@Barocke
Ja.
Abschließend ein paar Gedanken bzw. Stichworte:
Diese Debatte um krankmachende Lebensstil-Faktoren sehe ich als Teil eines umfassenden gesundheitspolitischen und sozialsanitären Konzepts, in deren Mittelpunkt eine “Gesundheitspflicht” steht (und in Zeiten der Privatisierung sozialer Risiken natürlich auch ein Nutzenkalkül).
Wer krank wird und nicht nachweisen kann, seiner Gesundheitspflicht genügt zu haben, hat sich schuldig gemacht und verliert daher das Anrecht auf Schutz, Mitgefühl und Verständnis, das unseren Umgang mit Krankheit und kranken Menschen seit Jahrtausenden prägt.
Die Schuldfrage ist in diesem Konzept sehr wichtig, genau wie die ständige Selbstbeobachtung, Selbstdisziplinierung, das permanente Sich-selbst-unter-Verdacht-stellen, die unablässige Kontrolle - neudeutsch: Check - irgendwelcher “Werte” (Blut, Vitalzeichen, Gewicht, Vitaminspiegel etc. pp.) und was es sonst noch alles so gibt.
Die Beweislast liegt beim Individuum, das heißt, die erkrankte Person muss belegen, dass sie sich regelkonform verhalten hat. Auch das ist ein Bruch mit dem bisherigen Konsens (Krankheit als Schicksal etc.).
Es gibt verschiedene Institutionen, die für die Überwachung regelkonformen, präventiven Gesundheitsverhaltens zuständig sind. Neben einer verinnerlichten “öffentlichen Meinung” und anderer Kontrollinstanzen der sich selbst regierenden, vorgeblich autonomen Subjekte sollen das ganz entscheidend wohl Betriebsärzte sein. Zumindest gibt es etliche Hinweise darauf.
Das ist eine Debatte, in die man viel tiefer einsteigen könnte und müsste. Wenn man das qualifiziert machen will, braucht aber man viel mehr Material.
Und ganz sicher gelangt man dann sehr schnell zur NS-Gesundheitspolitik, die für die Durchsetzung ihrer Konzepte von Gesundheit bzw, Krankheit und die Legitimation ihrer (Tötungs-)praxis Begründungsfiguren radikalisiert, die es auch vorher schon gab.