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„Kunst ist die Sprache meiner Seele“

Künstler trotz Multipler Sklerose? Petra Eckerle zeigt es. Als eine der Künstlerinnen der neuen AMSEL-Grußkarten verleiht sie dem „Himmelsboten“ mit Encaustic, einer speziellen Maltechnik, eine ganz besondere Ausstrahlung. Together 04/12 stellt die Freiburgerin vor.

Bereits als Kind malte die heute 52-Jährige sehr gerne. Kunst und Malerei haben sie auf ihrem Lebensweg stets begleitet, ihr die Möglichkeit gegeben, ihre Gefühle und Gedanken auszudrücken. Zunächst wollte sie daher auch Malerei studieren, doch sie entschied sich für das Handwerk der Schreinerei, da sie es liebte, praktisch tätig zu sein, die Praxis der Theorie vorzog. Es folgten Möbelrestauration, Ausgrabungstechnik, Geopathalogie und Baubiologie.

Vor allem bei archäologischen Ausgrabungen fand sie ihre berufliche Erfüllung. "Ich habe es geliebt, draußen zu arbeiten. In Pakistan, Oman, den Vereinigten Arabischen Emiraten. Neues, Unbekanntes zu entdecken. Es war spannend und beeindruckend, ferne Länder, Kulturen und Menschen kennen zu lernen. Davon zehre ich noch heute. Gedanklich bin ich gerne überall."

Die Kunst, den Blickwinkel zu verändern

2003 kam der Einbruch. Petra musste ihren Beruf aufgeben, sich einer schweren Knieoperation unterziehen, die nicht gut verlief. Noch im selben Jahr stellten sich Sehstörungen ein, die ersten Symptome ihrer MS. Die Diagnose kam allerdings erst vier Jahre später, als mehrere heftige Schübe ihr schwer zu schaffen machten. Lähmungserscheinungen in der rechten Körperhälfte. Gesicht, Hand und Bein waren betroffen. Sie konnte zeitweise nichts sehen, nichts schmecken, hatte Schluck- und Sprechstörungen.

"Erst mal musste ich begreifen, verstehen, was mit meinem Körper passierte. Wollte es nicht wahrhaben. Früher konnte ich immer vorausplanen. Und das konnte ich jetzt nicht mehr. Ich musste jeden Tag so nehmen wie er kommt, und den Umgang damit erst lernen.", sagt sie zurückblickend. "Zunächst habe ich gegen die MS gekämpft. Jahre. Und ich merkte, wie sie an mir zehrte. Aber seit ich das nicht mehr tue, sondern stattdessen versuche, meine Energie in etwas anderes umzuwandeln und die MS anzunehmen, geht es mir besser."

Auch wenn sie heute aufgrund von Paraparese auf einen Rollstuhl angewiesen ist, an Fatigue und Gefühlsstörungen leidet, blickt sie mit Zuversicht und Gottvertrauen in die Zukunft. Sie glaubt fest daran, irgendwann wieder ganz normal am Leben teilnehmen, arbeiten und raus’gehen‘zu können. "Ich fühle es in meinem Herzen. Und es gibt andere, denen es noch schlechter geht, die gar nichts mehr machen können. Also sage ich mir: Du kannst immer noch was machen, also gib‘ nicht auf!"

Die Kunst, in eine andere Welt einzutauchen

Weil die Freiburgerin durch die Krankheit nicht mehr so viel unterwegs sein kann, holt sie sich die Welt einfach von draußen zu sich herein, indem sie in Natur- und Archäologiefilme, in Bücher, in Musikwelten von Blues über Rock, Gospel und Klassik oder aber in ihre Farbenwelt eintaucht. "Zeit spielt dabei keine Rolle", sagt sie, als sie über ein Ölgemälde spricht, das in über 400 Stunden entstanden ist. "Zeit ist nur ein Begriff. Und sie verschwimmt ähnlich wie Farben. Malen ist wie Meditation, ein In-sich-kehren. Man empfindet die Zeit nicht mehr. Man taucht ein und macht sich frei von Gedanken. In diesem Moment ist die MS ganz weit weg und meine Schmerzen sind für einen Augenblick lang gar nicht mehr da. Malen macht mich glücklich."

Ob Landschaften, Blumen, Kerzen oder Engel – ob mit Kreide, Bleistift, Öl, Aquarell, Acryl, Blattgold, Erde oder Patina – Petra liebt die Vielseitigkeit der Kunst. "Sie ist Ausdruck meiner Seele, meiner Kraft und meiner Lebensfreude, die ich mir trotz meiner Krankheit nicht habe nehmen lassen". Dunkle Farben benutze sie daher eher weniger, weil es ihr wichtig sei, sich mit schönen Dingen zu umgeben.

Seit einiger Zeit hat sie die Encaustic für sich entdeckt, eine über 5000 Jahre alte Wachsmaltechnik aus Ägypten, die schon lange vor der Ölmalerei eingesetzt wurde. Hierbei werden verschiedenfarbige Wachse, die aus reinem Bienenwachs und fein verriebenen Farbpigmenten bestehen, und ein spezielles kleines elektrisches Maleisen verwendet. Der Auftrag der erhitzten Wachse kann auf verschiedene Untergründe erfolgen. Petra wählt gerne spezielles, beidseitig beschichtetes Papier.

"Bei Encaustic entsteht das Bild erst nach dem Auftragen. Was es wird, weiß man vorher nicht immer. Ich liebe das Verschwimmen, die Kraft und Intensität der Farben und die Vielfalt der Technik."

Die Kunst, zu geben und zu nehmen

Die talentierte Künstlerin liest viel über Maltechniken, schaut sich DVDs dazu an, oder besucht auch mal eine öffentliche Vorführung in Kunstfachgeschäften und bringt sich selbst alles bei. "Es ist wichtig, von anderen Künstlern zu lernen." Mehrstündige Kurse kann sie allerdings nicht besuchen, da sie nach ein bis zwei Stunden Kreativseins merkt, dass sie eine Pause braucht, ihre Hände taub werden. "Dann ärgert es mich schon, wenn ich mich hinlegen, mich ausruhen muss. Immer den Plan des Körpers einhalten muss, obwohl meine Seele etwas ganz anderes möchte."

Glaube, Natur und vor allem auch die Menschen in ihrem Umfeld wie ihre Familie, Freunde und Nachbarn sind es, die Petra Kraft geben. Für sie ist das größte Geschenk, wenn es den Menschen um sie herum, die sie liebt, gut geht, sie gesund sind. Und auch, dass sie ihr helfen, wenn sie Hilfe braucht, ohne darum bitten zu müssen. Denn es fällt ihr schwer, danach zu fragen. "Das nimmt viel Sorgen weg", sagt sie dankbar. "Ich musste zwar erst lernen Hilfe anzunehmen, aber damit geht es besser durchs Leben."

Petra lernte auch, dass man an einer Krankheit wachsen kann, Dinge anders zu sehen. "Jetzt habe ich wieder mehr Zeit zum Malen, die ich früher, als ich noch arbeiten ging, nicht hatte. Ich freue mich an den kleinen Dingen, die noch gehen, Dinge, die man manchmal im Alltag übersehen hat." Mit ihren Bildern schenkt sie anderen Menschen Freude und es gibt viele, die gerne das Gespräch mit ihr suchen, sie um Rat bitten. "Und das zeigt mir, dass ich anderen Menschen was zurückgeben kann. Das gibt mir Kraft und Mut. Dadurch spüre ich, dass ich gebraucht werde."

Redaktion: AMSEL e.V., 03.01.2013