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Hochdosierte intravenöse Immunglobuline (IVIg) in der Therapie der MS

18.12.07 - Prof. Dr. Ralf Gold und Prof. Dr. Martin Stangel berichten darüber wann und für wen diese Therapieform der MS sinnvoll sein kann.

Hochdosierte intravenöse Immunglobuline (IVIg) sind ein Gemisch von Antikörpern, die aus Serum von tausenden gesunder Spender gewonnen werden. Die IVIg wurden ursprünglich zur Behandlung von Infektionskrankheiten eingesetzt. Anfang der 1980er Jahre ist bekannt, dass sie auch das Immunsystem modulieren können. Es konnte gezeigt werden, dass IVIg fast jeden Bestandteil des Immunsystems beeinflussen können, allerdings ist bis heute nicht eindeutig geklärt, wie IVIg genau wirken. Für einige immunvermittelte Erkrankungen (z.B. die idiopathische thrombozytopenische Purpura, das Kawasaki Syndrom oder auch das Guillain Barré Syndrom) haben klinische Studien eindeutig gezeigt, dass der Krankheitsverlauf positiv beeinflusst wird. Auch zur Multiplen Sklerose (MS) wurden mehrere klinische Studien durchgeführt. Diese haben dazu geführt, dass IVIg von der MS Therapie Konsensus Gruppe (MSTKG) als Reservemittel zur Basistherapie empfohlen werden, wenn andere Immunmodulatoren wie beta-Interferone oder Glatirameracetat versagen oder Nebenwirkungen hervorrufen. Hier sollen die aktuellen Daten und Empfehlungen für den Einsatz von IVIg zusammengefasst werden (siehe auch Tabelle).

EmpfehlungKommentar
Schubförmige MSMittel der dritten Wahl, wenn Kontraindikationen/
Nebenwirkungen für beta-Interferone, Glatirameracetat und Natalizumab bestehen
Ergebnisse der PRIVIG Studie haben keinen eindeutigen Vorteil von IVIG aufzeigen können
Sekundär progressive MSKeine IndikationESIMS (größte MS Studie zu IVIg) zeigte keine Wirkung
Primär progressive MSKeine IndikationDaten der kürzlich veröffentlichten Studie nicht überzeugend
SchubtherapieKeine IndikationDrei Studien zeigen keinen Effekt von IVIg auf Schubdauer und Regeneration
Reduktion postpartaler SchübeIndividuelle EntscheidungWahrscheinlich wirksam. Zwei neue Studien waren im Design nicht geeignet, um eine definitive Antwort zu geben
Regeneration / RemyelinisierungKeine IndikationStudien aus dem Tiermodell konnten bei MS Patienten nicht bestätigt werden

IVIg bei schubförmiger MS

Mehrere ältere Studien mit schlechterem Design haben eine Abnahme der Schubrate unter der Therapie mit IVIg beschrieben. Obwohl diese Studien zum Teil nur wenige Patienten untersucht haben bzw. keine Kernspinuntersuchungen beinhaltet haben, so deuteten sie alle in die gleiche Richtung, dass IVIg die Schubrate reduzieren und somit eine gewisse Wirksamkeit bei der schubförmigen MS haben. Diese Ergebnisse waren bislang die Grundlage für die Empfehlung der MSTKG. Eine neuere, bislang nur auf Fachtagungen vorgestellte Therapiestudie (sogenannte PRIVIG Studie) konnte die Ergebnisse jedoch nicht bestätigen, es fand sich lediglich ein Trend und IVIg waren nicht besser wirksam als ein Scheinmedikament (Placebo). Dieses Ergebnis stellt die Daten aus den vorherigen, kleineren Untersuchungen in Frage. Die Zulassung für MS besteht daher für IVIg nicht. Aus diesem Grund werden IVIg derzeit bei der schubförmigen MS nur in Ausnahmefällen eingesetzt, zumal als Therapiealternative seit letztem Jahr der zugelassene monoklonale Antikörper Natalizumab (Tysabri®) zur Verfügung steht.

IVIg bei der chronisch progredienten MS

Einzelne Fallberichte haben in der Vergangenheit beschrieben, dass IVIg die Behinderung bei der primär oder sekundär chronisch progredienten MS verbessern kann. Eine große internationale Studie an über 300 Patienten mit sekundär chronisch progredienter MS konnte dies jedoch nicht belegen. IVIg und Placebo haben sich in ihrer Wirkung nicht unterschieden. Eine weitere, erst kürzlich veröffentlichte Studie von Dr. Dieter Pöhlau und Kollegen postuliert eine geringe Verzögerung der Progredienz bei Patienten mit primär chronisch progredienter MS.

Allerdings haben nur weniger als die Hälfte der eingeschlossenen Patienten, die gesamte Behandlung entsprechend des Studienprotokolls erhalten. Dies beinhaltete nur 18 Patienten mit primär chronisch progredienter MS (10 IVIg und 8 Placebo). Insgesamt muss konstatiert werden, dass die Ergebnisse enttäuschend waren und IVIg den chronisch progredienten Verlauf der MS nicht wesentlich beeinflussen können und somit auch nicht verabreicht werden sollten.

