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Es ist die einzige Chance, die mir bleibt

Benjamin (43) aus Konstanz hat sich für eine Stammzelltherapie entschieden. Für ihn ist es ein Hoffnungsschimmer, Wunder erwartet er allerdings keine. Die Stammzelltherapie bei MS ist bisher keine etablierte Therapie, sie greift stark in das Immunsystem des Körpers ein und ist mit vielen Risiken verbunden.

Stammzelltherapie bei MS gilt heute (noch) als Heilversuch. Diesen Schritt zu gehen, erfordert Mut, Zuversicht und Vertrauen. Benjamin wagt ihn.

Aktive MS und viele Einschränkungen

Benjamin arbeitet als Beamter bei einer Konstanzer Behörde. Seine Arbeitszeit musste er jüngst auf 75 Prozent reduzieren, seine Arbeit und Pausen muss er sich gut einteilen, denn regelmäßig um die Mittagszeit überfällt ihn die Fatigue, auch die Beine wollen ihn dann nicht mehr tragen. Morgens ist er gut in Form, beginnt deshalb schon um 6.30 Uhr zu arbeiten. Um 13.00 Uhr ist für ihn buchstäblich Feierabend und eine ausgiebige Pause notwendig. Danach regelt er seinen Haushalt, macht Besorgungen, Alltägliches eben. Wobei bei ihm alles auf die jeweilige Tagesform abgestimmt sein muss. „Hinkommen zum großen Supermarkt werde ich, aber komme ich auch zurück? Oder ist es besser, ich nehme den kleinen Discounter um die Ecke, wo die Strecken nicht so weit sind? Das sind Fragen, die ich mir immer stellen muss. Die MS schränkt meinen Aktionsradius zunehmend ein“, bekennt er.

Benni, wie seine Freunde ihn nennen, bekam die Diagnose MS 2013 nach einer Sehnerventzündung, Kribbeln und Taubheit in den Beinen. Aus dem ersten Schock löste er sich schnell: Die Kortison-Stoßtherapie schlug gut an, die Symptome waren rasch wieder verschwunden, sodass er sich zunächst keine Sorgen um die Zukunft machte.

Als Reaktion frönte er umso mehr seiner Reiselust, nach Fernreisen verlegte er sich später auf Städtetrips, solange er noch gut zu Fuß war, denn das Bild vom Rollstuhlfahrer hatte er bei aller Unbekümmertheit eben doch im Hinterkopf.

Seine MS verschlechterte sich fortlaufend. Seit 2018 hat er dem Reisen abgeschworen, denn weder die Anstrengung noch langes Sitzen tut ihm gut. Wegen des Rollstuhls im Gepäck und seiner unberechenbaren Fatigue-Attacken verzichtet er lieber ganz. Er ist froh, wenn er seinen Alltag zuhause schafft.

Der Seele etwas Gutes tun

Ein Lichtblick war für ihn die Geburt seines Sohnes 2016, er ist Vater mit Leib und Seele. Die Zeit, die er mit Erik verbringen kann, genießt er sehr, auch wenn er bedauert, nicht mit ihm zusammen Fußball spielen zu können. Aber als Mensch und Vater kann er da sein. Darauf kommt es an. Seine Ehe konnte der fortschreitenden Krankheit leider nicht standhalten.

Früher war der Konstanzer oft im Sportstudio, beim Fahrradfahren oder im Kino anzutreffen. Heute sind Streaming-Dienste seine Freunde, wie er sagt. Krimis, Thriller und Science-Fiction-Romane sind seine Leidenschaft, die er jetzt lieber per Hörbuch genießt, weil ihn das Lesen nach der Arbeit zu sehr anstrengt. Seine Lieblingsorte sind der eigene Garten, wo sich seine beiden Katzen zu ihm gesellen, oder das Seeufer. Am Wasser kann er am besten entspannen und die Seele baumeln lassen.

