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10 Eltern für ein Kind

In Baden-Württemberg möchten sich jährlich etwa 1000 Paare mit einer Adoption ihren Kinderwunsch erfüllen. Das Together-Portrait 03/11 stellt Friederike und Thomas vor, die es trotz Multipler Sklerose gewagt haben.

Alexander ist 1 ½ Jahre alt. Er ist ein lebenslustiger und entdeckungsfreudiger Junge. Mit seinen Eltern wohnt er in einem Haus in einer idyllischen Kleinstadt. Doch dass das so ist, ist nicht selbstverständlich. Noch vor vier Monaten war Alexander elternlos und lebte in einem über hunderte Kilometer entfernten Heim.

Zwischen Hoffnung und Enttäuschung

Friederike und Thomas kennen sich schon ihr halbes Leben lang und sind seit vielen Jahren glücklich verheiratet. Schon seit sie sich kennen, haben sie sich eine eigene Familie mit Kindern gewünscht. Doch eine Schwangerschaft auf natürlichem Wege wollte nicht so recht klappen und auch die Möglichkeiten der Reproduktions-Medizin blieben erfolglos. Jahre der Hoffnung und Enttäuschung vergingen. Jahre, in denen immer mal wieder das Thema Adoption aufkam. 2008 dann ein weiterer Schicksalsschlag für die selbstbewusste und sympathische Frau: Multiple Sklerose.

Friederike litt bereits während ihrer Ausbildung zur Krankenschwester oft unter Rückenschmerzen. Vor sechs Jahren tippte man dann auf einen Bandscheibenvorfall. Gerade als die ambitionierte Frau einen Arbeitsplatzwechsel anstrebte, hatte sie erneute Schmerzen und Ausfallerscheinungen. Es fühlte sich wieder so an, als wäre etwas verschoben und sie merkte ein Kribbeln in den Füßen. Noch heute hat sie darin eine Sensibilitätsstörung. "Wenn ich Socken und Schuhe anhabe, dann fühlt sich das nicht richtig an, eher so, als ob sie rutschen und nicht richtig sitzen. Daher laufe ich eben gerne barfuß".

 

"MS ist wie ein Garten. Ja, ich habe Einschränkungen mit meiner MS. In meinem Garten wachsen nicht mehr alle Blumen. Und da ist ein Zaun. Aber ich bestimme immer noch – ob ich meinen Garten beackere und was ich alles pflanze. Ob es dann wächst, weiß ich nicht, aber einen Versuch ist es wert."

 

Sie wurde zum Neurologen überwiesen. Auch das hatte sie noch nicht verdächtig gestimmt. Als dann die Überweisung in ein Krankenhaus kam mit einer Wartezeit von acht Wochen, machte sich Friederike erste Gedanken und setzte sich auch mit den Symptomen einer MS auseinander. Die Eröffnung der Diagnose war daher keine Überraschung mehr – wenn auch ein tränenreicher Schock.

Nicht nur für sie, auch für Freunde und Familienmitglieder. Ihre Eltern haben sich sogar lange schuldig gefühlt, ihr "das" mit auf den Weg gegeben zu haben. Ihre Schwiegereltern wussten lange Zeit nicht, wie sie ihre Anteilnahme ausdrücken und die MS thematisieren sollten. In ihrem beruflichen Umfeld ist die Erkrankung allerdings nach wie vor ein Geheimnis, ein innerer Konflikt, der sie sehr belastet.

Ein Herzenswunsch wird zur Bürokratie

Friederike befürchtete, dass die MS-Diagnose auch der Stolperstein auf dem Weg zur Adoption werden könnte. Eine berechtigte Befürchtung. Die Voraussetzungen, die Paare erfüllen müssen, um für eine Adoption in Frage zu kommen, sind komplex. Im Vordergrund steht zunächst die Überprüfung der Erziehungsfähigkeit der Adoptivbewerber durch Erstellung eines Sozialberichts. Daneben muss die finanzielle und soziale Absicherung gewährleistet sein. Es sollten auch keine psychischen oder physischen Einschränkungen vorhanden sein, die die Erziehungsfähigkeit und somit das Wohl des Kindes gefährden könnten. Nachdem das Paar mehrere Infoveranstaltungen besucht und sich bei verschiedenen Vereinen vorgestellt und informiert hatte, reifte nach und nach der Adoptions-Gedanke. Thomas war schließlich der erste, der sagte "Ja, ich will – wenn auch Du bereit bist."