IVIg in der Schwangerschaft

Die Therapie der MS während der Schwangerschaft und der Stillzeit gestaltet sich schwierig, da alle zugelassenen immunmodulatorischen Behandlungen während der Schwangerschaft nicht gegeben werden dürfen. Auch das Stillen unter diesen Medikamenten wird nicht empfohlen. Dabei ist gerade in dieser Zeit, in den ersten Monaten nach der Entbindung, das Risiko einen Schub der MS zu erleiden, besonders hoch. IVIg haben den Vorteil, dass sie keinen negativen Einfluss auf den Embryo haben und auch während der Stillzeit gegeben werden dürfen. Mehrere kleinere Studien haben die Gabe von IVIg nach der Entbindung untersucht und eine verminderte Schubrate beschrieben, allerdings immer ohne eine placebokontrollierte Vergleichsgruppe. Bei einer israelischen Studie mit 108 Patientinnen wurden die wenigsten Schübe bei den Frauen verzeichnet, die IVIg kontinuierlich während und nach der Schwangerschaft erhalten haben. Eine in diesem Jahr veröffentlichte internationale Studie (GAMPP Studie) konnte keinen Unterschied zwischen zwei unterschiedlichen Dosierungen von IVIg nach der Entbindung feststellen. Die Schubrate war in beiden Gruppen, ähnlich der vor der Schwangerschaft, jedoch nicht erhöht, wie dies zu erwarten gewesen wäre. Leider wurde in dieser Studie kein Placebo untersucht, so dass noch immer keine definitive Aussage bezüglich der Wirksamkeit von IVIg zur Vermeidung von Schüben unmittelbar nach der Schwangerschaft gemacht werden kann. Aufgrund von fehlenden alternativen Behandlungen bleiben IVIg in dieser Situation nach wie vor die einzige Alternative. Allerdings sind IVIg für die MS nicht zugelassen und die Kosten werden von den Krankenkassen oft nicht übernommen.

IVIg zur Regeneration

Untersuchungen im Tiermodell haben vermuten lassen, dass IVIg auch eine Regeneration und einen Wiederaufbau von Myelinscheiden induzieren können. Mehrere klinische Studien an MS Patienten konnten dies jedoch nicht belegen. In keiner der Studien besserte sich eine bereits seit geraumer Zeit bestehende Behinderung. Auch die Gabe von IVIg zusätzlich zu Kortison unmittelbar nach einem Schub konnte die Genesung nicht verbessern.

Fazit

Obwohl gut belegt ist, dass IVIg das Immunsystem modulieren können, haben die klinischen Studien bei der MS die hohen Erwartungen leider nicht erfüllt. Nach den negativen Ergebnissen zur chronisch progredienten MS und den enttäuschenden Daten zur Regeneration stellt die neueste Studie zur schubförmigen MS auch diese Indikation in Frage. Daher sollten IVIg nur im Einzelfall, wenn keine der zugelassenen Therapien wirksam ist bzw. Nebenwirkungen bestehen, eingesetzt werden. Dabei sollte die klinische Wirksamkeit durch Verlaufsuntersuchungen für den Einzelfall gut belegt werden. Während der Schwangerschaft und zur Verringerung der erhöhten Schubrate nach der Entbindung stellen IVIg nach wie vor die einzige Therapiealternative dar. Allerdings besteht hier keine Zulassung und die Anwendung erfolgt "off-label"*.

M. Stangel und R. Gold,
Neurologische Klinik,
Medizinische Hochschule Hannover
und Neurologische Klinik im
St. Josef Hospital, Kliniken
der Ruhr Universität Bochum

 
 *) "off-label" bedeutet, dass obwohl die Krankenkassen die Kosten für nicht zugelassene Medikamente eigentlich nicht übernehmen, im Rahmen einer Einzelfallprüfung die Möglichkeit besteht, dass die Kosten unter bestimmten Voraussetzungen dennoch übernommen werden können. Das Bundessozialgericht hat im Jahr 2002 in einem Urteil (AZ B1 KR 37/ 00R) die Kriterien für einen "Off-Label-Use" festgelegt. Danach müssen Krankenkassen unter bestimmten Voraussetzungen die Kosten für nicht zugelassene Medikamente übernehmen. Im Fall der Immunglobuline haben deshalb in der Vergangenheit zahlreiche Gerichte zu Gunsten von MS-Kranken entschieden. Siehe dazu Together-Ausgabe 01/2006: "Kostenübernahme für eine Behandlung mit Immunglobulinen" von Rechtsanwalt Andreas Czech. Ob eine Kostenübernahme nach den aktuellen Studienergebnissen weiter möglich ist, ist derzeit offen. 
 

Redaktion: AMSEL e.V., 18.12.2007