Bei der anschließenden Mitgliederversammlung gab es neben Satzungsregularien ein Update zum aktuellen Stand der MS-Forschung, einen Rückblick auf das Geschäftsjahr 2023 und einen Ausblick auf 2025. Knapp 300 Teilnehmer in der Halle und 50 online zugeschaltet nutzten die Gelegenheit, sich zu informieren und Antworten auf ihre individuellen Fragen zu bekommen.
Zunehmendes Alter und MS
Laut Prof. Dr. med. Peter Flachenecker, Chefarzt am Neurologischen Rehabilitationszentrum Quellenhof in Bad Wildbad und Vorsitzender des Ärztlichen Beirats der AMSEL, unterliegt das Immunsystem ebenso wie der ganze Körper des Menschen Alterungsprozessen, man spricht von der Immunoseneszenz (= Funktionsabnahme des Immunsystems im Alter). Bei der Therapiewahl für ältere MS-Erkrankte sollte daher besonderes Augenmerk auf Wirksamkeit und Sicherheit gerichtet werden. Therapiestudien hätten eine altersabhängige Wirksamkeit gezeigt und ließen vermuten, dass Immuntherapien in höherem Alter wenig bis kaum noch Wirkung zeigten. Durch die abnehmende Effizienz des Immunsystems mit zunehmendem Alter steige aber das Sicherheitsrisiko für schwerwiegende Nebenwirkungen insbesondere bei hochwirksamen, den Krankheitsverlauf modifizierenden Therapien.
Eine sorgfältige Indikationsstellung unter Betrachtung von Komorbiditäten und insbesondere eine kritische Nutzen-Risiko-Analyse sei daher besonders bei älteren Patienten unerlässlich.
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Grad der Behinderung bei MS
Möglichkeiten und Stolpersteine bei der Beantragung eines GdB (Grad der Behinderung) zeigten Michael Hägle und Regina Huber vom Beratungsteam der AMSEL auf. Für die Beantragung eines GdB, der Menschen mit Behinderung durch Nachteilsausgleiche bei der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben unterstützen soll, gebe es keinen „richtigen“ Zeitpunkt. Überlegungen, welche Nachteilsausgleiche eine festgestellte Schwerbehinderung aktuell und zukünftig mit sich bringen könne, seien ein erster wichtiger Schritt.
Vorsicht geboten sei bei Änderungsanträgen, vor allem, wenn schon ein GdB über 50 festgestellt wurde, da sich die Begutachtungskriterien geändert haben könnten, so dass auch eine Herabstufung vorkommen könne.
Im Antrag für die Feststellung eines GdB sollten Funktionseinschränkungen, vor allem unsichtbare wie die Fatigue, realitätsnah und möglichst bildhaft beschrieben und mit einem neurologischen Gutachten und ggf. Reha-Bericht untermauert werden. Ihre Auswirkungen auf die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben seien der zentrale Punkt bei der Beurteilung. Das Beratungsteam der AMSEL ist jederzeit an der Seite der Betroffenen, um mögliche Stolpersteine frühzeitig aus dem Weg zu räumen.
Impfen bei MS
„Impfen gehört wie die Hygiene zu den zwei großen medizinischen Errungenschaften, die Krankheiten verhindern“, eröffnete Dr. Martin Rösener seinen Vortrag. Impfen aktiviere das Immunsystem. Aber kann es eine MS auslösen? Nicht, wenn es sich um eine Impfung mit Totimpfstoffen handelt, lautet die klare Antwort des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie in Stuttgart und Mitglied im Ärztlichen Beirat der AMSEL. Kann Impfen einen Schub auslösen? Wieder ein klares Nein, wenn es sich um Tot- oder mRNA-Impfstoffe handelt. Hier zeige die Studienlage eindeutig, dass solche Impfungen keine Schübe auslösen. Impfungen gegen das Corona-Virus oder FSME seien demnach auch bei MS unproblematisch.
Anders bei Lebendimpfstoffen. Hierfür gebe es keine ausreichende Untersuchungslage. Trotz aller Ungewissheit bezüglich Lebendimpfstoffen seien sie aber für manche Therapieformen erforderlich.
Unter einer Immuntherapie kann die Impfantwort abgeschwächt ausfallen und sollte ggf. durch Bestimmung des Antikörper-Titers überprüft werden.
Hilfsmittel bei MS
Erstattungsfähig oder nicht? Dieser Frage ging Lisa Schatz, Physiotherapeutin im Neurologischen Rehabilitationszentrum Quellenhof in Bad Wildbad, nach und verwies auf den Hilfsmittelkatalog des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenkassen, in dem erstattungsfähige Hilfsmittel gelistet sind. Entscheidend für die Kostenübernahme sei, dass die Hilfsmittel den Erfolg der Behandlung sichern, drohenden Behinderungen vorbeugen oder vorhandene Behinderungen ausgleichen. Aber auch nicht gelistete Hilfsmittel wie bspw. Kühlkleidung können bei entsprechender Begründung erstattet werden.
Die Referentin demonstrierte eine Auswahl an Hilfsmitteln für Fußheberschwäche und Gangunsicherheit. Bei der Wahl des passenden Rollstuhls seien Beratung und vor allem das Ausprobieren verschiedener Modelle wichtig. Die Möglichkeit dazu biete zum Beispiel das Rehazentrum Quellenhof mit seinem erfahrenen Team.
In der anschließenden Expertenrunde beantworteten die Referenten die Fragen der Teilnehmer und standen danach außerdem zu einem rege genutzten individuellen Austausch mit den Experten zur Verfügung.
Mitgliederversammlung: Meilensteine 2023 und Ausblick auf 2025
Am Nachmittag berichtete Adam Michel, Vorsitzender der AMSEL, über Meilensteine und überregionale Veranstaltungen des vergangenen Jahres. Dr. Michael Scholz, Schatzmeister der AMSEL, stellte den Haushaltsplan 2025 vor. In seinem Bericht zum aktuellen Stand der MS-Forschung berichtete Professor Flachenecker über die Relevanz von Lebensstilfaktoren, Neues zur Immuntherapie, Biomarker für MS und Cannabis. Abschließend dankte Adam Michel allen Teilnehmern, die trotz Uhthoff-Temperaturen den Weg in die Reithalle auf sich genommen und so zum Gelingen des Thementages beigetragen hatten.
Sie möchten den Thementag noch einmal verfolgen? Sie finden den Mitschnitt der einzelnen Kurzvorträge auf AMSELplus, dem Bereich exklusiv für Mitglieder der AMSEL.
AMSEL e.V. dankt der GKV-Gemeinschaftsförderung Baden-Württemberg für die freundliche Unterstützung bei der Durchführung des Thementags sowie der Mitgliederversammlung.
Redaktion: AMSEL e.V., 23.07.2024