Nach einem weiteren Jahr waren dann beide bereit und entschlossen dazu. Das Ehepaar hat sich für eine Auslandsadoption entschieden, um einem Kind aus dem Ausland die unwahrscheinliche Chance auf Eltern zu geben und um endlich Familie zu werden. Während es in Deutschland im Verhältnis etwa 10 mögliche Elternpaare für ein Adoptivkind gibt, ist die Situation im Ausland oft umgekehrt. Ob Deutschland oder Ausland, es sind Kinder, die mit einer Adoption eine Chance auf eine bessere Zukunft bekommen – eine Zukunft mit Perspektiven und mit Menschen, die ihnen Liebe und Geborgenheit schenken möchten. In Deutschland ist eine Wartezeit von fünf bis sieben Jahren bis zur Adoption nicht unüblich. Friederike weiß von einem befreundeten Paar, dass eine solche Wartezeit für die Paarbeziehung eine Strapaze sein kann, aber auch die Beziehung reifen lässt.

Friederike und Thomas haben sich schließlich an einen Verein gewandt, der als staatlich anerkannte Vermittlungsstelle mit bestimmten Ländern zusammenarbeitet. Für ihr Wunschkind hat allein das Eignungs- oder so genannte Anerkennungsverfahren einige Monate gedauert. Viele Gespräche mit Sozialarbeitern. Auch um sich der Tiefe der Entscheidung klar zu werden. Etliche Unterlagen für die Adoptionsvermittlungsstelle mussten zusammengestellt werden – von Geburtsurkunden, über Gesundheitszeugnisse, Polizeiliche Führungszeugnisse, Einkommensnachweise bis hin zu Referenzen. Ihre Angst, dass es aufgrund der MS scheitern könnte, weil einen Beteiligten der Mut verlassen könnte, war allgegenwärtig.

Die Ärzte als kritisches Gewissen

Friederike ist von Anfang an beim Adoptionsverfahren offen mit der MS-Erkrankung umgegangen. "Das Leben ist ein Risiko. Und das gehen wir alle ein! – Wer kann schon sagen, was morgen kommt. Mit und ohne MS. Ich bin mir meiner Krankheit bewusst und weiß, wie es kommen kann. Dennoch, man kann auch Kinder aus dem Rollstuhl erziehen." Sie sollte eine ärztliche Unbedenklichkeitsbescheinigung einreichen. Erst die Zweitmeinung eines erfahrenen Neurologen konnte ihr den erforderlichen positiven Verlauf bescheinigen.

Nachdem die deutsche Vermittlungsstelle das "Ja, ihr seid geeignet" erteilt hat, kam die Liste des ausländischen Jugendamtes. Weitere vier Wochen. Von Behörde zu Behörde. Dann der Termin zu zweit bei der Vermittlungsstelle. Aus den dort vorliegenden Unterlagen konnte die Mitarbeiterin bereits nach kurzer Wartezeit ein Kind zum Kennenlernen vorschlagen. Es folgten mehrere Reisen, um Alexander kennenzulernen, zum Gericht, um ihn abzuholen. "Innerhalb der ersten zwei Tage, die wir mit ihm dort verbracht haben – und entgegen aller rationell angefertigten Checklisten – haben wir uns direkt vor Ort für ihn entschieden. Es hat einfach gepasst."

"Wir lernen viel, alle miteinander"

Wenn früher das Paar den Tagesablauf und das Tempo bestimmt hat, so ist das heute Alexander. "Er war lange erwartet und heiß ersehnt. Auf einmal war alles anders und das ist gut so. Es fehlt nichts", so die stolze Mutter. "Ich bewundere Alexander, wie er in den letzten Wochen und Monaten mit der Situation umgegangen ist, mit der großen Veränderung, er hat sich die Situation immerhin nicht ausgesucht… Wir haben ihm so gesehen alles weggenommen was er bisher kannte, außer einer Jacke und einem Kuscheltier. Aber wir schenken ihm auch ganz viel. Ich bewundere, wie er dieses Geschenk, trotz seines Verlustes, so vertrauensvoll annehmen kann.

Am Abend fühlt sich Friederike, die nun Elternzeit hat, als wäre sie einen Marathon gelaufen. Aber sie ist glücklich. "MS ist nicht das Einzige im Leben, das mich einschränken kann. Vielleicht wäre ich gerne mal als Weltraumtourist zum Mond geflogen, hätte aber die Millionen dafür nicht. Es gibt so viele Parameter die das Glück festlegen, warum ich etwas machen kann oder nicht. Wohin die Reise geht, wer weiß das schon. Aber ich mache das Beste aus der Situation."

Anmerkung: Die Namen der Personen wurden von der Redaktion geändert.

Redaktion: AMSEL e.V., 17.08.2011