Es war einmal oder oft da hatte jenes höhere Wesen, das so viele verehren, die Idee zu einem Experiment: Schon viele Universen waren so entstanden, wie Raumschiffe schwebten sie durch das Weltall, die eine oder andere Galaxie, ständig neu solche Ideen oder Versuche.

Zumeist gab es eindeutige Abfolgen, Wege, Pläne. Die Planeten zogen ihre Bahnen um die jeweiligen Sterne, jede Pflanze kannte ihren Weg vom Samen bis zur Reife, selten ein Insekt, das nicht mit klarem Ziel oder Auftrag durch die eigene Welt lief oder schwebte.

Was aber würde geschehen, wenn zum Beispiel ein Mensch ganz ohne Plan oder Möglichkeiten in einem Bett, einer „Matratzengruft“ gefangen wäre? Wie würde es einer Gemeinschaft ergehen, wenn ihr bisheriges Oberhaupt, Ratgeber oder „Meister“ nach und nach die eigene Orientierung verlieren würde, zunehmend hilflos, offensichtlich selbst verirrt mit Reden, Texten, Fragen um sich werfen würde, wie Kinder Schneebälle an einem ersten Wintertag.

Gänzlich von entsprechendem Halt, einer sinnvoll oder notwendig erscheinenden Beschäftigung befreit bzw davon beraubt - jenes höhere Wesen ertrug diesen Zustand bislang gerade nicht, gerade deswegen nur gab es wohl vielleicht ja solche Experimente, Versuche, und vielleicht nun auch diese Geschichte deren Ende -sofern überhaupt- erst noch erzählt werden wird.

s.

“Gänzlich von entsprechendem Halt […] befreit […] vielleicht […] auch diese Geschichte deren Ende […] erst noch erzählt werden wird.”

“Dada ist Anfang und Ende, fängt mit dem Ende an, läßt alsdann den Anfang folgen und schließt nicht mit dem dicken Mittelteil.”

http://www.physiologus.de/d/dada_def.htm

Das ist eine sehr umsichtige Antwort, vielen Dank dafür! Dada, darauf wäre ich selbst gerade gar nicht gekommen.

Sind wir tatsächlich weiter als Heines Matratzengruft?

http://www.aphilia.de/literatur-heinrich-heine-04-matratzengruft.html

Jener Verstörung, wenn Vorhaben scheitern, Fähigkeiten oder andere vermeintliche Sicherheiten sich auflösen.

Dada, der Sisyphos von Camus mit einzig seinem Stein und keinen weiteren Sorgen.

Das ist eine sehr umsichtige Antwort, vielen Dank dafür! Dada, darauf wäre ich selbst gerade gar nicht gekommen.

Sind wir tatsächlich weiter als Heines Matratzengruft?

http://www.aphilia.de/literatur-heinrich-heine-04-matratzengruft.html

Jener Verstörung, wenn Vorhaben scheitern, Fähigkeiten oder andere vermeintliche Sicherheiten sich auflösen.

Dada, der Sisyphos von Camus mit einzig seinem Stein und keinen weiteren Sorgen.

“Zumeist gab es eindeutige Abfolgen, Wege, Pläne. Die Planeten zogen ihre Bahnen um die jeweiligen Sterne, jede Pflanze kannte ihren Weg vom Samen bis zur Reife, selten ein Insekt, das nicht mit klarem Ziel oder Auftrag durch die eigene Welt lief oder schwebte.”

Es mag schon sein, dass Planeten einerseits feste Bahnen ziehen, aber andererseits sie treten doch auch immer in neue, überraschende Konstellationen ein, andere Konjunktionen. Und es sind noch längst nicht alle Planeten, Konstellationen, Konjunktionen bekannt.

So auch bei Heines Lyrik aus der Matratzengruft, “Wo wird einst des Wandermüden” könnte man so lesen, dass er da die Grundkoordinaten seines Werks angibt, die er immer wieder neu konstelliert - oder Ortschaften, die er durchwandert:

  • das heidnische Griechenland sowie das “süße, sonnige” Morgenland (Palmen im Süden),
  • Düsseldorf, seine Heimatstadt (Linden am Rhein)
  • die Wüste (das Exil, auch das jüdische) und
  • Helgoland sowie die Nordseeküste, das steht meist für preußische Rückständigkeit, russische Knute und Hegel, die damals modernste Philosophie, das ist an sich schon eine spannende Konstellation (Küste eines Meeres in dem Sand)

Das sind die “Planeten”, die immer wieder neu und überraschend konstelliert werden und immer wieder neue Geschichten erzählen, sei es auch nur, weil man plötzlich ein Detail entdeckt, das vorher unbeachtet geblieben ist.

