eine verzweifelte Bemerkung seiner Mutter war damals: "Hättest du mir lieber die Krankheit gegeben. Du bist noch so jung!". Dann die Frage, wie es weiter geht. 2011 die erste Reha, danach sechs Wochen Wiedereingliederung ins Berufsleben. Doch bereits nach drei Wochen wurde sie abgebrochen, weil Oliver es nicht mehr schaffte, sechs Stunden am Tag eine stehende Tätigkeit zu verrichten. Im Oktober 2011 wurde er schließlich berentet.

Wenn das Leben neu beginnt

Es gibt gute und schlechte Tage. So fühlt sich der junge Mann an warmen Tagen meist "wie Wackelpudding", während er bei kühleren Temperaturen nur so sprüht vor Energie. Doch durch den schleichenden Verlauf spürt er zunehmende Beschwerden in Gleichgewicht, Gang, Sprache, Koordination und Spastik. "Aber ich versuche mich nicht unterkriegen zu lassen". Dass er sich seine positive Einstellung nicht nehmen lässt, zeigt er mit sportlichem Eifer.

 

"Wenn das Leben
Dir eine Zitrone gibt,
mach Limonade draus"

Virginia E. Wolff

 

Im Rahmen seiner Reha machte er erstmals Erfahrungen in Aquajogging und der Medizinischen Trainingstherapie. Ob Beinpresse, Bauchtraining, Seilzug, Ergometer oder Schwingstab. Oliver merkte, dass das Training seinem Körper gut tut – Ausdauer, Beweglichkeit und Gleichgewicht verbessert werden und die Muskulatur gestärkt und stabilisiert wird.

Heute geht er an zwei Tagen der Woche zur Krankengymnastik und regelmäßig in ein an eine Therapiepraxis angeschlossenes Fitnessstudio. Dort kann er unter Anleitung von Fachpersonal die Medizinische Trainingstherapie fortführen und Fehlhaltungen gleich korrigiert, Überbelastung vermieden und die Effektivität des Trainings gesteigert werden. Denn ein Versuch, sich einem "normalen" Fitnessstudio anzuschließen, scheiterte. Die dortigen Trainer erkannten nicht die Belastungsgrenzen des MS-erkrankten Mannes – die Folge äußere Bauchdeckenentzündung.

Zu Hause ist der Gondelsheimer ebenfalls sehr aktiv. Mit handgroßen Bällen unterschiedlichen Härtegrades oder handelsüblichen Korken übt er täglich, um Koordination und Greifkraft in den Fingern wiederaufzubauen. Doch seine eigentliche und neu entdeckte Leidenschaft steht in der Garage:
ein speziell für seine Bedürfnisse angepasstes Liegedreirad mit extra Beinstützen und Hilfsmotor. Früher ist Oliver sehr gerne Fahrrad gefahren, doch seit seiner Erkrankung stürzte er bereits zweimal und daher war das fortan nicht mehr möglich gewesen. "Ich wollte unbedingt wieder mobil werden und so bin ich auf das Liegedreirad aufmerksam geworden. Als ich es bei einem speziellen Händler testen und Probe fahren konnte – da spürte ich, wie das Leben wieder zurückkam. Ich grinste über das ganze Gesicht."

Wenn das Wetter es zulässt, fährt er mit seiner "zweiten Liebe", wie er sein Liegerad mit persönlichem Nummernschild liebevoll nennt, so oft er kann, auch zur Krankengymnastik ins Dorf oder zum Einkaufen. "Dadurch, dass die Krankengymnastik um die Mittagszeit ist, und es im Sommer entsprechend schwülwarm, bin ich oftmals danach so geschwächt, dass ich es kräftemäßig mit dem Auto nicht mehr nach Hause schaffen würde". Mit dem Hilfsmotor unterstütztem Rad aber kein Problem. Mittags legt er sich meistens noch mal hin, was ihm gut tut, denn damit holt er sich die Energie zurück, die er verbraucht hat. "Und so teile ich mir auch die Hausarbeit ein. Immer Stück für Stück, Zimmer für Zimmer. Mit kleinen Schritten zum Ziel."

Wenn das Leben Dich lieben lehrt

Wichtig für Oliver im Leben sind aber vor allem Partnerschaft, Freundschaft und Familie. Sein schönstes Erlebnis, so der AC/DC-Fan, war das Kennenlernen seiner Freundin vor 15 Jahren. "Ich bewundere sie dafür, dass sie mich so nimmt, wie ich bin!". Sie gibt ihm Kraft und Lebensmut. Ebenso wie seine 3-jährige Jack Russell Dame "Joy", zu deutsch "Freude".

Oliver lebt für den Moment und versucht sich nicht von Zukunftsängsten einnehmen zu lassen. Ähnlich vielleicht wie seine Lieblings-Comicfigur Homer Simpson – eine Figur, die sich nicht etwa durch einen sorgenvollen Charakter auszeichnet, sondern vielmehr durch den Grundsatz, das Leben so zu nehmen wie es kommt und dabei vor allem auch nicht seinen Humor zu verlieren.

Together - Das Nachrichten-Magazin der AMSEL

Redaktion: AMSEL e.V., 12.09.2012