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"Alternative Therapien bei Menschen mit MS"

24.08.07 - Die Ergebnisse dieser Umfrage bei 1573 Mitgliedern der AMSEL wurden in Together-Ausgabe 03/07 veröffentlicht.

Hintergrund und Durchführung

Viele Menschen mit MS verwenden neben der konventionellen Medizin ("Schulmedizin") auch alternative Heilverfahren. Genaue Informationen darüber sind bisher nicht verfügbar. Zusammen mit Together-Ausgabe 01/07 haben wir im Februar 2007 Fragebögen an 5475 Mitglieder der AMSEL Baden-Württemberg, die von MS betroffen sind, versandt. In diesem Bogen stellten wir 53 Fragen zum Gebrauch alternativer und konventioneller Medizin, zum sozialen Status, dem Gesundheitszustand und der Lebensqualität.

Der Begriff alternative Therapie wird unterschiedlich verwendet. Wir definierten als alternative Therapie alle Methoden und Medikamente, die derzeit nicht offiziell von der MSTKG (Multiple Sklerose Therapie Konsensus Gruppe) empfohlen werden.
Der Fragebogen wurde vorher von 50 Patienten des Neurologischen Rehabilitationszentrums Quellenhof auf Fehler und Verständlichkeit überprüft. Bis zum 1. April erhielten wir 1573 ausgefüllte Fragebögen (29%). Die Auswertung erfolgte vollständig anonym. Sachkosten für Druck, Eingabe der Daten in eine Datenbank und Porto wurden von der Firma Merck-Serono übernommen, die aber keinen Einfluss auf die Durchführung und Auswertung der Studie hatte.

Wichtige Ergebnisse

Von den vielen Ergebnissen können wir hier nur einige interessante Punkte vorstellen. Die vollständigen Ergebnisse werden in einer Fachzeitschrift veröffentlicht.

Das Durchschnittsalter betrug 48 Jahre. 74% waren Frauen, 25% Männer. Die mittlere Erkrankungdauer betrug 18 Jahre. 43 % gaben an, eine schubförmige MS zu haben. 57% der Befragten berichteten einen mindestens "mässigen" Gesundheitszustand. 70% der Befragten gaben an, in der Vergangenheit oder aktuell alternative Therapien wegen der MS verwendet zu haben. Es werden viele unterschiedliche alternative Therapien verwendet (siehe Tabelle).

Am häufigsten werden Ernährungsumstellung (41%), Fischöl oder ω-3 Fettsäuren (37%), Entfernung von Amalgamfüllungen (28%), Vitamin E (28%), B (36%), C (28%), Homöopathie (26%), und Selen (24%) eingesetzt (siehe Tabelle). Die meisten Anwender erwarten von der alternativen Medizin keine Heilung, sondern eine Symptomverbesserung und Besserung des Allgemeinbefindens (Abbildung 1).

Die Mehrheit der Anwender (69%) ist mit den Ergebnissen der alternativen Medizin zufrieden (Abbildung 2). Im Vergleich zur konventionellen Medizin haben etwas mehr Befragte eine "positive" Einstellung zur alternativen Medizin (44% vs. 38%). Ungefähr 2/3 der Anwender (67%) geben weniger als 500 € pro Jahr für die alternative Medizin aus. Eine Minderheit (4%) gibt aber auch mehr als 2000 € pro Jahr aus. Vor allem Frauen, religiöse Menschen, und Menschen mit höherer Bildung und Berufstand wenden alternative Methoden häufiger an. Schwer beeinträchtigte Menschen verwenden alternative Methoden weniger häufig als vergleichsweise wenig betroffene Personen. Nebenwirkungen alternativer Medizin wurden im Vergleich zur konventionellen Medizin viel seltener berichtet (9% vs. 59%).

Allerdings berichten auch 53 Anwender alternativer Medizin "schwere" oder "sehr schwere" Nebenwirkungen. Gefragt wurde auch nach der Dauer des ärztlichen Aufklärungsgesprächs. 52% gaben an, dass das Aufklärungsgespräch nach Diagnosestellung über die Erkrankung weniger als 15 Minuten gedauert hatte. Bei 40% der Befragten dauerte auch das Aufklärungsgespräch vor Beginn der ersten Immuntherapie nicht länger als diese kurze Zeitspanne.