So auch bei DaDa, nehme ich an.

Die Lyrik der Matrazengruft ist überwältigend. Mir fällt als Erstes immer ein “Wie langsam kriechet sie dahin”

"Wie langsam kriechet sie dahin,
Die Zeit, die schauderhafte Schnecke!
Ich aber, ganz bewegunglos
Blieb ich hier auf demselben Flecke.

In meine dunkle Zelle dringt
Kein Sonnenstrahl, kein Hoffnungsschimmer;
Ich weiß, nur mit der Kirchhofsgruft
Vertausch’ ich dies fatale Zimmer.

Vielleicht bin ich gestorben längst;
Es sind vielleicht nur Spukgestalten
Die Phantasieen, die des Nachts
Im Hirn den bunten Umzug halten.

Es mögen wohl Gespenster sein,
Altheidnisch göttlichen Gelichters;
Sie wählen gern zum Tummelplatz
Den Schädel eines todten Dichters. –

Die schaurig süßen Orgia,
Das nächtlich tolle Geistertreiben,
Sucht des Poeten Leichenhand
Manchmal am Morgen aufzuschreiben."

https://de.wikisource.org/wiki/Wie_langsam_kriechet_sie_dahin

Was für ein großartiges, bewegendes Gedicht!

Und ich finde doch, irgendwo zwischen den Zeilen, da bleibt Hoffnung versteckt. Zumindest wird weiter aufgeschrieben, es werden weitere Geschichten erzählt.

Noch geht es also weiter, die Aussichten, sie versprechen nichts Gutes, alleine daran zu denken, in diesem Fall, in solch einer Situation - vielleicht wäre es besser, darauf zu verzichten.

Direkt sich mit jenen Geistern auseinanderzusetzen, die sich jetzt zeigen.

Hätte ja nicht gedacht, dass ich das mal schreibe:

Die Beiträge von Stefan und Karo finde ich inzwischen “bereichernd” für dieses Forum!

In diesem Sinne:

go on!

:slight_smile:

Ich schließe mich an! Ist hier doch eben ein Hauch von Niveau zu spüren … mehr davon!

“Was aber würde geschehen, wenn zum Beispiel ein Mensch ganz ohne Plan oder Möglichkeiten in einem Bett, einer ‘Matratzengruft’ gefangen wäre? Wie würde es einer Gemeinschaft ergehen, wenn ihr bisheriges Oberhaupt, Ratgeber oder ‘Meister’ nach und nach die eigene Orientierung verlieren würde, zunehmend hilflos, offensichtlich selbst verirrt mit Reden, Texten, Fragen um sich werfen würde, wie Kinder Schneebälle an einem ersten Wintertag.”

Ich denke, in der Literatur gibt es viele Schreibszenen, wie du sie hier in deinem Beitrag mit dem Stichwort “Matratzengruft” entwirfst und wie Heine es in “Wie langsam kriechet sie dahin” versucht.

Der Plan oder die Ordnung muss dem Autor (m/w/d) vielleicht nicht mal im Vorhinein bewusst sein, das ergibt sich beim Schreiben. Und wenn der Plan vorher bewusst war, verändert er sich immer während des Schreibens, sonst ist es kein Plan, sondern ein Dogma, so was kann man nicht schreiben und noch weniger lesen.

Ich denke, auch die Schneeballschlacht der Kinder am ersten Wintertag folgt einer Ordnung, auch wenn sie den Kindern nicht bewusst ist.

Als Genre, dem eine verwandte Schreibszene wie in der Matratzengruft zugrunde liegen könnte, fällt mir die weite Welt der Kerkerliteratur ein, Gefängnisliteratur. Der Kerker ist ein Universum für sich, das zugehörige Literaturgenre auch. Gibt’s quer durch alle Jahrhunderte, den Anfang macht vielleicht Francois Villon?

