Fallbeispiel: Frau H., 36 Jahre alt, bisher beruflich gut zurechtgekommen, ist verheiratet und Mutter von einem 4 Jahre alten Kind. Bis auf zwei Jahre Kindererziehungszeit war sie ununterbrochen berufstätig.
→ Die Deutsche Rentenversicherung schreibt bis zu drei Jahre für die Erziehung eines Kindes als Pflichtbeitragszeit gut. Wichtig ist, dass die Kindererziehungszeiten selbst beantragt werden müssen, da die Zeiten sonst nicht zur Rente zählen. Zusätzlich werden maximal 10 Jahre Kinderberücksichtigungszeiten angerechnet. Diese Zeiten können im Zusammenhang mit einer Erwerbsminderungsrente relevant werden. Bereits erfüllte Warte- und Vorversicherungszeiten für eine Erwerbsminderungsrente gehen in dieser Zeit nicht verloren. Mehr zum Thema Erwerbsminderungsrente untenstehend und/ oder im dritten Teil der Serie, in einer der folgenden Ausgaben von together.
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Frau H., nun 42 Jahre alt, hatte ihre Arbeitszeit auf 80 % reduziert, um mehr Zeit für die Familie zu haben. Gesundheitlich ging es ihr seit einigen Monaten schlechter. Kollegen sprachen sie vermehrt darauf an, dass ihre Konzentration nachlasse, ihr Fehler unterlaufen. Zudem zog sie sichtlich ihr Bein nach. Eine Vertrauensperson im Betrieb wusste inzwischen über ihre MS Bescheid, sonst aber niemand. Eine Reha hatte Frau H. bisher immer abgelehnt, da sie für sich keine Notwendigkeit sah. Diese möchte sie nun zeitnah angehen.
→ Liegen berufliche Leistungseinschränkungen durch die MS vor, sollte eine medizinische Rehabilitation in Erwägung gezogen werden. Die medizinische Rehabilitation ist ein wichtiger Baustein, um gesundheitliche Einschränkungen zu verbessern, aber auch um das eigene berufliche Leistungsvermögen einschätzen zu können, weitere berufliche Entscheidungen zu treffen und Überforderungen zu vermeiden.
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Die medizinische Reha von Frau H. wurde zeitnah beantragt und bewilligt. Ihren Arbeitgeber hatte sie über die Bewilligung der Reha informiert.
→ Ein Arbeitnehmer ist verpflichtet, dem Arbeitgeber den Zeitpunkt des Antritts der medizinischen Rehabilitation, ihre voraussichtliche Dauer und eine etwaige Verlängerung unverzüglich mitzuteilen und ihm eine Bescheinigung über die Bewilligung unverzüglich vorzulegen. Die MS-Erkrankung als Grund für die Reha muss nicht mitgeteilt werden, hierzu gibt es keine Verpflichtung.
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Während der Rehabilitationsmaßnahme konnte der Vater das gemeinsame, schulpflichtige Kind versorgen.
→ Für die Dauer der Rehabilitation ist es unter bestimmten Voraussetzungen möglich, eine Haushaltshilfe zu beantragen. Auch besteht die Möglichkeit einer ambulanten Reha oder eine Reha, bei der Kinder mitbetreut werden. Mehr dazu erfahren Sie in einer der folgenden Ausgaben von together.
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Fragen?
Das AMSEL-Beratungsteam hilft gerne weiter: 0711 69786-0, beratungsteamamselde
Die Überprüfung der beruflichen Leistungsfähigkeit in der Reha ergab, dass Frau H. aus Sicht der Klinik nicht mehr voll erwerbsfähig ist. Ihr Leistungsvermögen wird auf 3 bis unter 6 Stunden tägliche Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eingestuft. Frau H. wurde arbeitsunfähig aus der Reha entlassen, da sie ihre Arbeit nicht mehr im bisherigen Umfang von ca. 7 Stunden täglich ausüben könne. Ihre bisherigen Tätigkeiten könne sie in reduzierter Form weiter ausführen, eine Teilerwerbsminderung zu beantragen, sei aber zu empfehlen. Im Rahmen der Reha wurde mit Frau H. auch ein Antrag auf Schwerbehinderung besprochen und auf den Weg gebracht.
→ Mehr zum Thema Schwerbehinderung finden Sie in Teil 1 der Serie aus together 02.23 oder im Artikel „Antrag auf Schwerbehinderung – aber richtig“ aus together 03.21, für Mitglieder auch exklusiv verfügbar unter www.amsel.de/plus.
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Um das Gespräch mit dem Arbeitgeber über die künftige Arbeitsplatzanpassung vorzubereiten, suchte Frau H. den Kontakt mit der Schwerbehindertenvertretung.
→ Eine Schwerbehindertenvertretung vertritt die Interessen schwerbehinderter Menschen im Betrieb und fördert darüber hinaus die Eingliederung schwerbehinderter Menschen in den Betrieb. Die Schwerbehindertenvertretung kann schon kontaktiert werden, wenn ein Antrag auf Schwerbehinderung gestellt wurde.
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Die Schwerbehindertenvertretung begleitete Frau H. beim Gespräch mit dem Vorgesetzten und der Personalabteilung. Ihr Arbeitgeber reagierte anfänglich mit Skepsis, aber gemeinsam fanden sie eine gute Lösung. Frau H. bekam einen Kollegen zur Seite gestellt, der mit ihr künftig als Tandem die Filiale leitet. Die Teilerwerbsminderungsrente wurde von der Deutschen Rentenversicherung bewilligt und Frau H. nahm ihre Tätigkeit in angepasster Form wieder auf.
→ Es ist wichtig, dass vor einer Arbeitszeitreduzierung aus gesundheitlichen Gründen möglichst eine Überprüfung der beruflichen Leistungsfähigkeit im Rahmen einer medizinischen Reha stattfindet. Eine Reduzierung der Arbeitszeit ohne Teilerwerbsminderungsrente verringert in größerem Maß die Sozialversicherungsbeiträge, bspw. in die Rentenversicherung, und verringert somit auch die Höhe späterer Leistungen.
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Bitte beachten: Vor Beginn der Reha sollte geprüft werden, ob die Vorversicherungszeiten für eine Erwerbsminderungsrente erfüllt sind: Ein Antrag auf Erwerbsminderungsrente hat nur Aussicht auf Erfolg, wenn die sogenannte allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt ist und in den zurückliegenden fünf Jahren vor Antragstellung mindestens drei Jahre Pflichtbeiträge an die Rentenversicherung gezahlt worden sind. In der Beratung kommt es immer wieder vor, dass diese Voraussetzungen bei Ratsuchenden nicht erfüllt sind. Wenn im Rahmen einer medizinischen Reha eine berufliche Leistungsminderung festgestellt wurde, ist sonst trotz dieser Feststellung keine Erwerbsminderungsrente möglich.
Redaktion: AMSEL e.V., 08.01.2024