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Wann ist Rehabilitation sinnvoll?

Um "kleine" Erfolge von großer Bedeutung geht es im Expertenchat vom 05.09.06 mit Dr. Martina Lillemeier.

Moderator Patricia Fleischmann: Liebe Chatter, willkommen beim ersten AMSEL-Chat nach der Sommerpause! Frau Dr. Lillemeier ist in zwei Minuten für Sie da - wir bitten die kleine Verzögerung zu entschuldigen.

renate: ist es bei schleichender Ms noch sinnvoll ?


Allgemein - renate: wo erscheint die frage

Moderator Patricia Fleischmann:
Hallo Renate, Ihre Frage können Sie lesen, wenn Sie auf das Feld "bereits gestellte Fragen" klicken. Antwort kommt in Kürze, Frau Dr. Lillemeier schreibt noch.

Dr.Martina Lillemeier:
Ja, denn die Rehabilitation hat nicht nur das Ziel, neu aufgetretene Funktionsstörungen zu behandeln und zu verbessern sondern auch noch vorhandene Funktionen zu erhalten bzw. zu stabilisieren, um den Alltag und evtl. auch den Beruf möglichst selbständig zu bewältigen und Behinderungen abzuwenden.

mirjam: ich habe im Januar und August 2006 einen MS-Schub erlitten. Die Schübe kamen beide male zu Zeiten in denen der Stress durch mein Studium und Prüfungen etwas höher war. Obwohl ich mich bemüht habe, mich nicht allzu großem Druck auszusetzen, konnte ich mich in diesen Situationen sehr schwer entspannen. Ist es sinnvoll für mich, ein Urlaubssemester einzulegen und in eine Reha oder Tagesklinik zu gehen, um besseren Umgang mit Stress zu erlernen? Körperlich haben sich beide Schübe wieder zurückgebildet.

Dr. Martina Lillemeier: Da sich beide Schübe körperlich komplett zurückgebildet haben und ich aus den Angaben nicht ersehe, welche körperlichen Symtome dauerhaft vorhanden sind neben einer anzunehmenden Belastbarkeitsminderung, ist auch eine ambulante Therapie mit dem Ziel der besseren Stressbewältigung vorstellbar. Hierzu gehören neben dem Erlernen von Entspannungsmaßnahmen sicher auch Gespräche zum Beispiel mit einem Psychologen/Psychologin, um die Stressfaktoren herauszufinden und dementsprechend Maßnahmen zu erarbeiten und dann auch im Alltag umzusetzen. Auch im Rahmen einer ganztägig ambulanten Reha (=Tagesklinik) wäre dies zu behandeln, wobei hier ein Therapieprogramm aus Krankengymnastik, Ergotherapie, Psychologie und evtl. Berufstherapie angeboten wird und nicht alleine die Stressbewältigung Inhalt der Reha ist. Auch Ausdauersportarten verbessern oft die Fähigkeit, Stress zu bewältigen.

Guido: Bei Interferonen spricht man vion Basistherapie, bei Mitox von Eskalationstherapie. Welcher Gattung würden Sie Tysabri zuordnen?

Dr. Martina Lillemeier: Ich würde Tysabri derzeit eher der Eskalationstherapie zuordnen, da es aktuell meist dann Verwendung findet, wenn die bisher etablierten Basistherapien keine Wirkung zeigten. Allerdings ist dies eine sehr neue Therapie und gerade zu Beginn verändern sich die Indikationsstellungen im Verlauf noch, wenn mehr Erfahrungen vorliegen. Hier ist sicher abzuwarten.

Ehefrau: Kann man gegen Blasenschwäche was sinnvolles tun mit Naturmedizin ? gibt es überhaupt eine Naturklinik, die von der kase bezahlt wird ?

Dr. Martina Lillemeier: Eine Naturklinik, ich denke Sie meinen sicher eine homöopathisch ausgerichtete Klinik, wird von den Krankenkassen meist nicht bezahlt. Bezüglich der Blasenschwäche liegen mir leider keine gesicherten Daten vor, die eine Behandlung der Blasenschwäche auf naturmedizinischer Basis empfehlen. Zudem gibt es verschiedene Formen der Blasenschwäche, die unterschiedl. zu behandeln sind. Ich würde eine Abklärung beim Urologen empfehlen, der vielleicht Erfahrung mit Behandlungen auf dieser Basis hat.

Ehefrau: ist es sinnvoll, alle drei monate cortisoninfusion für 3 tage zu machen und was soll das bringen ?

Dr. Martina Lillemeier: Diese Form der Cortisontherapie wird angewandt, wenn keine eindeutigen Schübe nachweisbar sind, aber bei sich teilweise abzeichnender langsamer Verschlechterung noch ein Ansprechen auf Cortison vorliegt. Es ist sicher eine individuelle Therapieentscheidung in Abhängigkeit von dem einzelnen Patienten und seinem klinischen Verlauf und es gibt einige Patienten, die davon profitieren. Ziel ist, die vorhandene entzündliche Aktivität bei der MS zu hemmen.

Ehefrau: was kann man alles gegen die schleichende Ms tun ?