Jüngst erschienen ist Olivier Rolin: Der Meteorologe, das habe ich gerade gelesen und würde es auch dazurechnen, spielt im sowjetischen Gulag.

Oder Christophe Boltanski: Das Versteck, ein viel versprechender Ansatz, ein Debütroman, der zur Zeit der deutschen Besatzung in Paris in einer Wohnung in der Rue de Grenelle spielt, wo der Großvater des Autors sich 20 Monate lang versteckt hielt und ein eigenes Universum von Beziehungen aufbaut, das nun schreibend re- und dekonstruiert wird.

Ich habe es noch nicht gelesen (kommt bald), könnte mir aber auch vorstellen, dass der “Ausblick” nach Draußen, also in die Welt vor der verschlossenen Wohnungstür, eine entscheidende Rolle spielt beim Aufbau des Universums in dieser Kapsel, die die Wohnung ist.

Auch in Rudolf Leonhards großen Traumbuch “In derselben Nacht”, das zur Zeit der Internierung des Autors im Lager Le Vernet spielt, geht es um das politisch bedingte Versteck, das den Blick nach innen zwingt und dort, im Innern, Traumgestalten und -welten entdeckt, die er umfangreich und geradezu obessiv aufzuzeichnen versucht.

Leonhard ist ein aktiver Träumer, er träumt oft mehrmals pro Nacht, daher der Titel “In derselben Nacht”; er konstelliert die Träume mit Wacherlebnissen, Erinnerungen etc. pp.

Auch in Heines “Wie langsam kriechet sie dahin” richtet sich der Blick nach Innen, in das Hirn des Dichters, nicht mehr ins Draußen vor der Wohnung. In einem anderen Heine-Text aus dem Spätwerk ist das allerdings anders, dort beschreibt er das übergroße Glück, das er erlebt, als er aus dem Bett in einen Sessel ans Fenster transferiert wird, nach draußen schauen kann und dort einen Bäckersjungen sieht, der fröhlich pfeifend durch die Straßen eilt. Der Erzähler weint vor Glück, so etwas noch einmal sehen zu dürfen.

Das “Fenster” spielt in dieser Literatur eine große Rolle, so auch bei E.T.A. Hoffmann: “Des Vetters Eckfenster”, da geht es um den kranken Vetter, der seine Berliner Wohnung nicht mehr verlassen kann und im Dialog mit seinem Besucher die urbane Szene beschreibt und kommentiert, die sich vor seinen Augen unten auf dem Marktplatz abspielt.

Fenster gewähren nicht nur den Blick von drinnen nach draußen, auch umgekehrt, man kann auch reingucken. Und auch Augen gelten als Fenster - Fenster zur Seele (zB die kalten Augen der Automaten-Puppe Olimpia in Hoffmanns Erzählung “Der Sandmann”, die sind ja ganz anders als Lottes Augen in Goethes “Werther”).

Den Bogen von Francois Villon ins 20. Jahrhundert spannt der deutsche Expressionist Paul Zech, der Nachdichtungen geschrieben haben, lese ich gerade bei Wikipedia, auch eine interessante Konstellation:

“Zu einer Art deutschem Villon wurde der expressionistische Lyriker, Erzähler und Dramatiker Paul Zech. Dieser veröffentlichte 1931 eine äußerst freie Nachdichtung, die auf den bereits vorhandenen deutschen Villon-Versionen beruhte.” https://de.wikipedia.org/wiki/François_Villon

Das ist so ein spielerischer Versuch, Konstellationen zu entwerfen, meist entschwinden sie ja gleich wieder, das haben sie so an sich wie das Hier und Jetzt. Gut so, sonst könnten ja keine neuen auftauchen.

(Jean Genets Kerkererzählungen fand ich immer furchtbar.)

Was für ein wundervoll weiter Bogen durch Vielfältige Epochen, Literaturbereiche.
Kerker- oder Gefängnis-Literatur Mir fällt da erst mal Marquise de Sade ein, aber das ist ein anderes Genre, Foucault mit Überwachen und Strafen, auch was ganz anderes. In meinem Bücherregal steht auch noch ein Buch, wo der Autor beschreibt, wie ihm eine Krankheit vielfältige Teile seines Lebens genommen hat glaube ich, ich kann gerade nicht nachsehen.

