Der Bundesgerichtshof hat Sachbearbeiter verpflichtet, Menschen bei deutlich erkennbarem Beratungsbedarf auch ungefragt und über den eigenen Fachbereich hinaus über Ansprüche auf Sozialleistungen zu beraten. Mitarbeiter der Sozialträger müssen auch über den Tellerrand schauen und auf mögliche Ansprüche gegenüber anderen Trägern hinweisen. Unterbleibt dies, können Betroffene Anspruch auf Schadenersatz haben, wie am Donnerstag der BGH in Karlsruhe entschied. Danach muss das Sozialamt des Landkreises Meißen einem behinderten Mann vermutlich mehrere zehntausend Euro bezahlen. Geklagt hatte er, weil er mit seiner Behinderung eigentlich eine Erwerbsminderungsrente bekommen müsste. Die Rente hatte der Mann aber wegen lückenhafter Beratung beim Sozialamt nicht beantragt.

https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2018-08/bundesgerichtshof-urteil-sozialleistungen-schadensersatz

Die Frage ist, wann ein “deutlich erkennbarer Beratungsbedarf” vorliegt. Die Messlatte ist durch diese Formulierung schon ziemlich hoch gehängt. Am ehesten wird man das noch bei geistig Behinderten oder anderen Menschen mit deutlich erkennbaren kognitiven Einschränkungen annehmen können. Bei MS wird das so häufig nicht zu bejahen sein.

In dem hier geschilderten Fall hätte eine richtige Beratung dazu geführt, dass gar keine Grundsicherung nötig gewesen wäre. Der Verlust durch die unzureichende Beratung liegt also nicht nur beim Betroffenen, sondern auch beim Sozialhilfeträger - die jetzt auch noch Schadensersatz bezahlen müssen. Aus diesem Schaden werden sie hoffentlich klug und beraten in Zukunft umfassender.

P:S: Die Information am Ende des Artikels scheint mir wichtig. Dass man unter bestimmten Voraussetzungen schon nach einem Jahr (und nicht erst nach fünf Jahren) einen Anspruch auf Eerwerbsminderungsrente haben kann, war mir neu.

“Diese fünf Jahre gelten nicht für Menschen, die schon in den ersten sechs Jahren nach ihrer Ausbildung nicht mehr arbeiten können und trotzdem mindestens ein Jahr lang Beiträge gezahlt haben.”