Dr. Martina Lillemeier: In Abhängigkeit, ob es sich um eine sekundär progrediente oder primär progrediente MS handelt gibt es unterschiedliche medikamentöstherapeutische Ansätze. Wichtig ist unabhängig von den medikamentösen Möglichkeiten ein Erhalt der noch vorhandenen Funktionen durch Krankengymnastik, Ergotherapie, Sprachtherapie in Abhängigkeit von den vorliegenden Funktionsstörungen. Auch eine intensivierte Therapie im Rahmen einer Rehabilitation (stationär oder Tagesklinik) kann hier eine deutliche Stabilisierung und eventuell auch Verbesserung erzielen. Neben den erbrachten Therapieleistungen ist es sicher wichtig, eine Form des Eigentrainings zu entwickeln, um auf Dauer einen Effekt zu erzielen bzw. Funktionen zu erhalten.

sasa: was tun gegen die steifigkeit ? schlechtes laufen gleichgewichtsstörung ?

Dr. Martina Lillemeier: Vor allem Krankengymnastik, die speziell auf diese Probleme eingehen kann. Auch hier ist es wichtig nicht nur 2x /Woche mit dem Therapeuten zu arbeiten, sondern selbst im Training, in Bewegung zu bleiben und zu versuchen, das in der Therapie Erarbeitete in den Alltag umzusetzen. Sollte die Steifigkeit durch Spastik bedingt sein, die sich im Rahmen der Krankengymnastik nicht bessert, wäre eine medikamentöse Behandlung (zum Beispiel Lioresal, Baclofen oral) in Rücksprache mit dem behandelnden Neurologen in Erwägung zu ziehen.

Guido: Lässt sich Reha auch vorbeugend einsetzen? Welche Maßnahmen wären da zu treffen?

Dr. Martina Lillemeier: Vorbeugend im Sinne der Vermeidung eines Schubes oder des Fortschreitens der MS (egal ob schubförmig oder progredient) ist Rehabilitation leider nicht einsetzbar. Vorbeugend im Sinne des Verlustes von Funktionen/ Fähigkeiten, auch im Sinne der Teilnahme am Arbeitsleben (Bedrohung der Erwerbsfähigkeit) oder am Alltag (alleine lebend, sich bei den alltäglichen Verrichtungen selbstversorgend) sicher ja. Hier gilt es, in Abhängigkeit von der individuellen Situation mit dem behandelnden Neurologen zu klären, ob eine stationäre Reha, eine Behandlung in einer Tagesklinik oder eine ambulante Behandlung (sprich über Rezept) angemessen ist und welches Ziel damit verfolgt wird. Bei MS- Patienten, bei denen sich nach einem Schub alle Symptome zurückgebildet haben und die keinerlei Einschränkungen im Sinne von Lähmungserscheinungen, Sensibilitätstörungen, Gedächtnisstörungen etc. verspüren, ist eine Rehabilitation nicht angezeigt. Aber regelmäßige sportliche Betätigung, vor allem Ausdauersportarten sind zu empfehlen.

Guido: Welche Erfolge haben Sie mit MS-Patienten durch Reha bereits erlebt?

Dr. Martina Lillemeier: Sehr unterschiedliche. Für jeden Patienten werden Rehabilitationsziele (zusammen mit dem Patienten) festgelegt, in Abhängigkeit von seinen Problemen, Behinderungen und vorhandenen Fähigkeiten. Manchmal ist ein Erfolg die berufliche Wiedereingliederung, eine Verbesserung des Gehens oder des Gleichgewichtes. Bei schwerer Betroffenen kann es mehr Selbstständigkeit in den alltäglichen Verrichtungen wie Anziehen, Umsetzen, Essen, Waschen und Duschen sein. Teilweise kommt ein Teil der Reha auch der Krankheitsverarbeitung zugute, vor allem wenn Patienten nach dem ersten Schub mit neugestellter Diagnose in die Reha kommen. Es sind also sehr viele verschiedene, manchmal auch für Außenstehende "klein" erscheinende Erfolge, die aber vom Patienten vielleicht als groß empfunden werden.

Guido: Sehen Sie neue Grenzen für die Rehabilitation von MS-Patienten im Zuge der Gesundheitsreform?

Dr. Martina Lillemeier: Diese Frage ist im Moment schwer zu beantworten. Der Anteil der Rehabilitation an den Unkosten im Gesundheitswesen liegt nach meinem letzten Kenntnisstand bezgl. der Krankenkassen um/unter 10%. Es ist also ein eher unbedeutender Teil und die Folgen aus der Gesundheitsreform betreffen mehr die großen Unkostenbereiche. Es bleibt also abzuwarten. Allerdings ist es unter den jetzigen Bedingungen oft schon schwer, eine Rehabilitation genehmigt zu bekommen, meist ist es mit dem Auftreten eines neuen Schubes verknüpft oder mit einem stationären Aufenthalt im Akutkrankenhaus bei Zunahme der Symptomatik. Leider - aus meiner Sicht als in der Rehabilitation tätigen Neurologin.

Moderator Patricia Fleischmann: Liebe Chatter, das wars für heute - vielen Dank für Ihre interessanten Beiträge, ganz herzlichen Dank auch an Frau Dr. Lillemeier für ihre kompetenten Antworten! In 2 Wochen ist unser Thema "Die 1000 Gesichter - Symptome bei MS" mit Dr. van Schayck. Bis dahin und eine schöne Spätsommerzeit!

Redaktion: AMSEL e.V., 06.09.2006