Hätte er die Diagnose nie bekommen, wäre er heute vielleicht immer noch glücklich verheiratet, hätte er vielleicht ein zweites Kind, würde oft im Bodensee schwimmen und viel reisen können. Aber Benjamin hadert nicht mit seinem Schicksal, von möglichen Depressionen ist er weit entfernt. Seine Krankheit hat er akzeptiert, eine Wahl bleibt ihm ohnehin nicht. Manchmal macht ihn das zwar wütend, aber Zukunftsängste sind ihm auch heute noch fremd. Getreu seinem Lebensmotto steckt er seine Energie lieber in das Finden von Lösungen als in das Suchen von Problemen. Eine für ihn plausible, gangbare Lösung ist die Stammzelltherapie.

Stammzellenpatient aus dem Bilderbuch

Benjamin erfüllt alle Kriterien für eine autologe hämatopoetische Stammzelltransplantation (aHSZT): Er ist jung, hat eine hochentzündliche Form der MS mit häufigen Schüben und schleichender Progression. Er verträgt auch hochwirksame Immunmodulatoren wie Dimethylfumarat und seit einiger Zeit Ocrelizumab ohne Probleme, allerdings brachten sie bisher keine spürbare Schubreduktion. In der Stammzelltherapie sieht der Pragmatiker zumindest eine Chance. Ein Stillstand der Krankheit wäre sein Wunsch an die Therapie. Wenn es zur Verbesserung einzelner Symptome kommen sollte, nimmt er das als Bonus gerne mit.

Wie er überhaupt auf diese doch extreme Therapieform kam? Ein Bekannter von ihm aus der AMSEL-Kontaktgruppe Konstanz, schwerstbetroffen, hatte per Crowdfunding eine Reise nach Mexiko finanziert, sich dort in einer Klinik behandeln lassen und war beeindruckt, wie die Stammzelltherapie seine schweren Symptome erleichtert hat. Eine andere Bekannte könne nach der Therapie auf den Rollator verzichten und längere Strecken ohne Hilfsmittel gehen.

Nach diesen positiven Beispielen aus seinem Umfeld sammelte das AMSEL-Mitglied in den letzten anderthalb Jahren Informationen im Internet, in themenbezogenen Foren, stellte sich an der Uniklinik Heidelberg vor, ließ sich dort ausführlich beraten. Die Intervention ist für Frühjahr 2024 geplant. Die Kosten werden von seiner privaten Krankenversicherung und der Beihilfe übernommen, aber daran hatten die Heidelberger Ärzte bei seiner Indikation auch wenig Zweifel.

Offen ist momentan noch, ob Benni in eine laufende Studie aufgenommen wird und ob die erste noch „milde“ Chemotherapie-Etappe in einer Konstanzer Klinik stattfinden kann oder er für drei Tage nach Heidelberg muss. Benni rechnet mit drei Wochen stationärem Klinikaufenthalt, in den ersten Tagen im Spezialzimmer unter Keimfreiheit, danach im Zweibettzimmer. Dass er auch nach dem Klinikaufenthalt Infektionsgefahren durch Menschenansammlungen meiden muss, ficht ihn nicht an. „Ich kann dann natürlich mit meinem Sohn erst mal nicht in den Europapark gehen, das ist klar“, so der Realist. „Aber wenn alles gut läuft, kann ich diesen Ausflug nach der Auszeit, die die Stammzelltherapie mir abverlangt, sogar noch mehr genießen“.

„Es ist die einzige Chance, die mir bleibt“, resümiert Benni. Die Risiken sind ihm bewusst, er steigert sich jedoch nicht in irgendwelche Krisenszenarien hinein – Drama liegt ihm fern. Er vertraut den Ärzten und der Wissenschaft. Bedenken oder gar Ängsten gibt er keinen Raum, sondern empfindet eher Vorfreude auf diese seine Chance.

[Anm.d.Red.: together und amsel.de werden über Bennis weiteren Weg berichten].

Quelle: together, 01.2024

Redaktion: AMSEL e.V., 27.05.2024