Quelle: Uli Benz / TMU
Prototyp eines Treppenrollstuhles, entwickelt von Münchener Ingenieuren.
Ein Rollstuhl bringt jede Menge Mobilität. Auch viele Menschen mit Multipler Sklerose schätzen den Rollstuhl als Hilfe im Alltag. Treppen sind allerdings oft ein unüberwindbares Hindernis. Bei aller Mobilität sind Rollstuhlfahrer daher sehr eingeschränkt und unselbständig, sobald Treppen mit im Spiel sind: am Arbeitsplatz, beim Freunde besuchen, einkaufen oder auf Reisen.
Geräte wie zum Beispiel das Scala-Mobil lassen zwar Treppen überwinden, doch braucht es zu ihrer Bedienung einen weiteren Menschen, der die Rollisteighilfe - eine Art Sackkarre mit Steigfunktion - mit dem Rollstuhl darauf führt. Außerdem benötigen diese Treppensteighilfen recht viel Platz. Für enge Treppenhäuser sind sie daher nicht geeignet.
Forscher der Technischen Universität München haben darum einen Treppenrollstuhl entwickelt, der Treppen hinauf- und hinuntergehen kann und zugleich sehr schmal ist, weil er nur eine Achse hat. Dies lässt Drehungen um die Achse und Bewegungen nach vorne wie nach hinten fast zeitgleich zu. Das Gefährt arbeitet nach dem Prinzip des inversen Pendels. "Jede kleine Lageveränderung wird erkannt und vom Antrieb sofort kompensiert," sagt Prof. Bernhard Wolf vom Heinz Nixdorf Lehrstuhl der Technischen Universität München. Das Projekt entstand in Kooperation mit dem CoKeTT Zentrum der Hochschule Kempten und dem Lehrstuhl für Ergonomie an der TUM.
Ein Konzept mit Raupen oder Gleitrollen kam nicht infrage, da diese Rollstühle geführt werden müssen und außerdem einen großen Wendekreis haben. Sein Team entschied sich für ein bionisches Konzept. Der Rollstuhl hat zwei "Beine". Diese setzen sich ähnlich wie das menschliche Bein aus Ober und Unterschenkel zusammen.
Per Ultraschall-Sensorik erkennt der Rollstuhl die Treppe, fährt rückwärts darauf zu, bis beide Räder die unterste Stufe berühren. Dann fahren die Füße aus und die Beine heben den Rollstuhl mittels Elektromotoren auf die nächste Stufe. Ein eingebautes Kamerasystem passt auf, wo exakt sich der Rollstuhl befindet.
Der Prototyp zeigte bereits, dass das Treppensteigen mit diesem Rollstuhl funktioniert - mit Ausnahme von Wendeltreppen -, doch die Wissenschaftler haben noch weitere Ziele. So könnte dieser Rollstuhl als Autositz verwendet werden. Das spart das Zusammenklappen und Verstauen des Rollstuhls.
Die Forscher um Wolf sind noch auf der Suche nach möglichen Industriepartnern. Ein solcher bionischer Rollstuhl wäre vermutlich teurer als ein Standard-Rollstuhl, doch die Nachfrage wäre sicher hoch, würde er doch den Bewegungsfreiraum von Rollstuhlfahrern erheblich erweitern, sie selbständiger machen und damit die Lebensqualität zum Beispiel von Patienten mit Multipler Sklerose entsprechend steigern.
Quelle: Pressemitteilung der Technischen Universität München, 30.11.2016
Redaktion: AMSEL e.V., 12.12.2016