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In Hochform bei Eis und Schnee

Die dunkle Jahreszeit – für manch einen die Zeit des Rückzugs und der düsteren Gedanken, für manch anderen die Zeit für Gemütlichkeit, nostalgische Kindheitserinnerungen und gemütliche Familienfeiern. Für einige Menschen mit MS sogar die beste Jahreszeit überhaupt.

Für MS-Betroffene, die häufig unter dem sommerlichen Uhthoff-Syndrom leiden und ihre Krankheit dann besonders zu spüren bekommen, können herbst- und winterliche Temperaturen eine Erleichterung sein. „Winterkinder“ wie die MS-betroffene Daniela fühlen sich in ihrem Element.

Trommeln wie das Plüsch-Häschen aus der Werbung

Bei Schnee, Wind und Wetter läuft Daniela zur Hochform auf. Die 36-Jährige lebt in einer Gemeinde am südlichen Rand des Schwarzwalds, idealer Standort für ein „Winterkind“. Gerne vergleicht sie sich mit dem trommelnden Plüsch-Häschen aus einem Werbespot für Batterien: Ihre Energie ist schier unerschöpflich; in der Badewanne, beim Schlafen und Spazieren tankt sie ihre Batterien wieder auf. Der nahegelegene Wald lädt zum Spaziergang ein, und nach kurzer Fahrtstrecke ist sie am Schluchsee, den sie gerne zu Fuß umrundet. Etwas länger dauert es bis zum Feldberg, wenn ihr der Sinn nach tiefem Winter steht. Daniela arbeitet Vollzeit als technische Redakteurin bei einem Industrieunternehmen im Nachbarort.

Die gelernte Bürokauffrau und Industriemechanikerin schreibt dort Montage- und Serviceanleitungen für komplexe Rühr- und Mischsysteme. Eine interessante Tätigkeit, die sie ausfüllt. Nach einem Arbeitstag mit allerlei Herausforderungen und Termindruck ist sie meist sehr geschafft, geht früh zu Bett und das selten, ohne sich vorher ein entspannendes Schaumbad gegönnt zu haben. Ihr Badezimmer ist ihre persönliche Relax-Oase und Energiequelle, die sie oft bitter nötig hat, denn sie hat fast täglich mit Fatigue zu kämpfen, dem vorherrschenden Symptom ihrer MS.

Ziele sind das Wichtigste im Leben

Wichtig sind ihr Ziele im Leben, die sie konsequent verfolgt und bisher (fast) immer erreicht hat. Ihr großes Vorbild sind ihre Eltern, die schon in jungen Jahren ihre Lebensplanung in die Hand genommen, früh ihre zwei Töchter bekommen und ein Haus gekauft haben. Das Lebensmotto ihrer Eltern hat Daniela für sich übernommen: „einfach machen“.  Als Kind hatte sie keinen speziellen Traumberuf, wollte möglichst viel Geld verdienen, um damit ihre Ziele zu erreichen, wie sie schmunzelnd berichtet. Ein Ziel ist nach dem Vorbild ihrer Eltern ein eigenes Haus.

Als „sturer Stier“, wie sich die April-Geborene gern bezeichnet, arbeitet sie mit Ausdauer daran. Weiteres Ziel: Familiengründung. Große Ziele dauern manchmal eben etwas länger, räumt sie ein: Mr. Right ist ihr bisher noch nicht begegnet. Aber das sieht die Frohnatur gelassen, denn sie genießt ihr Leben auch als Single, bspw. das gemeinsame Schrauben an ihrem Oldtimer-BMW zusammen mit ihrem Vater oder spontane Kurztrips nach Italien mit ihrer Mutter. Zu ihren Eltern hat sie ein sehr freundschaftliches Verhältnis. Gern kümmert sie sich auch um die Kinder ihrer Schwester und um ihre Großeltern. Die Familie steht bei ihr an erster Stelle.

„Ich bin der Chef, nicht die MS!“

Im Dezember 2012 hatte die „Macherin“ erste MS-Symptome, ein Taubheitsgefühl in einer, dann in der anderen Gesichtshälfte. Instinktiv wandte sie sich an einen Neurologen. Die Diagnose stand nach MRT und Liquordiagnostik nach kurzer Zeit fest. Es folgten Sehnervenentzündungen links und rechts, insgesamt sechs Schübe im Jahr 2013. Zum Glück bildeten sich die Symptome immer wieder zurück, und eine Progression stellte sich bislang nicht ein.