Kritikpunkte

Die Ergebnisse dieser Befragung können nicht auf alle Menschen mit MS übertragen werden. Vermutlich treten eher schwer betroffene Menschen einer Selbsthilfeorganisation wie der AMSEL bei. Die Menschen, die wenig oder gar nicht von der MS beeinträchtigt sind, sind daher wahrscheinlich weniger stark vertreten.

Wie bei allen Befragungen dieser Art haben nicht alle Befragten den Fragebogen zurückgeschickt. Daher ist es denkbar, dass vor allem diejenigen Befragten, die ein großes Interesse an alternativer Medizin oder an der Erkrankung allgemein haben, den Bogen ausgefüllt haben.

Diese Befragung wurde in Baden-Württemberg, einer vergleichsweise konservativen und wohlhabenden Region, durchgeführt. Es ist vorstellbar, dass in anderen Gebieten oder Ländern andere Ergebnisse entstanden wären.
Trotz dieser Einschränkungen ist diese Studie die grösste, die jemals in Europa zu diesem Thema durchgeführt wurde. Bisherige Untersuchungen waren viel kleiner und wurden überwiegend bei Patienten von Spezialambulanzen durchgeführt, was die Verallgemeinerung der Ergebnisse wahrscheinlich noch schwieriger macht.

Schlussfolgerungen für die Praxis

Die meisten Menschen mit MS verwenden alternative Therapien, deren Nutzen bisher noch nicht bewiesen ist. Die große Mehrzahl dieser Therapien ist ungefährlich und verhältnismässig preiswert. Allerdings werden von einer Minderheit der Befragten auch erwiesenermassen unwirksame (z.B. Bienengift, hyperbare Sauerstofftherapie), schmerzhafte und aufwändige (z.B. Entfernung von Amalgamplomben), gefährliche (z.B. Frischzellen, Schlangengift) oder teure Therapien verwendet, von denen aus wissenschaftlicher Sicht abgeraten werden muss. Ein besserer Kenntnisstand sowohl der Betroffenen als auch ihrer Ärzte über mögliche Vorteile, aber auch Risiken der diversen alternativen Therapien ist dringend erforderlich. Schwere Nebenwirkungen alternativer Therapien sind selten, kommen jedoch durchaus vor.

Bemerkenswert ist, dass die alternative Therapie von einem Großsteil der Befragten positiv bewertet wird, und dass die innere Einstellung der alternativen Therapie gegenüber sogar etwas besser als gegenüber der konventionellen Medizin ist.

Ein Grund könnte neben den im Vergleich zu der alternativen Medizin hohe Rate schwerer Nebenwirkungen der konventionellen Immuntherapien die erschreckend kurze Zeit sein, die sich viele Ärzte nehmen, um ihre Patienten über die Erkrankung und die wissenschaftlich belegten Therapien zu informieren.

Herzlichen Dank!
Wir bedanken uns bei allen 1573 AMSEL-Mitgliedern, die unseren Fragebogen beantwortet haben. Ohne Ihre Mitarbeit wäre diese Studie nicht zustande gekommen. Wir hoffen, dass Ihr Engagement dazu beiträgt, dass dieses wichtige Thema in der Zukunft mehr beachtet wird als bisher.

Prof. Dr. Stefan Schwarz (1,2) ,

Dipl.-Psych. Carolin Knorr (1),

Helmut Geiger (3),

PD Dr. Peter Flachenecker (4)

(1) Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Universität Heidelberg, J 5, 68159 Mannheim
(2) Neurologische Universitätsklinik, Klinikum Mannheim, Theodor Kutzer Ufer 1-3, 68167 Mannheim
(3) AMSEL Baden-Württemberg, Regerstraße 18, 70071 Stuttgart (4) Neurologisches Rehabilitationszentrum Quellenhof, Kuranlagenallee 2, 75323 Bad Wildbad

Redaktion: AMSEL e.V., 15.10.2007