Wie sag ich's meiner Umwelt?

Lieber die eigenen Symptome nennen, rät Marion Held-Holland, Dipl.-Psychologin & Neuropsychologin an der Fachklinik für Neurologie Dietenbronn im AMSEL-Expertenchat vom 15.11.05.

Moderator Patricia Fleischmann: Hallo verehrte Chatter! Ein herzliches Hallo! auch an Diplom-Psychologin Marion Held-Holland, die heute Abend unsere Fragen beantwortet. - Die ChatTore sind geöffnet!

pf: Schnee liegt in der Luft. Haben Psychologen im Herbst besonders viel zu tun?

Marion Held-Holland: ja, im herbst und frühjahr ist viel los.

carola: guten abend, eine frage zum umgang mit fremden: öfter passiert es, dass ich auf der strasse komisch angeschaut werde, wenn ich mich ausruhe, erst recht, wenn ich in einem kaufhaus oder so nach einem stuhl frage, um kurz zu rasten. die leute nehmen an, ich hätte einen akuten anfall oder sowas. die erklärung multiple sklerose sagt den meisten gar nichts, das komplexe krankheitsbild zu erklären, dauert zu lange oder vielleicht stelle ich es auch nicht richtig an. haben sie eine mögliche antwort für solche alltagsgelegenheiten?

Marion Held-Holland: guten abend carola, zunächst ist es ja schön, wenn andere leute sich kümmern und anteil nehmen. Vielleicht wäre eine möglichkeit zu erklären, dass sie sich vorübergehend schwach fühlen und sich ausruhen möchten und dass sie solche situationen von sich kennen, diese auch erfahrungsgemäß nach einer pause sich bessern. Möglicherweise nimmt das den mitmenschen die angst und den druck, etwas besonderes unternehmen zu müssen.

carola: wie würden sie als psychologin das krankheitsbild ms kurz und bündig erklären?

Marion Held-Holland: ich glaube, ich würde es an den eigenen symptomen erklären. in dem sinne: "ms ist eine neurologische erkrankung mit ganz unterschiedlichen krankheitszeichen und unterschiedlich schweren ausprägungen, bei mir wirkt es sich zum beispiel durch eine schnelle ermüdbarkeit, kurze gehstrecken oder vorübergehender gangunsicherheit etc. aus." Dann können sich andere vielleicht am ehesten ein bild machen. Würde das helfen?

carola: und ob das hilft! ich neige dazu, den gaul von hinten aufzusäumen, alles sagen zu wollen und damit die leute zu irritieren. einfach die symptome aufzählen, die einen selbst beschäftigen ist eine gute lösung. danke!

Marion Held-Holland: Ja, weitere informationen können sie ja immer noch nachschieben! schönen abend.

tim: Ich hab da ein Problem, eigentlich ein schönes Problem. Sie ist etwa 1,70, hat graue Augen, eine tolle Figur, dazu noch Charakter und wir sind verliebt. Ich weiß nur nicht, wie ich ihr sagen soll, dass ich MS habe.

Marion Held-Holland: Hallo tim, darf ich fragen wie lange sie sich schon kennen? Ich nehme an, dass man ihnen die erkrankung nicht ansieht?

tim: Vor zwei Monaten lernten wir uns kennen. Vor zehn Tagen und etwa 20 Stunden war der erste Kuss. Bin 23, sportlich und ohne schwere Symptome.

Marion Held-Holland: Noch eine gegenfrage, was befürchten sie, wenn sie ihrer traumfrau von der diagnose erzählen?

tim: Ein Paradies zu zerstören.

Marion Held-Holland: Hm!? die ms ist ein teil von ihnen und die frage, wie sie es erklären können beschäftigt sie offensichtlich sehr. Ich könnte mir vorstellen, dass die frage nach ehrlichkeit und offenheit in der beziehung sie immer mehr unter druck bringen wird. Insofern würde ich raten es anzusprechen, genauso wie es ist, dass sie eben diese diagnose haben und damit aber derzeit ganz gut leben können. ich gehe mal davon aus, dass sie dann immer noch der liebenswerte partner bleiben können! oder?

tim: Wenn schon, dann will ich auch konsequent sein. Und das heißt doch, ich muss sagen, dass es auch morgen schon vorbei sein kann mit einem normalen Leben als Twen. Lähmungen, Frührentner etc. Den Druck habe ich jetzt schon. Aber wie anfangen? Wie ehrlich bleiben? Wie weitermachen?

Marion Held-Holland: Was bedeutet denn konsequent sein? Es würde vielleicht genügen zu erzählen, wie es jetzt ist und dass sie manchmal auch verunsichert sind und ängste haben, wie es weitergehen wird.

tim: Und das sollte ich möglichst bald tun, wenn ich Sie richtig verstehe, weil sonst mein Druck noch wächst?

Marion Held-Holland: vielleicht wäre es auch gut, vorher nochmal über die eigenen ängste nachzudenken und die horrorszenarien, die sie befürchten. oder mit jemandem darüber zu sprechen. das macht es dann möglicherweise leichter und sie könnten sich sicherer fühlen, wenn sie mit ihrer freundin das thema danach ansprechen. wenn ich sie jetzt richtig verstanden habe, sind ihre eigenen ängste bezüglich der ms sehr groß. alles gute!

Moderator Patricia Fleischmann: Liebe Chatter, liebe Frau Held-Holland: Herzlichen Dank für Ihre Beiträge und Antworten! Am 6. Dezember geht es weiter im Chat: Berufstherapie ist dann unser Thema.

Redaktion: AMSEL e.V., 05.11.2008