Auszug Ectrims 2016 Amsel Bericht von PD Dr. Buttmann
"Sie sprechen von Vitamin D ?
PD Dr. Buttmann: Genau. Die Beweislast ist ja inzwischen erdrückend, dass ein zu niedriger Vitamin-D-Spiegel sowohl mit einem höheren MS-Risiko als auch mit einem ungünstigeren Krankheitsverlauf verbunden ist, wenn man bereits eine MS hat. Das beweist aber halt noch nicht, dass der zu niedrige Vitamin-D-Spiegel tatsächlich schuld ist und folglich eine Einnahme von Vitamin D einen schützenden Effekt hat. Nun wurden gleich zwei unabhängige Studien vorgestellt, die beide nahelegen, dass eine Einnahme von Vitamin-D-Präparaten tatsächlich den Verlauf der MS günstig beeinflussen könnte. Das war für mich ein weiterer Kongresshöhepunkt. Wir haben lange auf solche Ergebnisse gewartet.
Können Sie das ausführlicher erklären ?
PD Dr. Buttmann: In der SOLAR-Studie wurde hoch dosiertes Vitamin-D3-Öl mit Placebo verglichen bei 229 Patienten mit schubförmiger MS, die vor und während der Studie außerdem alle mit Interferon- behandelt waren. Die ursprünglich für eine Dauer von 96 Wochen geplante Studie hatte ziemliche Schwierigkeiten, genügend Studienteilnehmer zu finden, so dass während der Studie das Design geändert wurde. Man entschloss sich zu untersuchen, wie viele Patienten nach 48 Wochen NEDA-Status hatten. NEDA steht für “No Evidence of Disease Activity” und bedeutet, dass während des gesamten Zeitraums der Studie weder klinisch noch im Kernspintomogramm Zeichen von Krankheitsaktivität zu erkennen waren. Die schlechten Nachrichten zuerst: Der Anteil an Patienten mit NEDA unterschied sich nicht zwischen beiden Behandlungsarmen, auch unterschied sich nicht das Risiko, neu eine bleibende Behinderung zu entwickeln. Nun die guten Nachrichten: Die Schubrate war in der Vitamin-D-Gruppe um 30% niedriger, auch wenn der Unterschied in dieser relativ kleinen Studie nicht signifikant war; und hierzu passend und für die Interpretation noch wichtiger: Die kernspintomographische Krankheitsaktivität war in der Vitamin-D-Gruppe hoch signifikant um 32% niedriger als in der Gruppe mit Scheinmedikament. Es gab keine Verträglichkeits- oder Sicherheitsprobleme. In der zweiten, kleineren Studie wurde in einem ähnlichen Studienaufbau hoch dosiertes Vitamin D mit Placebo verglichen in gleichzeitig mit Interferon- behandelten Patienten mit schubförmiger MS. Die Vitamin-D-Gruppe hatte eine hoch signifikant deutlich niedrigere kernspintomographische Krankheitsaktivität. Außerdem wurde die Schubrate durch Vitamin D bei den Patienten, die die Studie komplettierten, über 2 Jahre um 60% reduziert.
Wie hoch war das Vitamin D in den beiden Studien dosiert ?
PD Dr. Buttmann: In der SOLAR-Studie wurden 14.000 Einheiten pro Tag verabreicht, in der anderen Studie jeweils 100.000 Einheiten zweimal im Monat, also umgerechnet knapp 7.000 Einheiten pro Tag.
Kann man aus den beiden Studien praktische Empfehlungen ableiten ?
PD Dr. Buttmann: Ich wäre momentan trotz dieser insgesamt viel versprechenden Ergebnisse noch zurückhaltend mit einer Einnahme sehr hoher Vitamin-D-Dosen, da diese Studien nur als erste Hinweise auf einen Vitamin-D-Behandlungseffekt zu interpretieren sind und schädliche Auswirkungen sehr hoher Vitamin-D-Dosen über längere als die bislang untersuchten Zeiträume vorstellbar und auch in der medizinischen Literatur beschrieben sind. Zu bedenken ist auch, dass bislang unklar ist, ob Vitamin D den gleichen günstigen Effekt hat, wenn es mit anderen Immuntherapeutika als mit Interferon- kombiniert wird. Wenn man als MS-Betroffener zumindest in den Wintermonaten 4.000 Einheiten pro Tag einnimmt, was bereits deutlich über der allgemein empfohlenen Vitamin-D-Zufuhr liegt, ist das wahrscheinlich zurzeit ein guter Kompromiss, mit dem man zumindest einen sehr ordentlichen Vitamin-D-Spiegel erreicht. Wie wissen momentan ja auch gar nicht, ob wirklich sehr hohe Dosen erforderlich sind, um den zumindest in Kombination mit Interferon- wahrscheinlichen günstigen Effekt des Vitamin D voll auszunutzen. Weitere Behandlungsstudien zum Vitamin D laufen derzeit und wir werden hoffentlich bald klarere Antworten bekommen.
Vielen Dank für dieses Gespräch !
PD Dr. Buttmann: Gern geschehen !"
Redaktion: AMSEL e.V.