Ausgeliefert sein und gefangen, das Universum hält da gerade ein ganz spezielles Experiment für mich bereit:

auch wenn ich sonst schon nicht mehr besonders mobil bin, gestern wurde es zunehmend schlechter, ich habe mich hingelegt, irgendwann wurde klar, es zieht Fieber auf, diverse Symptome verstärken sich deutlich, zunehmende Lähmungserscheinungen, ich sehe immer schlechter, es schien vernünftig, erst den Bereitschaftsarzt anzurufen nach telefonischer Absprache mit ihm die 112, um mich ins Krankenhaus einweisen also hintragen zu lassen.

Da war ich nun also plötzlich mitten drin in meinem ganz eigenen Gefängnis, ausgeliefert, unfähig auch nur die Mineralwasserflasche zu öffnen meinen Fuß anzuheben, so lag ich da, in einem Bett in der überfüllten Notaufnahme und in Gedanken auch immer mal wieder hier bei deinem Text, anderen Beschreibungen, Erzählungen. Das Fieber stieg trotz Fiebersenker erst mal weiter, ich war sicher, andere Menschen, sie hatten schon viel schlimmere Situation ertragen und ganz grundsätzlich war ich nicht alle nicht alleine und es wurden diverse Parameter abgeklärt.

Ansichten, Wertigkeiten, alles gerät ins Wanken, verschiebt sich. Ich hatte keine Vorstellung mehr davon, es könnte auch wieder anders sein.

Und doch gab es nichts zu tun als zu liegen, die Situation auf mich wirken zu lassen, meine Traurigkeit, meine Ängste zuzulassen.

Eine Nacht ohne klare Perspektive, die Hoffnung und Verzweiflung irgendwo versteckt, ganz bestimmt gibt es vielfach eloquentere Beschreibungen - ich bin weiter platt, das nächste Fieber scheint im Anzug.

So schreibe ich noch… ich kann nicht anders?!

https://genius.com/amp/Seigmen-performance-alpha-lyrics

… dann verstehst du vielleicht jetzt wie es ist. Blind, bewegungslos und nicht bei klarem Verstand. Die Rückkehr danach ist surreal.

Man gehört dann nicht mehr zu dieser Welt. Ist ein Präsident Trump real, oder der Fieberwahn eines kranken Körpers?

“Und doch gab es nichts zu tun als zu liegen, die Situation auf mich wirken zu lassen, meine Traurigkeit, meine Ängste zuzulassen.”

Geschichte mit offenem Ende:

“Vielleicht existiert in einem geheimen Raum des Weltalls eine Galerie oder Bibliothek, in der alle im Traum gemalten Bilder gesammelt werden könnten, und alle im Traum geschriebenen Gedichte und Erzählungen. Vielleicht gibt es eine unscheinbare Wohltäterin, welche die im Traum geschaffenen, aber nicht verwirklichte Werke der Pechvögel, Verrückten, Verwirrten, früh Verstorbenen und Selbstmörder sammelt? Vielleicht gehen all diese nebligen Werke, die ihre Schöpfer dem Wahnsinn, Tod, Elend und anderem Unglück in ihren Träumen entrissen haben, in ihre Hand über. […] Die Menschen und Tiere auf den Bildern ändern ihre Positionen und den Gesichtsausdruck, weil ihre Schöpfer sich nicht für ihren endgültigen Stand und endgültiges Aussehen entschieden haben. Sie sahen diese Figuren jedes Mal anders. / Ähnlich verhält es sich mit der Bibliothek - ein Werk hat dort oft mehrere Anfänge oder Enden […]”

Naria Gelaschwili: Ich fahre nach Madrid. Novelle. Berlin: Verbrecher 2018. S. 65 f.

Liebe Karo,

das ist ein sehr hierzu passendes, um Trost oder Hoffnung bemühtes? Bild.

Vielleicht, ja vielleicht gibt es jene Bibliothek, vielleicht irgendwo in einem Universum, vielleicht aber auch gibt es ganz viele solcher Bibliotheken, vielleicht gibt es gerade solch einen Möglichkeitsraum im Prinzip in uns allen.