Die Diagnose war natürlich ein Schock für die damals 28-Jährige, nahm ihre Familie allerdings fast mehr mit als sie selbst. In ihrer analytischen Art setzte sie sich schnell mit dem Thema auseinander, informierte sich im Internet, bei Fachvorträgen an der Uni Freiburg und Treffen der Jungen Initiative der AMSEL. Für Daniela war klar: „Ich bin der Chef, ich entscheide über mein Leben, nicht die MS. Ich gebe ihr Raum, lebe mit meiner MS, aber die MS lebt nicht mit mir, das lasse ich nicht zu.“

Auf die Basistherapie mit Interferonen folgte schnell die Eskalationstherapie mit drei verschiedenen Medikamenten. Die Schübe hörten auf, die Herdaktivität blieb, allerdings ohne spürbare Symptome. Vor sechs Jahren entschloss sich die passionierte Oldtimer-Fahrerin, auf Medikamente zu verzichten. „Im Grunde hatte ich mehr Angst vor den Nebenwirkungen als vor der MS selbst. Deshalb wollte ich es ohne versuchen und habe mich für eine Nahrungsergänzung mit Vitamin D, Mineralien und Spurenelementen entschieden. Die wirken bei mir wie ein Energie-Booster. Selbst wenn das nur ein Placebo-Effekt sein sollte, bin ich bisher sehr gut damit gefahren“.

Einzig die Fatigue macht Daniela zu schaffen, sie muss ihre Kräfte gut einteilen, damit sie ihren Vollzeitjob schafft. Gute Gleitzeitregelungen helfen dabei. Von der Option Homeoffice, wie in Coronazeiten vielfach üblich, will Daniela nichts wissen, sie will Job und Zuhause getrennt halten.

In ihrem Umfeld hat sich nach und nach eine Handvoll Personen als MS-betroffen geoutet, mit ihnen pflegt sie einen regen Erfahrungsaustausch. Sie findet es interessant, wie andere mit der Krankheit umgehen, welche Wege sie gehen und stellt ihren eigenen Weg im Vergleich immer wieder auf den Prüfstand. Dabei wird die MS niemals zum abendfüllenden Programm. Daniela und ihrem „kleinen Clan“, wie sie es nennt, ist es wichtig, auch anderen aktuellen Themen Raum zu geben.

„Der nächste Winter kommt bestimmt.“

Im Sommer kann Daniela es kaum erwarten. Die Hitze setzt ihr zu, beeinträchtigt ihre Konzentrations- und besonders ihre Sehfähigkeit, Uhthoff lässt grüßen. Vom Schwitzen, gar nicht zu reden. Klimaanlagen in der Firma und ihre Kühlweste entlasten zwar etwas, aber Daniela mag das Gefühl der Trägheit und Immobilität nicht. Ganz anders im Winter: da fühlt sie sich fit, agil und viel produktiver.

Daniela ist zwar kein großer Sportfan, aber liebt die Bewegung an der frischen Luft, besonders im Winter. Schneeflocken sammeln mit der Zunge war in ihrer Kindheit ein beliebtes Spiel und versetzt sie noch heute gedanklich zurück in unbeschwerte Kindertage. Gleiches gilt für Schlittenfahren, Iglu- und Schanzen bauen für den Bob. Schneeschuhwandern will Daniela diese Saison ausprobieren, denn hier kann sie sich die Ausrüstung leihen und einfach drauf losmarschieren. Sie liebt Sportarten, die sie sich ohne großen Aufwand selbst beibringen kann.

„Der Alltag macht Pause“

Weihnachten ist Danielas persönlicher Höhepunkt des Jahres, denn da macht der Alltag Pause. Die lebensfrohe junge Frau liebt die Vorfreude auf das Fest, die Geschenke – obwohl mitunter mit Shopping-Stress verbunden – und die Feiertage, die sie mit der Familie verbringt. Mit ihrer Mutter freut sie sich an der Weihnachtsbäckerei, obwohl sie selbst auf Plätzchen gut verzichten könnte – solange nur genügend Schokolade im Haus ist.

Wenn Daniela nach einem Winterspaziergang zu Hause ihren Schwedenofen anheizt, Tee kocht und sich bei Kerzenschein und wohligen Düften zusammen mit Kater Spike in ihre Decke kuschelt, kommt sie bei sich an und ist glücklich im Hier und Jetzt. Und: Ein guter Tee mit Zimtaroma schmeckt den ganzen Winter über. Hauptsache, draußen ist es ordentlich kalt.

Quelle: together, 04.21

Redaktion: AMSEL e.V., 27.12.2022