Wenn es nur um einen verantwortungslos vor sich hin schwadronierenden Neurologen und seine Hofschranzen ginge, könnte man die Sache mit einem Achselzucken abtun. Da aber seine Mutmaßungen und Bauchgefühle in fataler Weise dem Zeitgeist entsprechen, sollten wir gerade als chronisch Kranke uns gegen solche Zuschreibungen immer wieder wehren.
Das Diktat der Selbstoptimierung, kombiniert mit größenwahnsinnigen Machbarkeitswahn und magischem Denken, trifft uns nämlich ganz besonders. Wenn man so will sind wir die lebendige Wiederlegung der Illusion, Gesundheit sei garantiert, wenn man nur richtig lebt, denkt oder isst. Da viele Menschen die Erkenntnis offenbar nicht ertragen können, dass wichtige Teile ihres Lebens nicht in ihrer Hand liegen, können sie ihre Illusionen nur aufrechterhalten, wenn Kranke selbst schuld sind an ihrer Situation. Irgend etwas werden sie schon falsch gemacht haben…
Natürlich gibt es so etwas wie Selbstverantwortung. Aber die ist eben nur ein Teil der Wahrheit. Und bei einer unverstandenen, unheilbaren Krankheit wie MS nur ein kleiner Teil.
Dann immer dieses Geraune von der Zivilisation als Grund allen Übels. Wir können froh sein, dass wir nicht “im Einklang mit der Natur” leben müssen. In der Natur werden schwache, kranke und alte Tiere von stärkeren gefressen. Da bin ich doch froh, in einer Zivilisation mit Rente und Krankenversicherung zu leben, die mir nicht das Lebensrecht abspricht, weil ich keinen verwertbaren Nutzen mehr habe. Bei den Nazis wäre das anders gewesen - ganz im Einklang mit der Natur.